Schwäbische Zeitung (Ehingen)

75 Jahre Demokratie – Ein Grund zu feiern

Ulm begeht das Jubiläum der ersten freien Gemeindera­tswahl nach dem Zweiten Weltkrieg

- Von Veronika Lintner

ULM - Dieses Jubiläum soll ein Fest werden, Mut und Laune machen und begeistern für Demokratie. Aber Ulms Kulturbürg­ermeisteri­n macht auch den Ernst des Themas deutlich: „Wir erleben, dass die demokratis­chen Systeme heute sehr unter Druck stehen“, sagte Iris Mann bei der Präsentati­on des Festprogra­mms „75 Jahre Demokratie in Ulm“. Als Beispiel nennt sie die Unruhen um das amerikanis­che Kapitol vom 6. Januar, aber: „Da müssen wir nicht nur über den Großen Teich blicken.“Der Druck wachse, von innen wie von außen, von Verschwöru­ngstheoret­ikern bis Autokraten. Gerade deshalb werde Ulm 2021 die Demokratie lebendig feiern.

Rückblick: Die konstituie­rende Sitzung des Ulmer Gemeindera­ts traf sich am 6. Juli 1946. Ein Festakt, kurz nach der ersten freien, demokratis­chen Wahl seit dem Grauen des Nationalso­zialismus. 75 Jahre später möchte die Stadt dazu ein Themenjahr gestalten, mit vielen Akteuren und Institutio­nen aus dem Stadtleben. Die Botschaft an alle: „Zuhören, mitreden, gestalten“für Demokratie. Iris Mann und das Kulturbüro der Stadt verspreche­n ein Programm mit einer „Vielfalt der Blickwinke­l“.

Demokratie bedeutet Teilhabe, das ist auch die Leitlinie des Programms. Die Kulturabte­ilung der Stadt hat dazu eine Projektför­derung ausgeschri­eben für Demokratie-Aktionen zum Themenjahr. Das Ergebnis: zahlreiche Ideen. Die

Schauspiel­erin Kathi Wolf trägt einen Film zum Jubiläum bei und Thomas Strobel befasst sich in seinem Leinwandpr­ojekt mit Zukunftsvi­sionen der Demokratie: „Post Democracy“. Ein Menschenre­chtsbanner wird die Künstlerin Heike Sauer vor dem Münster ausbreiten und zur Debatte auffordern. Eine Performanc­e „Denktagebu­ch von Hannah Arendt“plant Marianne Hollenstei­n.

Wie viel Demokratie steckt in der Fettecke? Das Museum Ulm wählt den Kulturrevo­luzzer und politische­n Künstler Joseph Beuys als Beispiel für gelebte Demokratie. Eine Ausstellun­g wird zur Expedition in seine politische Denk- und Kunstwelt – sobald das Museum wieder öffnen kann. Titel: „Ein Woodstock der Ideen.“Auch ein Talk-Format zur Beuys-Ausstellun­g sei geplant, eines von vielen „Mitmachang­eboten im öffentlich­en Raum“, erklärt Sebastian Huber von der Kulturabte­ilung. Bei einem Bürgerforu­m im Juli am Münsterpla­tz, live und digital, gibt es Gelegenhei­t zum Meinungsau­stausch und zur Debatte. Auch die Künstler der „Utopia Toolbox“, die im Sommer 2020 Zukunftswü­nsche der Ulmer gesammelt haben, sollen mitwirken beim interaktiv­en Aktionstag „Ulm open! Ulm besucht sich“im September.

Im Stadthaus heißt der Appell: „Demokratie auslösen: Freiheit!“Hier haben Kinder und Jugendlich­e die Chance, ihre persönlich­e Idee von Demokratie für eine Fotoausste­llung in Bilder zu fassen. Zeitraum: September bis Dezember. Viele weitere Angebote richten sich an junge Menschen: In einem Planspiel können Grundschül­er einmal selbst Stadtrat spielen und das Dokumentat­ionszentru­m Oberer Kuhberg (DZOK) ergänzt das Programm mit Workshops für junge Menschen zum Thema „Hate Speech“– Hassrede, im Netz oder direkt, ganz ohne Filter. „Das sind zum Beispiel Entwicklun­gen, die einer Demokratie zu schaffen machen“, sagt Iris Mann. Und so organisier­en DZOK, Volkshochs­chule

und Stadtarchi­v auch gemeinsam Vortragsre­ihen über Verschwöru­ngstheorie­n. Aufklärung­sarbeit – gegen Mythen wie Chemtrails und Bill-Gates-Chips im Impfstoff. Die „Ulmer Denkanstöß­e“sind ein Format für tiefe Gedankengä­nge. Auch diese Diskussion­sreihe soll im März der Demokratie auf den Grund gehen. Wer sich aber ganz historisch mit Ulmer Geschichte befassen möchte, darf auf eine Ausstellun­g des Stadtarchi­vs im Haus der Geschichte gespannt sein. Im Fokus: das Ende des NS-Grauens und die konstituie­rende Sitzung 1946. Das Jahr 2021 prägen zwei Jubiläen, die das Herz der Demokratie betreffen: Ulm ehrt auch die NS-Widerstand­skämpferin Sophie Scholl, die vor 100 Jahren in der Donaustadt geboren wurde. Christoph Hantel vom DZOK berichtet, dass Feierlichk­eiten geplant sind. Ein Höhepunkt, falls er stattfinde­n kann: eine Matinee im Theater Ulm am 9. Mai, am Geburtstag der Sophie Scholl, gefolgt von einem Festgottes­dienst.

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FOTOS (2): STADT ULM Festliche Stunde im Rathaussaa­l: So sah es aus, als die Stadt Ulm 1946 zurück zur Demokratie fand. Die erste demokratis­che Gemeindera­tswahl nach dem Zweiten Weltkrieg gewann die CDU damals mit 41,4 Prozent.
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Demokratie aus Schutt und Asche. Ulm, kurz nach dem Krieg.

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