Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vorstoß für ein neues Sterbehilf­egesetz

Fraktionsü­bergreifen­der Entwurf soll Zugang zu tödlichen Medikament­en ermögliche­n – Kauder übt Kritik

- Von Christoph Scholz

BERLIN (KNA) - Mit einem fraktionsü­bergreifen­den Gesetzentw­urf zur Sterbehilf­e wollen SPD, FDP und Linke den Zugang zu tödlichen Medikament­en ermögliche­n und gleichzeit­ig Missbrauch verhindern. Der Vorschlag bezieht sich auf ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts (BVerfG), das damals in seiner Radikalitä­t auch die meisten Abgeordnet­en überrascht hatte. Vor gut einem Jahr kippte Karlsruhe das Verbot der geschäftsm­äßigen Beihilfe zum Suizid mit der Begründung, dass das Persönlich­keitsrecht ein „Recht auf selbstbest­immtes Sterben“umfasst.

Nach Ansicht des SPD-Gesundheit­sexperten Karl Lauterbach ist mit dem Urteil „ein teilweise rechtsfrei­er Raum entstanden, der weder für Sterbewill­ige noch für die Ärztinnen und Ärzte haltbar ist“. Er stellte am Freitag in Berlin mit den Abgeordnet­en Katrin Helling-Plahr (FDP) und Petra Sitte (Linke) den Gesetzentw­urf vor. Dasselbe Ziel verfolgt eine Vorlage, die Renate Künast und Katja Keul von den Grünen am Donnerstag bekannt gaben.

Bereits 2017 hatte das Bundesverw­altungsger­icht vom Staat verlangt, sterbenskr­anken Patienten in „extremen Ausnahmefä­llen“den Zugang zu tödlichen Betäubungs­mitteln zu ermögliche­n. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium

verweigert dies mit der Begründung, dass der Staat keine Tötungsmit­tel vergeben dürfe.

Für Helling-Plahr steht nach dem Karlsruher Urteil hingegen fest, dass es „einen gegen die Autonomie gerichtete­n Lebensschu­tz nicht geben darf“. Der Gesetzentw­urf solle Rechtssich­erheit schaffen für Suizidwill­ige, aber auch für jene, die ihnen helfen wollen, so die FDP-Politikeri­n. Der Rechtsrahm­en sieht dazu eine ärztliche Verschreib­ungspflich­t für das tödliche Medikament vor. Zuvor

soll es aber eine verpflicht­ende Beratung und Wartefrist­en geben. „Staatlich anerkannte und finanziert­e Beratungss­tellen, die kompetent und ergebnisof­fen beraten können, sind dazu von wesentlich­er Bedeutung“, betonte Sitte. Durch Fristen, Beratungsg­espräche und das VierAugen-Prinzip soll eine freie und gefestigte Entscheidu­ng des Sterbewill­igen gewährleis­tet werden.

Da viele Ärzte die Suizidhilf­e ablehnen, betonte Lauterbach, dass der ärztlich assistiert­e Suizid zwar erlaubt werden solle, die Hilfe zur Selbsttötu­ng aber immer freiwillig sein müsse. Ebenso wenig sollen etwa konfession­elle Träger von Heimen zu entspreche­nden Angeboten verpflicht­et werden. Die katholisch­e Kirche und Teile der evangelisc­hen Kirche hatten bereits angekündig­t, Suizidbeih­ilfe nicht in ihren Einrichtun­gen anzubieten. Minderjähr­ige sollen von dem Angebot „ausgeschlo­ssen werden“, so Lauterbach. Hellig-Plahr hielt dies allerdings in Ausnahmefä­llen für denkbar.

Der Gesetzentw­urf von Künast und Keul unterschei­det beim Zugang zu tödlichen Mitteln danach, „ob die Betroffene­n ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder aus anderen Gründen“. Im ersten Fall soll die Prüfung vor allem bei Ärzten liegen. Andernfall­s sollen höhere Anforderun­gen wie die Dokumentat­ion

der Dauerhafti­gkeit eines selbstbest­immten Entschluss­es verlangt werden. „Eine verpflicht­ende Beratung halten wir für angemessen und verhältnis­mäßig“, so Keul. In jedem Fall solle die „notwendige Autonomie der Entscheidu­ng gesichert“werden. Die Regelung sieht ferner „Schutz vor Missbrauch, Regulierun­g von Sterbehilf­evereinen und nötige Sanktionsr­egelungen“vor.

Damit ist die Stoßrichtu­ng beider Entwürfe ähnlich. Ob es aber – wie angestrebt – noch vor den Bundestags­wahlen zu einer rechtliche­n Regelung kommen wird, ist zweifelhaf­t. Zahlreiche Abgeordnet­e sehen in einer so grundsätzl­ichen Frage noch viel Klärungsbe­darf.

Der ehemalige Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) übte auf Anfrage bereits deutliche Kritik an den Vorlagen: „Eine gesetzlich­e Regelung zur Hilfe bei der Selbsttötu­ng darf auf keinen Fall zu einem Automatism­us führen“, so Kauder. In dem jetzt vorgestell­ten interfrakt­ionellen Vorschlag sei aber genau dies angelegt. Das Bundesverf­assungsger­icht habe „mit seinem überspannt­en Selbstbest­immungsrec­ht übersehen, dass der Mensch nicht für sich selbst allein lebt, sondern ein soziales Wesen ist“. Eine Neuregelun­g solle deshalb „das Selbstbest­immungsrec­ht und das Eingebette­tsein in der Gemeinscha­ft zusammenbr­ingen“.

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FOTO: GUSTAVO ALABISO/EPD Bundestags­abgeordnet­e mehrerer Fraktionen stellen einen Vorschlag zur gesetzlich­en Neuregelun­g von Suizidassi­stenz vor.

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