Hoffnungslose Jagd auf den Zwölfender
Deutschland, Land der Jäger: 397 414 Menschen gingen 2020 hierzulande zur Jagd – so viele wie nie zuvor. Das sind 8900 mehr als im Jahr zuvor und sogar 75 700 mehr als 1990, teilt der Deutsche Jagdverband begeistert mit. Was zum neuen Jagdfieber geführt hat, erklärt der DJV hingegen nicht. War es die Sorge, dass nach dem Klopapier auch das Fleisch knapp werden könnte? Oder hat die mehrfache Verschiebung des neuen „James Bond“dafür gesorgt, dass jetzt mehr Menschen selbst Jagd auf Schurken machen möchten? Unklar.
Offensichtlich ist nur, dass das Jagdfieber ● nicht auf den Fußball in Deutschland übergegriffen hat – auch wenn die martialische Sprache häufig dieselbe ist. Während Rehe, Wildschweine und Kaninchen zunehmend auf der Hut sein müssen, kann der Zwölfender Bayern München wie eh und je ohne Gefahr über jede noch so gut einsehbare Lichtung spazieren. Denn den Anspruch an einen Titeljäger erfüllen die, die die Münchner verfolgen, nicht. Konstanz? Fehlanzeige! Souveränität? Mäßig! Die Folge: Selbst wenn die Bayern schwächeln, schwächeln die Verfolger erst recht.
Seit Jahren formulieren die Jäger des ●
FC Bayern mehr oder weniger deutlich ihre hehren Ziele: Punkten, wenn der Rekordmeister verliert, attackieren, wenn der Meister in die Defensive gedrängt wird. „Wir wollen da sein, wenn die Bayern mal schwächeln“, sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer
Hans-Joachim Watzke im Sommer 2015. Drei Jahre später bekräftigte er: „Wenn die Bayern einmal schwächeln, dann werden wir sie auch wieder packen.“Nahezu identisch im Wortlaut argumentierten auch andere Möchtegern-Bayernjäger: „Wenn Bayern schwächelt, muss Schalke da sein“
(Horst Heldt, 2013), „Es wäre schade, wenn wir (Leverkusen) nicht da wären, sollten die Bayern mal schwächeln“
(Roger Schmidt, 2016), „Aber wenn sie schwächeln, müssen die anderen Mannschaften da sein. Dazu gehören wir (Leipzig) auch“(Julian Nagelsmann, 2019). Noch zu Ende des vergangenen Jahres, also gerade einmal vor vier Wochen, hatte sich dann Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes angriffslustig gegeben: „Platz eins ist ein schöner Platz.“
Und nun? Nach dem 4:0-Sieg gegen ●
Schalke sind die Bayern einmal mehr enteilt, weil die Herausforderer schon vor dem Spiel der Münchner krachend gescheitert waren und den Dauermeister somit schon vor dem eigenen Eingreifen zum Sieger des Wochenendes machten. Wieder einmal heißt es: Wenn die Jäger schwächeln, sind die Bayern da. Das müssen auch die Verfolger, die eigentlich gar keine mehr sind, einsehen – auch wenn sie dieses Mal zu anderen Wortbildern griffen: „Zumindest sitzt Bayern im ICE und wir in der Regionalbahn. Es gibt wenige Regionalbahnen, die einen ICE noch einholen“, konstatierte Leipzig-Trainer Nagelsmann nach der völlig überraschenden 2:3-Niederlage des Tabellenzweiten beim Vorletzten in Mainz.
Wir bleiben hier aber lieber beim ● klassischen Bild der Jagd. Und bei dieser offenbarten sich am Wochenende nicht nur bei den Topteams eklatante Schwächen. Zwar – das muss man zugeben – sorgten die zahlreichen Tore durchaus für Unterhaltung, bei der Schussgenauigkeit einiger Profis muss jedoch angenommen werden, dass die meisten Treffer eher dem Zufall geschuldet waren. Welche Präzision nämlich tatsächlich in der Bundesliga herrscht, offenbarte sich bei den Elfmetern, der Königsdisziplin der Schützen im Fußball. Am Samstag fanden drei von vier Strafstößen nicht den Weg ins Ziel.
Nur einer wurde am Wochenende ●
seinem Ruf als Killer gerecht: Florian Kohfeldt. Seit seinem Amtsantritt im Oktober 2017 hat der Bremer Coach vier Kollegen aus dem Trainerstuhl befördert: Für Peter Bosz (Dortmund, Dezember 2017), Alexander Nouri
(Hertha BSC, April 2020) und David Wagner (Schalke, September 2019) war nach einer Niederlage gegen Werder Schluss. Am Sonntag traf es nun auch Bruno Labbadia. Ein Rekord, auf den Kohfeldt alles andere als stolz ist: „Das ist unangenehm. Es ist nie schön, wenn ein Trainerkollege gehen muss.“
Bleibt festzuhalten, für die Bundesliga ● gilt: Die, die jagen möchten, können es nicht. Und die, die es nicht möchten, werden ungewollt zum Killer.