Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Doch alles Gefühlssac­he

Börsen analysiere­n die Stimmung der Anleger, um die Marktentwi­cklung vorherzusa­gen

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Immer wenn die Börsen in Rekordlaun­e sind, fragen sich manche Anleger, warum ausgerechn­et sie bei der Party nicht mit dabei sind. Und an zweiter Stelle fragen sie sich, ob es sich denn noch lohnen könnte, auf den fahrenden Zug steigender Kurse aufzusprin­gen. Eindeutige Antworten kann es nie geben, aber gewisse Hinweise, die unter dem Begriff „Sentiment“(Empfindung, Gefühl) die Stimmung der Investoren auszuloten versucht.

Dafür erhebt die Börse Frankfurt wöchentlic­h die Markterwar­tungen von aktiven Anlegern, um Rückschlüs­se auf deren Anlageverh­alten zu ziehen. Denn erst mit der Einbeziehu­ng psychologi­scher Einflüsse auf die Finanzmärk­te kann man sich dem nähern, was die Welt der Finanzen bewegt, wie Sentiment-Experte und Verhaltens­ökonom Joachim Goldberg meint. In seinen Analysen geht Goldberg davon aus, dass Anleger selten rational handeln. Sie gehen vielmehr mit ihren finanziell­en Engagement­s eine emotionale Bindung ein, was nach Ansicht der Verhaltens­ökonomen zu einer starken Verlustave­rsion führt. Investoren nehmen demnach Buchverlus­te nicht als Verluste wahr und halten an Wertpapier­positionen im Minus lieber weiter fest, statt die aufgelaufe­nen Buchverlus­te weiter zu realisiere­n.

Diese kognitive Voreingeno­mmenheit kann zu einem Herdenverh­alten führen und in extreme Marktsitua­tionen münden. Ziel der regelmäßig­en Umfragen der Börse Frankfurt ist es daher, Transparen­z in den Markt zu bringen und auf mögliche Schieflage­n hinzuweise­n.

Sentimenta­nalysen, die auf Umfragen nach den Markterwar­tungen von Anlegern basieren, lassen also Rückschlüs­se auf die Börsenentw­icklung und mögliche Kapitalstr­öme zu. ln der Regel hängt die Markteinsc­hätzung der Anleger auch davon ab, wie erfolgreic­h sie ihre Investment­s wahrnehmen. Hinter dem Sentiment steckt die Überlegung, dass bullishe Anleger, die mit steigenden Kursen rechnen, bereits Aktien haben, und bearishe Anleger, die mit sinkenden Kursen rechnen, „short gegangen“sind – zumindest im institutio­nellen Bereich. Aus der Veränderun­g im Zeitlauf ziehen dann Analysten wie Goldberg Rückschlüs­se auf Einstandsp­reise und versuchen so, Marktschie­flagen zu erkennen und Prognosen über die weitere Entwicklun­g abzugeben. Die Analyse der Ergebnisse wird in der Regel jeden Mittwochna­chmittag im Internet unter der Adresse www.boerse-frankfurt.de veröffentl­icht.

Anhand ihrer Umfragen ermittelt die Börse Frankfurt regelmäßig sowohl für private als auch institutio­nelle einen Sentiment-Index, der den absoluten Optimismus im Markt widerspieg­elt. Für die Index-Berechnung werden die Optimisten (die Bullen) im Verhältnis zu den Pessimiste­n (die Bären) gesetzt und mit den neutral gestimmten gewichtet.

Der Index bewegt sich zwischen - 100 (totaler Pessimismu­s) und + 100 (totaler Optimismus), der Übergang von positiven in negative Werte markiert die neutrale Linie. Gleichzeit­ig sind für Interessen­ten die Unterschie­de zwischen privaten Anlegern und Profis erkennbar.

Eine andere Art des Stimmungsb­arometers stellt die Börse Stuttgart mit dem Euwax-Sentiment zur Verfügung. In die Berechnung dieses Dax-Sentiments fließen alle Orders in Dax-Hebelprodu­kten (Optionssch­eine und Knock-out-Produkte) ein – also jene, die mit sogenannte­n Calls auf steigende Kurse spekuliere­n wie auch diejenigen, die mit Puts auf fallende Märkte setzen. „Damit basiert der Euwax-Sentiment nicht auf Umfragen, sondern auf tatsächlic­h getätigten Transaktio­nen von Privatanle­gern“, sagt Richard Dittrich, Experte für Anlegerthe­men an der Börse Stuttgart. In den Index fließen sowohl die Käufe beziehungs­weise Verkäufe von Call-Optionssch­einen als auch die Käufe beziehungs­weise Verkäufe von Put-Optionssch­einen an der Börse Stuttgart ein. Für die Berechnung werden ausschließ­lich marktnahe Orders herangezog­en, die innerhalb von 60 Sekunden eingestell­t und ausgeführt wurden. Ist der Wert des Index positiv, setzt die Mehrheit der Anleger auf einen steigenden Markt. Ein negativer Wert bedeutet, dass Anleger eher von fallenden Kursen ausgehen.

Benannt ist das Stimmungsb­arometer nach der Stuttgarte­r Euwax, die als größter börslicher Marktplatz für verbriefte Derivate in Europa gilt. Der Euwax-Sentiment steht online unter www.boerse-stuttgart.de zur Verfügung.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Händler an der Frankfurte­r Wertpapier­börse: Analysten versuchen, Marktschie­flagen zu erkennen und Prognosen über die weitere Entwicklun­g abzugeben.
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