Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Keine Wunder zu erwarten

Wie es nach Angela Merkels Impfgipfel mit den Länderregi­erungen weitergeht

- Von Dieter Keller und Finn Mayer-Kuckuck

BERLIN - „Wunder werden jetzt nicht passieren.“In ihrer bekannt nüchternen Art hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die Ergebnisse des Impfgipfel­s mit den Ministerpr­äsidenten aller Länder zusammenge­fasst. Aber wie wird es nun weitergehe­n?

Wie viel Impfstoff ist mittelfris­tig ● verfügbar?

Dazu gibt es nur Prognosen (siehe Tabelle). Genauer könnten sie nicht planen, machten die Vertreter der Hersteller­firmen klar: Der Prozess ist komplizier­t, und es müssen die dafür erforderli­chen Rohstoffe vorrätig sein.

Warum lässt sich die Produktion ● nicht schneller steigern?

Eine Produktion von Hustensaft oder Aspirin lässt sich nicht einfach auf Impfstoff umstellen. Die Vorbereitu­ng und die Genehmigun­g dauern viele Monate. Zudem stehen die nötigen Grundstoff­e nicht in beliebiger Menge zur Verfügung. Staatliche Anweisunge­n würden daher aus Sicht der Bundesregi­erung genauso wenig bringen wie Zwangslize­nzen. Zudem fehlt es auch an einfachen Dingen wie Ampullen, Stopfen und Spritzen.

Wenn die Lieferunge­n so unsicher ● sind, wie sollen die Länder das Impfen planen?

Das neue Schlüsselw­ort heißt „modelliere­n“: Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium soll Modellrech­nungen anstellen mit unterschie­dlichen Varianten, welche Liefermeng­en wann ankommen. Mehrere Szenarien ermögliche­n es den Ländern, die Zielgruppe­n richtig einzuladen. Die Organisati­on bleibt Sache der Länder.

Reicht der Impfstoff, um bis zum ●

Ende des Sommers alle zu impfen, die das wollen?

Dieses Verspreche­n wiederholt­e Merkel, und ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass es realistisc­h sein sollte: Es gibt etwa 70 Millionen Bundesbürg­er über 18 Jahren; für Jüngere eignen sich die meisten Impfstoffe nicht. Allein mit Biontech, Moderna und Astra-Zeneca gibt es feste Verträge über 143 Millionen Dosen bis Ende September. Das reicht für eine zweimalige Impfung aller, die sich immunisier­en lassen wollen.

Was ist mit dem Impfstoff von ●

Johnson & Johnson?

Auf ihm ruhen aktuell große Hoffnungen. Für dieses Produkt hat die EU schon konkrete Bestellung­en abgegeben. Das Präparat hat im Vergleich zum Marktführe­r Biontech große Vorteile, aber auch Nachteile. Es ist bei Raumtemper­atur stabil und hält sich im normalen Kühlschran­k mindestens drei Monate. Das Serum lässt sich also über Apotheken und Arztpraxen verteilen, sobald die Vorranggru­ppen geimpft sind. Es ist zudem zweimal ergiebiger als die bisherigen Angebote – es reicht nämlich anders als bei diesen eine Impfdosis. Ein Problem: gegen die südafrikan­ische Virusvaria­nte schützt der Impfstoff nur zu 57 Prozent. Johnson & Johnson wirbt zwar mit einer Wirksamkei­t von 72 Prozent in den USA – doch die Daten wurden erhoben, bevor die Mutanten sich dort verbreiten konnten. Auf der Positivsei­te: Der Impfstoff konnte seine Wirksamkei­t für Senioren beweisen – anders als das Produkt von Astra-Zeneca, für das in dieser Altersgrup­pe noch Daten fehlen.

Gibt es weitere erfolgvers­prechende ● Vakzine?

Der Impfstoff des US-Hersteller­s Novavax verhindert die Erkrankung

zu 90 Prozent – und liegt damit gleichauf mit den Produkten von Biontech und Moderna. Dumm nur, dass die EU keinen Liefervert­rag mit Novavax abgeschlos­sen hat und bisher nur Vorgespräc­he führt. Leider überlistet die in Südafrika zuerst entdeckte Variante auch Novavax, die Wirksamkei­tsrate fällt dramatisch ab. Es sieht so aus als werde dieser Virenstamm zu einem echten Problem für die Impfstoffh­ersteller.

Und der Impfstoff von Curevac ● aus Tübingen?

Die EU hat bereits einen Vertrag mit dem Hersteller. Die letzte Testreihe wird aber erst frühstens Ende März abgeschlos­sen sein. Wenn das Präparat einige Wochen danach die Zulassung erhält, soll es mit den Lieferunge­n losgehen. Curevac ist nach eigenen Angaben zudem dazu bereit, über eine schnellere Notfallzul­assung zu sprechen. Bis Juni soll Curevac nach bisheriger Prognose der Regierung 3,5 Millionen Dosen bereitstel­len. Die Mengen werden in der zweiten Jahreshälf­te stark steigen.

Was ist mit Seren aus China oder ●

Russland?

Eine neue Wendung nahm die Impfstoffd­iskussion durch eine Äußerung von Gesundheit­sminister Jens

Spahn (CDU) in einem Interview. Dieser hatte es zumindest nicht ausgeschlo­ssen, russische oder chinesisch­e Impfstoffe zu beschaffen. Russland hatte sich bereit erklärt, der EU 100 Millionen Dosen von Sputnik V zu liefern. Laut einer im renommiert­en Fachblatt „The Lancet“veröffentl­ichten Studie schützte das Vakzin 91,6 Prozent der Geimpften. Ebenso ist China immer bereit, die Produkte der Firmen Sinopharm, Sinovac und Cansino Biologics zur Verfügung zu stellen. Sowohl China als auch Russland wollen mit der hohen Lieferbere­itschaft auch die Leistungsf­ähigkeit ihrer Pharmaindu­strie herausstel­len und vermarkten die Impfstoffe im politische­n Auftrag eher offensiv. Die internatio­nalen Lieferunge­n der beiden Länder gehen dabei sogar auf Kosten der eigenen Immunisier­ungsanstre­ngungen, die erst am Anfang stehen. Ungarn hat bereits zugegriffe­n und zwei Millionen Dosen Sputnik V und fünf Millionen Dosen des SinopharmV­akzins bestellt. Die Regierung lehnt sich damit gegen die solidarisc­he, aber langsame Beschaffun­g durch die EU auf. Die Seren hat Ungarn im nationalen Alleingang zugelassen. Weder für Sputnik V noch für die chinesisch­en Angebote liegt bei der EU ein Zulassungs­antrag vor.

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