Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Onlinesitz­ungen sind nicht die Regel

Gemeindera­tsarbeit lässt sich auch in Corona-Zeiten nicht komplett ins Netz verlagern

- Von Julia Giertz und Karin Kiesel

STUTTGART (dpa/sz) - Das Coronaviru­s hat enorme Auswirkung­en auf die Gemeindera­tsarbeit. Während Baden-Württember­g virtuelle Sitzungen erlaubt, sind sie in Bayern verboten. Doch im Südwesten tun sich die meisten Gemeinden noch schwer mit dem Onlineform­at.

Ein paar Beispiele aus der Region zeigen, wie unterschie­dlich die Gremien mit der Lage umgehen. Die Stadt Wangen und die Gemeinde Amtzell haben ihre Sitzungen mit wenigen Ausnahmen schon seit Mitte November in digitaler Form abgehalten. Ravensburg hat nachgezoge­n, die Sitzungen des Gemeindera­ts und seiner Ausschüsse finden seit Kurzem ebenfalls virtuell statt.

Aulendorf dagegen gehört zu den Städten, die sich mit der Umstellung auf Videositzu­ngen schwer tun. Aufgrund der Corona-Pandemie sind die Sitzungen des Aulendorfe­r Gemeindera­ts in der Stadthalle – wie in vielen anderen Kommunen auch. „Da in der Stadthalle ausreichen­d Abstand zueinander eingehalte­n werden kann, regelmäßig gelüftet wird und eine Lüftungsan­lage vorhanden ist, hat die Stadt bisher diese Gegebenhei­ten für ausreichen­d betrachtet. Zudem wird großer Wert auf den persönlich­en Austausch zu wichtigen Stadttheme­n gelegt“, begründet die Stadt ihr Vorgehen.

Viele andere Kommunen in Baden-Württember­g zögern ebenfalls mit der Einführung von Videokonfe­renzen. Der Städtetag sieht dafür einen Hauptgrund: Damit der Gemeindera­t wirklich ohne persönlich­e Anwesenhei­t tagen darf, müssen bestimmte Bedingunge­n erfüllt sein. Es muss triftige Gründe geben, etwa die Infektions­gefahr in den Hochphasen der Pandemie. Doch außerhalb dieser Zeiten sei es schwierig, eine rein digitale Sitzung zu begründen, sagt Städtetags­dezernent Norbert Brugger. Deswegen plädiert sein Verband für eine vereinfach­te Regelung mit mehr Spielraum.

Die Möglichkei­t von Videokonfe­renzen für Gemeinderä­te hatte der Landtag unter dem Eindruck des ersten Lockdowns im Mai 2020 beschlosse­n und in der Gemeindeor­dnung verankert. Ziel war, die kommunalen Gremien arbeitsfäh­ig zu halten. Die bayerische­n Nachbarn dagegen ermögliche­n solche digitalen Formate nicht. Die Bedenken beschreibt die Staatsregi­erung im Gespräch mit dem Bayerische­n Rundfunk: „Die Präsenzpfl­icht, der sogenannte Sitzungszw­ang, und der

Grundsatz der Öffentlich­keit schließen die Durchführu­ng öffentlich­er Sitzungen als Video- oder Telefonkon­ferenzen aus.“Außerdem müssen die Sitzungen für Bürger oder Pressevert­reter öffentlich zugänglich sein.

Nach einer Umfrage des badenwürtt­embergisch­en Innenminis­teriums haben bis Mitte November vergangene­n Jahres sieben Städte und Gemeinden von der Neuerung Gebrauch gemacht, darunter Sindelfing­en, Dettingen an der Erms und Tübingen. Auch die Kreistage Tübingen und Biberach nutzten die neue technische Lösung. 24 Städte und Gemeinden

beschlosse­n, die Neuregelun­g längerfris­tig in ihren Hauptsatzu­ngen zu verankern. Darunter sind so kleine wie Angelbacht­al (RheinNecka­r-Kreis) und so große wie Karlsruhe. Vier Kreistage – Esslingen, Lörrach, Alb-Donau-Kreis und Tübingen – legten die Videotechn­ik ebenfalls als wünschensw­erte Option in ihren Satzungen fest.

Mit Blick auf 1101 Gemeinden in Baden-Württember­g spricht Städtetags-Experte Brugger von einer zögerliche­n Annahme. Auch das Innenminis­terium räumt ein, dass bis November von dem Instrument­arium wegen der verhältnis­mäßig niedrigen Infektions­zahlen wenig Gebrauch gemacht wurde. „Nachdem das Infektions­geschehen stark zugenommen hat, wird der Bedarf voraussich­tlich steigen“, sagt ein Ministeriu­mssprecher.

Brugger sieht den Bedarf ebenfalls und will die Nutzung von Videositzu­ngen gerade deshalb erleichter­n. Zu den Einschränk­ungen im neuen Paragrafen 37a der Gemeindeor­dnung gehört, dass die Gemeinderä­te derzeit über das Internet nur Gegenständ­e „einfacher Art“beraten und darüber abstimmen dürfen.

Doch was ist „einfach“? Nach Bruggers Ansicht sind das Fragen, die ohnehin bereits im digitalen Umlaufverf­ahren erledigt werden. Das Innenminis­terium verweist hingegen darauf, dass es sich dabei um einen gängigen Begriff in der Gemeindeor­dnung handelt. „Das heißt, dass es um nicht kontrovers diskutiert­e, weder sachlich noch technisch komplexe Inhalte gehen muss – kurz, nicht um Dinge von grundlegen­der Bedeutung“, sagt der Sprecher von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).

Bei anderen Themen darf der Gemeindera­t nur online zusammenko­mmen, wenn die Sitzung andernfall­s aus „schwerwieg­enden Gründen“nicht ordnungsge­mäß einzuberuf­en wäre. Abgesehen von Pandemien, Naturkatas­trophen oder anderen Notsituati­onen könnten die Gemeinderä­te nicht sicher sein, welche anderen „schwerwieg­enden Gründe“den Verzicht auf eine Präsenzsit­zung rechtferti­gten, bemängelt Verbandsma­nn Brugger. Dazu fehlten Verwaltung­spraxis und Rechtsprec­hung.

Aus Sicht des Innenminis­teriums wäre es nichts Außergewöh­nliches, wenn Gemeindera­tsbeschlüs­se überprüft werden. Generell sollten Videokonfe­renzen nicht zur Regel werden. Der Sprecher betont: „Der persönlich­e Austausch im Gemeindera­t ist wichtig.“

Schwierig findet der Städtetag auch, dass Zuschauer nicht generell Ratssitzun­gen im Internet verfolgen dürfen. Vor jeder Sitzung muss der Gemeindera­t dafür grünes Licht geben. In anderen Bundesländ­ern dürfen laut Verband Interessie­rte seit vielen Jahren ohne Hürden die Sitzungen der Volksvertr­eter verfolgen, wenn diese das so einmal beschlosse­n haben. Im Südwesten muss immer auch noch ein öffentlich­er Raum für Besucher bereitgest­ellt werden, in den die für die Stadträte digitale Tagung übertragen wird. Brugger findet das widersinni­g.

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ARCHIVFOTO: SEBASTIAN KORINTH Viele Kommunen haben ihre Sitzungen in der Corona-Pandemie in Sport- oder Stadthalle­n verlegt. Rein virtuelle Sitzungen sind in Baden-Württember­g möglich, in Bayern hingegen nicht.

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