Onlinesitzungen sind nicht die Regel
Gemeinderatsarbeit lässt sich auch in Corona-Zeiten nicht komplett ins Netz verlagern
●
STUTTGART (dpa/sz) - Das Coronavirus hat enorme Auswirkungen auf die Gemeinderatsarbeit. Während Baden-Württemberg virtuelle Sitzungen erlaubt, sind sie in Bayern verboten. Doch im Südwesten tun sich die meisten Gemeinden noch schwer mit dem Onlineformat.
Ein paar Beispiele aus der Region zeigen, wie unterschiedlich die Gremien mit der Lage umgehen. Die Stadt Wangen und die Gemeinde Amtzell haben ihre Sitzungen mit wenigen Ausnahmen schon seit Mitte November in digitaler Form abgehalten. Ravensburg hat nachgezogen, die Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse finden seit Kurzem ebenfalls virtuell statt.
Aulendorf dagegen gehört zu den Städten, die sich mit der Umstellung auf Videositzungen schwer tun. Aufgrund der Corona-Pandemie sind die Sitzungen des Aulendorfer Gemeinderats in der Stadthalle – wie in vielen anderen Kommunen auch. „Da in der Stadthalle ausreichend Abstand zueinander eingehalten werden kann, regelmäßig gelüftet wird und eine Lüftungsanlage vorhanden ist, hat die Stadt bisher diese Gegebenheiten für ausreichend betrachtet. Zudem wird großer Wert auf den persönlichen Austausch zu wichtigen Stadtthemen gelegt“, begründet die Stadt ihr Vorgehen.
Viele andere Kommunen in Baden-Württemberg zögern ebenfalls mit der Einführung von Videokonferenzen. Der Städtetag sieht dafür einen Hauptgrund: Damit der Gemeinderat wirklich ohne persönliche Anwesenheit tagen darf, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Es muss triftige Gründe geben, etwa die Infektionsgefahr in den Hochphasen der Pandemie. Doch außerhalb dieser Zeiten sei es schwierig, eine rein digitale Sitzung zu begründen, sagt Städtetagsdezernent Norbert Brugger. Deswegen plädiert sein Verband für eine vereinfachte Regelung mit mehr Spielraum.
Die Möglichkeit von Videokonferenzen für Gemeinderäte hatte der Landtag unter dem Eindruck des ersten Lockdowns im Mai 2020 beschlossen und in der Gemeindeordnung verankert. Ziel war, die kommunalen Gremien arbeitsfähig zu halten. Die bayerischen Nachbarn dagegen ermöglichen solche digitalen Formate nicht. Die Bedenken beschreibt die Staatsregierung im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk: „Die Präsenzpflicht, der sogenannte Sitzungszwang, und der
Grundsatz der Öffentlichkeit schließen die Durchführung öffentlicher Sitzungen als Video- oder Telefonkonferenzen aus.“Außerdem müssen die Sitzungen für Bürger oder Pressevertreter öffentlich zugänglich sein.
Nach einer Umfrage des badenwürttembergischen Innenministeriums haben bis Mitte November vergangenen Jahres sieben Städte und Gemeinden von der Neuerung Gebrauch gemacht, darunter Sindelfingen, Dettingen an der Erms und Tübingen. Auch die Kreistage Tübingen und Biberach nutzten die neue technische Lösung. 24 Städte und Gemeinden
beschlossen, die Neuregelung längerfristig in ihren Hauptsatzungen zu verankern. Darunter sind so kleine wie Angelbachtal (RheinNeckar-Kreis) und so große wie Karlsruhe. Vier Kreistage – Esslingen, Lörrach, Alb-Donau-Kreis und Tübingen – legten die Videotechnik ebenfalls als wünschenswerte Option in ihren Satzungen fest.
Mit Blick auf 1101 Gemeinden in Baden-Württemberg spricht Städtetags-Experte Brugger von einer zögerlichen Annahme. Auch das Innenministerium räumt ein, dass bis November von dem Instrumentarium wegen der verhältnismäßig niedrigen Infektionszahlen wenig Gebrauch gemacht wurde. „Nachdem das Infektionsgeschehen stark zugenommen hat, wird der Bedarf voraussichtlich steigen“, sagt ein Ministeriumssprecher.
Brugger sieht den Bedarf ebenfalls und will die Nutzung von Videositzungen gerade deshalb erleichtern. Zu den Einschränkungen im neuen Paragrafen 37a der Gemeindeordnung gehört, dass die Gemeinderäte derzeit über das Internet nur Gegenstände „einfacher Art“beraten und darüber abstimmen dürfen.
Doch was ist „einfach“? Nach Bruggers Ansicht sind das Fragen, die ohnehin bereits im digitalen Umlaufverfahren erledigt werden. Das Innenministerium verweist hingegen darauf, dass es sich dabei um einen gängigen Begriff in der Gemeindeordnung handelt. „Das heißt, dass es um nicht kontrovers diskutierte, weder sachlich noch technisch komplexe Inhalte gehen muss – kurz, nicht um Dinge von grundlegender Bedeutung“, sagt der Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU).
Bei anderen Themen darf der Gemeinderat nur online zusammenkommen, wenn die Sitzung andernfalls aus „schwerwiegenden Gründen“nicht ordnungsgemäß einzuberufen wäre. Abgesehen von Pandemien, Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen könnten die Gemeinderäte nicht sicher sein, welche anderen „schwerwiegenden Gründe“den Verzicht auf eine Präsenzsitzung rechtfertigten, bemängelt Verbandsmann Brugger. Dazu fehlten Verwaltungspraxis und Rechtsprechung.
Aus Sicht des Innenministeriums wäre es nichts Außergewöhnliches, wenn Gemeinderatsbeschlüsse überprüft werden. Generell sollten Videokonferenzen nicht zur Regel werden. Der Sprecher betont: „Der persönliche Austausch im Gemeinderat ist wichtig.“
Schwierig findet der Städtetag auch, dass Zuschauer nicht generell Ratssitzungen im Internet verfolgen dürfen. Vor jeder Sitzung muss der Gemeinderat dafür grünes Licht geben. In anderen Bundesländern dürfen laut Verband Interessierte seit vielen Jahren ohne Hürden die Sitzungen der Volksvertreter verfolgen, wenn diese das so einmal beschlossen haben. Im Südwesten muss immer auch noch ein öffentlicher Raum für Besucher bereitgestellt werden, in den die für die Stadträte digitale Tagung übertragen wird. Brugger findet das widersinnig.