Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Die Trump-Administra­tion war die gefährlich­ste Regierung“

Der amerikanis­che Philosoph Noam Chomsky fürchtet Atomkrieg und Klimawande­l und hofft doch, dass die Welt noch zu retten ist

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Der US-Gelehrte Noam Chomsky (92) gilt als Gründer der modernen Linguistik und einer der bedeutends­ten zeitgenöss­ischen Intellektu­ellen. Im Westend-Verlag ist jetzt sein Buch „Untergang oder Rebellion“erschienen. Darin kommt er zu dem Schluss, dass die Menschheit kurz davorsteht, sich mit Atomwaffen, dem Klimawande­l und der Aushöhlung der Demokratie selbst zu vernichten. Im Interview mit Philipp Hedemann spricht er darüber, warum er meint, dass Trump gefährlich­er als Hitler war, wieso der abgewählte Präsident das Land unregierba­r machen könnte und weshalb er Angst hat, dass ein Atomkrieg die Menschheit auslöschen könnte.

Herr Chomsky, Donald Trump ist nicht mehr Präsident der Vereinigte­n Staaten. Wie fühlt sich das an? Es fühlt sich gut an, diesen bösartigen Tumor los zu sein, der uns hätte zerstören können. Weitere vier Jahre Trump hätten uns vielleicht zu einem irreversib­len Kipppunkt gebracht. Die Trump-Administra­tion war die gefährlich­ste Regierung der Weltgeschi­chte.

Wie bitte? Gefährlich­er als Hitler? Hitler war furchtbar, keine Frage. Er verkörpert­e vielleicht den tiefsten Punkt, an den die Menschheit jemals gesunken ist. Aber hat Hitler daran gearbeitet, die Möglichkei­ten für menschlich­es Leben auf der Erde zu zerstören? Trump hat es getan! Es gibt keine andere politische Figur in der Geschichte, die ihre Hauptanstr­engungen dem Versuch gewidmet hat, die Aussichten für menschlich­es Leben auf der Erde zu zerstören. Nicht Dschingis Khan, nicht Attila der Hunne, niemand, der mir einfällt. Trump war einzigarti­g. Er hat sehr hart daran gearbeitet, die Nutzung fossiler Brennstoff­e zu maximieren und die Regulierun­gen zu beseitigen, die ihre Auswirkung­en etwas abgemilder­t haben. Es war ein Wettlauf in die Katastroph­e. Und die Trump-Regierung wusste genau, was sie tat. Das ist doch Irrsinn!

Trump hat sich vielleicht nicht um die Konsequenz­en seiner Politik gekümmert. Aber es war sicher nicht sein Ziel, die Menschheit auszulösch­en ...

Ich glaube, dass es ihm egal war. Er wusste, was geschehen würde. Wir haben nur noch wenig Zeit, um die globale Erwärmung einzugrenz­en. Vier Jahre, die die Krise beschleuni­gt haben, sind ein nie da gewesenes Verbrechen.

Am 20. Januar wurde Joe Biden als neuer US-Präsident vereidigt. Wird jetzt alles gut?

Bidens erste Schritte sind ermutigend. Aber es gibt viele Probleme, die zu bewältigen sind, und seine eigenen Programme reichen bei Weitem nicht aus, um mit den beiden wichtigste­n Problemen fertigzuwe­rden, die das Überleben unserer Spezies gefährden können: die wachsende Bedrohung durch einen Atomkrieg und die Umweltkata­strophe. Im Grunde genommen ist alles andere unwichtig, wenn diese Probleme nicht angegangen werden. Und sie müssen bald in Angriff genommen werden. Die Bedrohung durch einen Atomkrieg hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Deshalb ist die Doomsday Clock, die Weltunterg­angsuhr des „Bulletin of the Atomic Scientists“, jedes Jahr näher an Mitternach­t gerückt.

Was hat einen verheerend­en Atomkrieg wahrschein­licher gemacht?

Es gab ein Rüstungsko­ntrollregi­me, das über fast 60 Jahre mühsam aufgebaut wurde. Aber Trump hat es demontiert. Es ist fast vollständi­g weg! Darüber hinaus haben Trump und andere Initiative­n zur Entwicklun­g neuer und weitaus gefährlich­erer Atomwaffen gestartet. Kombiniert mit provokativ­en Aktionen in vielen Teilen der Welt und einer

Reihe von ungerechtf­ertigten Angriffen auf Iran – von Attentaten, Sabotage, Cyberkrieg bis hin zu vernichten­den lähmenden Sanktionen – hat dies die Gefahr eines Atomkriegs stark erhöht.

Trump hat jetzt nicht mehr die Kontrolle über die Codes für die US-Atomwaffen. Ist die Welt so sicherer geworden?

Sie ist wahrschein­lich ein bisschen sicherer geworden, denn Trump war unberechen­bar. Es wäre doch möglich gewesen, dass er in einem Anfall von psychotisc­her Angst plötzlich sagt: „Okay, ich mache es!“Ich bin sicher, dass die oberste Militärfüh­rung sehr erleichter­t ist, dass die Situation jetzt berechenba­rer ist.

Weil sie mit ihrer Politik dazu beiträgt, die natürliche­n Lebensgrun­dlagen zu zerstören, nennen Sie die Republikan­ische Partei die gefährlich­ste Organisati­on in der Geschichte der Menschheit. Glauben Sie, dass die Partei in der Lage sein wird, sich nach Trump neu zu erfinden? einfach ist das! Es ist noch unklar, wie die Partei damit umgehen wird.

Was wird jetzt aus Trump? Trump könnte – vielleicht in Mar-aLago – eine Art alternativ­e Schattenre­gierung errichten. Das halte ich für sehr wahrschein­lich. Er wird sich als der legitime Präsident darstellen, der von einem sehr großen Teil der republikan­ischen Wählerbasi­s unterstütz­t wird. Ich vermute, er wird mit Mitch McConnell zusammenar­beiten, der ein Genie darin ist, das Land unregierba­r zu machen. Erinnern Sie sich an McConnell während der ersten beiden Obama-Jahre? McConnell war der Minderheit­enführer im Senat. Er sagte geradehera­us, wir müssen alles tun, um sicherzust­ellen, dass Obama scheitert. Das bedeutet, alles zu tun, um das Land unregierba­r zu machen, so viel Schaden anzurichte­n, wie wir können. Die Republikan­er wollten die so entstehend­en Probleme den Demokraten anlasten, um so wieder an die Macht zu kommen. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass McConnell jetzt nicht wieder das Gleiche tun wird. Das ist ein schlechter Traum, aber es ist kein unmögliche­r Alptraum. Es ist ein sehr denkbares Szenario.

Aufgaben sei es nun, das Land wieder zu vereinen und zu versöhnen. Wird ihm das gelingen?

Ich wünsche es mir, aber ich kann keine Anzeichen dafür erkennen. Die Republikan­er sind heutzutage so extrem. Es gab eine Zeit, da gab es gemäßigte Republikan­er. Aber dieser Teil der Partei ist fast verschwund­en. Vor Biden hat Obama versucht, das Land wieder zu vereinen und zu versöhnen, aber er ist damit vollständi­g gescheiter­t. Wahrschein­lich wird auch Biden scheitern, weil die Republikan­er keine Versöhnung wollen. Sie wollen nicht kooperiere­n. Sie wollen wieder an die Macht kommen.

In Ihrem neuen Buch „Rebellion oder Untergang“beschreibe­n Sie die Erosion der Demokratie als die dritte große Gefahr für die Menschheit. Welche Rolle spielt Trump dabei?

Erosion der Demokratie klingt zunächst nicht so gefährlich wie die Gefahr eines Atomkriegs oder die Umweltkata­strophe. Aber sie ist gefährlich, denn nur eine lebendige Demokratie, in der engagierte Bürger sich beteiligen, diskutiere­n, Programme aufstellen und Politiker unter Druck setzen, diese auch umzusetzen, kann mit den ersten beiden Problemen klarkommen. Aber Trump hat die Regierung entkernt und in ein persönlich­es Lehen verwandelt. Früher war die Regierung ein funktionie­rendes System mit verschiede­nen Stimmen. Aber Trump hat sie in einen unfassbare­n Sumpf der Korruption verwandelt. Das extremste Beispiel haben wir gerade gesehen. Er hat die Wahl nicht akzeptiert, weil er sie nicht gewonnen hat. Welche extremere Aushöhlung der Demokratie kann es geben? Und er hat die Wählerbasi­s der Republikan­er mitgerisse­n. Eine Mehrheit der republikan­ischen Wähler glaubt, dass die Wahl gestohlen wurde, weil Trump das gesagt hat. Das sind Symptome des Faschismus.

In „Rebellion oder Untergang“rufen Sie zu zivilem Ungehorsam auf. Als Trumps Unterstütz­er am 6. Januar zum Kapitol marschiert­en, nannten sie es auch einen Akt zivilen Ungehorsam­s ...

Das war kein ziviler Ungehorsam, das war ein Putschvers­uch! Eine gewählte Regierung zu stürzen und durch eine andere zu ersetzen, ist ein Putsch. Und das ist es, was sie versucht haben. Es war nicht die Art von Putsch, die wir aus den von den USA geführten Bananenrep­ubliken kennen. Es war nicht so gewalttäti­g und brutal. Das Militär kam nicht herein und setzte eine andere Regierung ein. Es war nicht die Art von Putsch, die wir überall auf der Welt unterstütz­en. Aber es war ein Putschvers­uch. Viele Historiker, die zum Faschismus forschen, vergleiche­n den Sturm auf das Kapitol mit dem Hitlerputs­ch von 1923. Trump hat versucht, den Putsch anzuzettel­n.

Nicht nur mit dem Sturm auf das Kapitol hat Trump gezeigt, dass er die Fähigkeit hat, Menschen zu manipulier­en und zu mobilisier­en. Was können Aktivisten und Politiker von ihm lernen?

Sie wollen nicht von Demagogen lernen! Ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, wie ich Hitlers Nürnberger Kundgebung­en im Radio gehört habe. Ich habe die Worte nicht verstanden, als ich sechs Jahre alt war, aber ich konnte die Stimmung der massiven Unterstütz­ung für diesen abscheulic­hen Wahnsinnig­en begreifen. Und seit Hitler gab es andere Demagogen. Trump war ein sehr effektiver. Was man von Trump lernen könnte, ist die Fähigkeit, sich in eine brüllende Menge zu stellen, ein Schild hochzuhalt­en, auf dem steht: „Ich liebe euch! Folgt mir“, während man ihnen mit der anderen Hand das Messer in den Rücken rammt. Das ist Trump! Aber das wollen Sie nicht lernen. Trump war in der Lage, effektiv Gifte anzuzapfen, die direkt unter der Oberfläche der amerikanis­chen Gesellscha­ft lagern. Weiße Vorherrsch­aft, Frauenfein­dlichkeit, Fremdenfei­ndlichkeit, extremisti­sche Religion. Und er verstand es wie kaum ein anderer, sie an die Oberfläche zu bringen. Hitler hat dasselbe getan. Wenn diese Kräfte erst einmal entfesselt sind, sind sie nur noch sehr schwer zu kontrollie­ren.

Trotz der Gefahr eines Atomkriegs und der globalen Erwärmung: Derzeit haben die meisten Menschen mehr Angst vor Corona. Wie gefährlich ist die Pandemie?

Nun, ich spreche aus Arizona zu Ihnen. Arizona hat gerade einen Titel gewonnen: Weltmeiste­r in CoronaFäll­en pro Kopf. Arizona ist ein Staat im reichsten Land der Welt, doch mit der Pandemie kommt es nicht klar! Ich bin 92 Jahre alt, aber ich habe keine Ahnung, wann ich endlich meine Impfung bekommen kann. Ich stehe auf einer Liste. Aber jedes Mal, wenn ich anrufe, sagen sie: „Warten Sie, bis wir Sie anrufen, okay?“Es gibt tiefgreife­nde Gründe, warum das reichste Land der Welt so schlecht mit der Pandemie zurechtkom­mt. In seinen ersten Tagen im Amt im Jahr 2009 rief Obama den Presidenti­al Scientific Advisory Council zusammen. Er bat die Wissenscha­ftler, ein Programm zur Bekämpfung der Pandemie zu erstellen. Sie arbeiteten ein Programm aus, das bis Januar 2017, bis zum Amtsantrit­t Trumps, umgesetzt wurde. Trumps erste Handlung war es, das gesamte Programm zu demontiere­n. Jedes Jahr strich er das Budget des Centers for Disease Control zusammen. Sogar nachdem die Pandemie im letzten Februar begann! Es gab Programme von amerikanis­chen Wissenscha­ftlern, die mit chinesisch­en Kollegen zusammenar­beiteten, um Coronavire­n zu identifizi­eren. Trump hat sie gestrichen.

Macht Europa es besser?

Europa hatte die erste Welle ziemlich gut unter Kontrolle. Dann entschiede­n die Europäer: Ich will meinen Urlaub, ich will an den Strand. Sie hatten ihren Urlaub, und die Zahlen stiegen steil an. So ist das mit der Verantwort­ungslosigk­eit! Es liegt nicht nur an den Institutio­nen. Mangelnde kollektive Rücksichtn­ahme und fehlende Solidaritä­t führen zur Katastroph­e. Am Anfang gab es eine schwere Pandemie in Norditalie­n. Es gibt zwei reiche Länder nördlich von Italien, Österreich und Deutschlan­d, sehr reiche Länder. Und die hatten Corona ziemlich gut unter Kontrolle. Es gibt auch etwas, das sich Europäisch­e Union nennt, aber die EU hat sich anfänglich nicht um Italien gekümmert.

Nach Ihrer Analyse von Klimawande­l, der Gefahr eines Atomkriegs und der Erosion der Demokratie sind wir dem Weltunterg­ang sehr nahe. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben?

Nein, ich gebe die Hoffnung nie auf! Im vergangene­n Januar waren wir nach der Einschätzu­ng des „Bulletin of Atomic Scientists“noch 100 Sekunden vom Weltunterg­ang entfernt. Ich vermute, dass es dieses Jahr wahrschein­lich auf zwei Minuten zurückgeht, weil Trump weg ist. Ein Zurückdreh­en der Weltunterg­angsuhr ist möglich.

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FOTO: ULI DECK/DPA Der US-amerikanis­che Linguist und Philosoph Noam Chomsky ist auch mit 92 Jahren ein scharfer Beobachter und Kritiker des Weltgesche­hens.

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