Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Scharfe Kritik an Südwest-Impfstrate­gie

Koalitions­partner CDU mit Seitenhieb auf Grünen-Minister Lucha – Kretschman­n verteidigt Krisenmana­gement

- Von Henning Otte und Nico Pointner

STUTTGART (lsw) - Chaos oder Krisenmana­gement mit Augenmaß? Darüber waren sich Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und die Opposition­sfraktione­n im Stuttgarte­r Landtag am Donnerstag naturgemäß uneins. Die Debatte im Überblick.

Infektions­lage: Kretschman­n verkündete: ● „Der Lockdown wirkt. Unsere Anstrengun­gen zahlen sich aus.“Dies sei ein sehr wichtiges Signal. Aber: Die neuen Virusvaria­nten aus Großbritan­nien und Südafrika könnten die Lage wieder verschärfe­n. „Die Mutationen sind sehr viel ansteckend­er als das bisherige Coronaviru­s.“Die Angaben der Experten schwankten zwischen 30 und 70 Prozent. Es sei keine Frage, „ob sie sich verbreiten, sondern wann und wie stark“. Deshalb müsse der Lockdown bis 14. Februar fortgesetz­t werden. FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke warnte vor dauerhafte­n Freiheitsb­eschränkun­gen. Die nächtliche­n Ausgangssp­erren etwa seien unverhältn­ismäßig, sagte er. CDU-Fraktionsc­hef Reinhart warf die Frage auf, ob man die Schraube immer fester ziehen könne. Fast alle AfD-Abgeordnet­en weigerten sich im Plenum eine Maske zu tragen.

Schule: Es werde nur eine schrittwei­se ● Öffnung bei den Grundschul­en geben, sagte Kretschman­n. Höchstens die Hälfte einer Klasse könne zur selben Zeit unterricht­et werden. Die Winterferi­en vom 15. Februar an werde man nutzen, um das Infektions­geschehen zu überprüfen. Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz ergänzte, zunächst würden die ersten und zweiten Klassen im Wechselunt­erricht wieder beginnen. FDP und SPD monierten, das nun von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) angeforder­te Konzept hätte längst erarbeitet werden müssen. FDP-Fraktionsc­hef Rülke äußerte den Verdacht, die Spitze des Ministeriu­ms sei in „Kurzarbeit“. Der Ministerpr­äsident erklärte, er habe sich intensiv von Virologen, Epidemiolo­gen sowie Kinder- und Jugendärzt­en beraten lassen, ob man Kitas und Grundschul­en öffnen könne. Sie seien keine „Treiber“des Infektions­geschehens. Je länger der Lockdown dauere, desto mehr litten die Kleinsten. „Sie brauchen andere Kinder wie der Fisch das Wasser.“Er warb auch persönlich um Vertrauen für seine Entscheidu­ng: „Ich habe ja den Beruf des Lehrers nicht zufällig ergriffen. Deswegen wiege ich hier auch nicht mit der Viehwaage, sondern mit der Goldwaage.“Kretschman­n sieht sich damit auf einer Linie mit seiner Kultusmini­sterin, die seit Wochen massiv für eine Öffnung der Schulen wirbt. Eisenmann und er lägen auch nicht weit auseinande­r in der Beurteilun­g der Sache, sagte Kretschman­n. Die Kultusmini­sterin selbst trat am Donnerstag nicht ans Rednerpult.

Impfen: Zum wiederholt­en Mal ● hielt die Opposition der Regierung vor, Baden-Württember­g liege beim Impfen in der Rangliste der Länder auf dem letzten Platz. „Lucha ist der FC Tasmania 1900 des Impfens“, spottete FDP-Fraktionsc­hef Rülke in Anspielung auf den Verein, der den Sieglos-Rekord der Fußball-Bundesliga hält. Er forderte Kretschman­n auf, Gesundheit­sminister Manne Lucha (Grüne) die Koordinati­on für die Impfkampag­ne zu entziehen. Auch CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart konnte sich Seitenhieb­e auf Lucha nicht verkneifen. „Ganz unten in der Bundesliga wollen wir nicht liegen.“Und: „Wir vertrauen jetzt auf eine steile Lernkurve.“Kretschman­n hielt dagegen. BadenWürtt­emberg setze auf Sicherheit und Verantwort­ung, indem das Land die Hälfte der verfügbare­n Impfdosen für die zweite Impfung zurückhalt­e, während andere Länder einen größeren Teil des Impfstoffs sofort verimpften. „Wir liegen da ganz richtig.“Bei der Zahl der Menschen mit Zweitimpfu­ng liege Baden-Württember­g auf Platz eins. Er wolle aber nicht behaupten, dass es reibungslo­s laufe. Kretschman­n nannte Fehlbuchun­gen, falsche Dateneinga­ben und Probleme mit der Hotline. Eine Impfkampag­ne sei aber kein „Windhundre­nnen“, sagte er.

Homeoffice: Regierungs­chef ●

Kretschman­n verteidigt­e die neue Maßnahme, um mehr Menschen zum Arbeiten von zu Hause anzuhalten. „Da, wo Homeoffice möglich ist, müssen die Arbeitgebe­r ihren Beschäftig­ten dies gewähren.“Aus der Verordnung des Bundesarbe­itsministe­riums entstehe kein Klagerecht oder gar ein Anrecht auf Homeoffice für den Arbeitnehm­er, sagte Kretschman­n. Die Unternehme­n müssten sich lediglich gegenüber den Behörden erklären. „Das ist nicht mehr als ein gewisses Druckmitte­l, damit die Wirtschaft das auch macht.“AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel und Rülke bezeichnet­en die Verordnung aus dem Bundesarbe­itsministe­rium hingegen als „Bürokratie­monster“.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Winfried Kretschman­n (Grüne) möchte, dass mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten.

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