Neuer in Kahn-Sphären
Bayerns Torhüter spielt in Augsburg das 196. Mal zu Null, seine Vorderleute aber glänzen nur eine Halbzeit lang
AUGSBURG (dpa/SID) - Manuel Neuer berührte dankbar den rettenden Pfosten, später bejubelte er den endlich von ihm eingestellten Zu-NullRekord von Oliver Kahn in den Armen seines Torwarttrainers Toni Tapalovic. Die „Dusel“-Bayern leben gerade in Alu-Form neu auf, für das Comeback der Dominanz-Bayern bittet Triple-Trainer Hansi Flick um Zeit. Nationaltorhüter Neuer bewertete das wacklige 1:0 beim Nachbarn FC Augsburg, bei dem ihm nur dank eines Handelfmeters von FCA-Stürmer Alfred Finnbogason ans Aluminium sein 196. Ligaspiel über 90 Minuten ohne Gegentor geglückt war, trotzdem als „Zeichen an die Konkurrenz“.
Lattenglück gegen Freiburg, Pfostendusel in Augsburg, zwei knappe Siege in der Fußball-Bundesliga – und schon stimmen die Zahlen wieder beim Serienmeister. Vier Punkte Vorsprung vor Leipzig, sieben vor Leverkusen, satte zehn vor Borussia Dortmund – was soll da im Titelkampf noch passieren? Beim Blick in den Rückspiegel droht da höchstens noch ein Überholmanöver der ambitionierten Leipziger unter Trainer Julian Nagelsmann. Andererseits: Die Hinserie war spielerisch und ganz besonders defensiv nicht Bayern-like. Aber mit dem Verweis auf das Mammutprogramm, „das wir in den vergangenen Wochen und Monaten abgespult haben“, sagte Kapitän Neuer, „kann man nicht nur alles schlechtreden.“
39 Punkte und der Blick auf die Tabelle wärmten auch Hansi Flick am Mittwochabend im eisigen Augsburger Stadion vor der kurzen Heimfahrt nach München das Herz. „Unser Anspruch ist es, da oben zu stehen“, sagte der 55-Jährige und formulierte sogleich auch „den Anspruch“für die am Sonntag auf Schalke beginnende Bundesliga-Rückrunde: „Es ist ein langer Weg, bis wir vielleicht wieder so dominant spielen können wie letzte Saison. Das ist unser Ziel! Und daran müssen wir weiter arbeiten.“
Im Freistaat-Derby reichte es nur zu 45 Dominanzminuten, die sich im 22. Saisontor des später vorsichtshalber wegen muskulärer Probleme ausgewechselten Robert Lewandowski nur ungenügend im Ergebnis niederschlugen. Ein 2:0, 3:0 oder 4:0 aus Münchner Sicht war möglich. „Die erste Halbzeit macht Mut“, befand
Flick, „die zweite gibt uns aber schon Anlass, das Ganze kritisch zu sehen.“
Den Chefkritiker gab Nationalspieler Joshua Kimmich: „Das war in der zweiten Halbzeit wirklich dünn, was wir da angeboten haben.“Auch Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge bemerkte mit Blick auf die Fortsetzung der Champions League im Februar: „Um Titel zu gewinnen, insbesondere international, werden wir besser spielen müssen. Ich bin überzeugt, dass die Mannschaft, wenn die wichtigen, die großen Spiele kommen, noch konzentrierter zu Werke gehen wird und dann auch wieder ihr wahres Gesicht zeigt“, sagte Rummenigge bei „Bild live“. Er ist gespannt: „Man wird sehen, ob man das Niveau vom letzten Sommer erreicht. Das war natürlich top, top class.“
In Augsburg war von Spitzenklasse nach der Pause nichts mehr zu sehen. Der FCA trat plötzlich mutiger auf, rannte an und war dem 1:1 nahe. Doch Finnbogason vergab im zehnten (Bundesliga-)Anlauf erstmals vom Punkt. „Den muss ich machen, da gibt es keine Entschuldigung“, sagte der glücklose Isländer, der nun seit mehr als 600 Minuten auf ein Tor wartet.
So endete für Manuel Neuer das mehr als 1000 Minuten lange Warten auf die Einstellung des Kahn-Rekordes. Erstmals seit dem 5:0 gegen Eintracht Frankfurt vergangenen Oktober blieben die Münchner ohne Gegentor. Glück allein wollte der 34-jährige Neuer dafür nicht verantwortlich machen. „Unser ganzer Defensivverband hat dafür investiert“, sagte er. Hansi Flick freute sich auch nicht nur für seinen Torwart. „Dass die Null steht, das wollten wir alle“, sagte der Trainer. „Wie jeder Einzelne das Tor verteidigt hat, das ist das, was wir brauchen.“Joshua Kimmich sprach weitere wichtige Tugenden an, will man nach dem Pokal-Aus am Saisonende wieder Trophäen in Händen halten können. „Es geht gerade nicht so leichtfüßig“, sagte er. „Wir brauchen schon wieder diese Gier, die Spiele nicht nur über die Zeit zu retten.“
Übrigens: Eigentlich hat Manuel Neuer Oliver Kahn am Mittwoch schon überboten: Kahn brauchte für seine Marke 557 Spiele – Neuer nur 422. Merke: „Man muss ja immer versuchen, besser zu werden.“Ein Neuer-Satz durchaus für alle Alu-Bayern.