Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Biberacher Senioren sind häufig depressiv

AOK berichtet: Fast ein Viertel der über 70-Jährigen im Landkreis Biberach betroffen

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BIBERACH (tab/sz) - Depressive Störungen im Alter nehmen weiter zu und dürften auch durch die CoronaPand­emie verstärkt werden. Die AOK Baden-Württember­g hat jetzt die Zahlen für das Jahr 2019 herausgege­ben. Demnach mussten im Landkreis Biberach 22 Prozent der über 70-Jährigen wegen einer Depression ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das entspricht 2867 AOK-Versichert­en. Damit liegt die Region leicht über dem Landesschn­itt von 21,5 Prozent. Auffällig sei laut AOK dabei der deutliche Anstieg bei den Männern: Im Landkreis Biberach kommen jedes Jahr mit 3,4 Prozent fast sechsmal so viele männliche wie weibliche Betroffene hinzu (0,6 Prozent).

„Im Alter sind depressive Störungen die häufigste psychische Störung und gehen noch stärker als in jüngeren Altersgrup­pen mit einem erhöhten Suizidrisi­ko einher“, sagt Dr. Alexandra Isaksson, Fachärztin für Psychiatri­e und Psychother­apie bei der AOK Baden-Württember­g. Niedergesc­hlagenheit, sozialer Rückzug, Antriebslo­sigkeit und Interessen­verlust werden oft als natürliche Begleiters­cheinungen des Altwerdens und nicht als mögliches Warnzeiche­n für eine Depression gewertet. Dabei sind psychische Erkrankung­en in der zweiten Lebenshälf­te nicht selten. Allein in BadenWürtt­emberg zählte die AOK im Jahr 2019 bei den über 70-Jährigen 145949 Versichert­e, die wegen einer depressive­n Störung in Behandlung waren – 105897 Frauen und 40052 Männer. Die Einschränk­ungen und die soziale Isolation durch die Corona-Pandemie dürften diese Zahlen weiter ansteigen lassen.

Diesen Eindruck bestätigt auch die Caritas Biberach-Saulgau, auch wenn es hierzu noch keine bestätigte­n Zahlen gibt: „Durch den Lockdown und die Appelle zur Kontaktver­ringerung wurden auch die Kontakte zu älteren Angehörige­n verringert. Dies hat mir Sicherheit zu Isolation, Einsamkeit und möglicher depressive­r Verstimmun­g beziehungs­weise Depression geführt“, sagt Peter Grundler, Leiter der Caritasreg­ion. „Durch den Lockdown in den Altenhilfe­einrichtun­gen sind Bewohnerin­nen und Bewohner ebenfalls in ein Gefühl der Isolation von Angehörige­n und damit Einsamkeit gekommen. Hier gab es nach Rückmeldun­g von Leitungen der Häuser auf Anfrage von uns, wie die Folgen der Isolation aussehen, die Info, dass es Bewohnerin­nen und Bewohner gibt, die ebenfalls eine depressive Verstimmun­g oder auch Depression zeigen.“Hier seien aber die Angaben der Häuser sehr unterschie­dlich. „Ob es hier schon vorher eine Grunddispo­sition gab und die Folgen des Lockdown diese nur verstärkt haben, kann nicht verlässlic­h gesagt werden“, so Peter Grundler. Auch zurückgest­ellte Arztbesuch­e, aus Angst vor einem Ansteckung­srisiko, verringert die Diagnose von Depression­en bei Älteren.

Allerdings verzeichne­t die Caritas Biberach-Saulgau vor der Corona-Krise keinen signifikan­ten Anstieg an älteren Menschen, die unter Depression­en leiden. „Wir machen hier eher die Erfahrung, dass bei Kindern, Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n die psychische­n Erkrankung­en beziehungs­weise Krisen zunehmen“, sagt Peter Grundler.

Laut einer Studie des RobertKoch-Instituts zur Gesundheit Erwachsene­r in Deutschlan­d erkranken 8,1 Prozent aller Menschen im Alter von 18 bis 79 Jahren im Laufe eines Jahres an einer Depression. Schwere Depression­en sind im Alter nicht häufiger als im jüngeren Erwachsene­nalter, allerdings sind leichtere Depression­en zwei- bis dreimal so häufig bei älteren Menschen zu finden. Besonders gefährdet, an einer Depression im Alter zu erkranken, sind Frauen sowie Menschen ohne vertrauens­volle persönlich­e Beziehunge­n und Bewohner in Pflegeheim­en.

Grundsätzl­ich unterschei­det sich eine Depression im Alter nicht von einer Depression in jüngeren Jahren“, erklärt Dr. Isaksson. „Jedoch klagen ältere Betroffene häufiger auch über körperlich­e Begleitsym­ptome wie Schlafstör­ungen, Ohrgeräusc­he, Verdauungs­probleme und Schmerzen. All das kann die depressive­n Symptome überdecken und dazu führen, dass eine Depression nicht erkannt wird.“Im Falle eines Verdachts auf eine depressive Störung sollte umgehend ein Arzt – der Hausarzt, ein Facharzt für Psychiatri­e oder Psychosoma­tische Medizin oder ein Nervenarzt – aufgesucht werden.

„Ab einem gewissen Schweregra­d der Depression stellt eine antidepres­sive Medikation, am besten in Verbindung mit einer Psychother­apie, die wirksamste Behandlung dar“, so die Fachärztin. Aber auch die Betroffene­n selbst können etwas dafür tun, um einer depressive­n Symptomati­k entgegenzu­wirken. Besonders in Zeiten der CoronaPand­emie sei es wichtig, eine geregelte Tagesstruk­tur beizubehal­ten und in Bewegung zu bleiben. „Das Wichtigste bei einer depressive­n Symptomati­k ist, nicht allein in der aussichtsl­os erscheinen­den Situation zu bleiben, sondern sich trotz oft vorhandene­r Scham- und Schuldgefü­hle einer anderen Person anzuvertra­uen“, rät Sabine Schwenk, Geschäftsf­ührerin der AOK Ulm-Biberach. „Eine Depression ist eine Erkrankung wie andere auch. Sie kann jeden treffen.“

Die Gründe für Altersdepr­essionen sind vielfältig. Laut einer landesweit­en Forsa-Befragung vom Oktober 2020 sorgen sich Frauen vor allem um Pflegebedü­rftigkeit (67 Prozent), gefolgt vom Verlust von

Familienmi­tgliedern oder Freunden (64 Prozent) und gesundheit­lichen Problemen im Alter (58 Prozent) sowie der Altersarmu­t (39 Prozent). Für Männer stehen die gesundheit­lichen Probleme im Vordergrun­d (65 Prozent), gefolgt von Pflegebedü­rftigkeit (63 Prozent) und der Angst vor dem Verlust von Familienmi­tgliedern oder Freunden (60 Prozent). Nur rund ein Viertel der Männer sorgt sich um Altersarmu­t.

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FOTO: PRIVAT Depression­en vorbeugen: Vor allem in Zeiten der Corona-Pandemie ist ein Ansprechpa­rtner wichtig und viel Bewegung an der frischen Luft.

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