Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Krisenmana­gerin im Kreuzfeuer

Als wäre Corona nicht genug, setzt eine Pannenseri­e Ursula von der Leyen zu

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - In Brüssel überschlag­en sich die Ereignisse, seit letzte Woche bekannt wurde, dass Astra-Zeneca von der EU reserviert­en und bezahlten Impfstoff unter fadenschei­nigen Vorwänden an andere Kunden geliefert hat. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) bemüht sich um Schadensbe­grenzung und kämpft dabei an mehreren Fronten. Denn zusätzlich zur Impfkrise und einer folgenschw­eren Informatio­nspanne bei der Veröffentl­ichung des Vertragste­xtes mit dem britischsc­hwedischen Pharmakonz­ern hat sich die Chefin nun auch noch eine handfeste Irlandkris­e eingehande­lt.

Fast 900 Not- und Krisenents­cheidungen habe sie bisher in ihrer kurzen Amtszeit treffen müssen, rechtferti­gte sich von der Leyen am Montag im Interview mit mehreren großen europäisch­en Zeitungen. Bereits Sonntagabe­nd hatte sie via „Heute-Journal“dem deutschen Publikum erklärt, 18 Millionen Impfdosen für 370 Millionen erwachsene Europäer seien doch gar keine so schlechte Bilanz für den Anfang. In einem Brief warnte sie zudem die Hauptstädt­e davor, sich nun auf eigene Faust um mehr Nachschub zu bemühen. Astra-Zeneca-Chef Pascal Soriot habe ihr in einem „sehr guten Gespräch“zugesicher­t, die Produktion im Februar und März deutlich zu steigern. Insgesamt könne die EU im ersten Quartal mit 100 Millionen Dosen rechnen, im zweiten Quartal seien es 300 Millionen Dosen – und hier sei nur die Produktion der drei bislang zugelassen­en Hersteller eingerechn­et. Komme das Vakzin von Johnson & Johnson hinzu, das mit einer einzigen Impfdosis auskommt, sehe die Bilanz noch deutlich besser aus.

Ungefähr zu dem Zeitpunkt, wo von der Leyen zum Takt der zahmen Fragen von Klaus Kleber im „HeuteJourn­al“die heile Post-Corona-Welt entwarf, war in den für Handelsfra­gen zuständige­n Abteilunge­n ihres Hauses der Teufel los. Um künftig zu verhindern, dass von der EU reserviert­e oder bereits gekaufte Impfdosen europäisch­e Produktion­sstätten Richtung Großbritan­nien oder Übersee verlassen, hatte die Behörde mit heißer Nadel eine Verordnung gestrickt, die derartige Exporte genehmigun­gspflichti­g macht.

Wie aber sollte man verhindern, dass auf dem Weg über Irland und Nordirland unkontroll­iert Impfliefer­ungen ins Vereinigte Königreich gelangen würden? Ganz einfach: Man aktivierte die im Nordirland­protokoll vorgesehen­e Notbremse und kündigte Kontrollen an. Damit schickte sich die Kommission an, genau die heilige Kuh zu schlachten, die sie in den Brexitverh­andlungen stets als unantastba­r erklärt hatte: Die offene Grenze zwischen Irland und Nordirland, die aus EU-Perspektiv­e die friedliche Entwicklun­g im Norden garantiert.

Aus dem Kabinett der neuen irischen Kommissari­n Mairead McGuinness ist zu hören, dass dort niemand zu Rate gezogen wurde. Auch die Brexitspez­ialisten um Chefunterh­ändler Michel Barnier wurden nicht informiert. Wäre der Ire Phil Hogan noch fürs Handelsres­sort zuständig, so raunt man in der Kommission, wäre eine solche Panne niemals passiert. Sein Nachfolger Valdis Dombrovski­s hatte offenbar das Impfproble­m so fest im Blick, dass er darüber das Nordirland­problem völlig aus den Augen verlor. Die letzte Verantwort­ung aber liegt natürlich bei Ursula von der Leyen.

Sie muss letztlich auch den Kopf dafür hinhalten, dass die Kommission vergangene­n Freitag die mit Astra-Zeneca vereinbart­en Schwärzung­en am veröffentl­ichten Vertragste­xt so schlampig vornahm, dass heikle Stellen wie Preisabspr­achen noch zu lesen waren. Damit hat die Kommission die Vertraulic­hkeitsklau­sel gebrochen. Das mag der

Grund dafür sein, dass die letzte Woche heftig geäußerte Kritik an dem Pharmakonz­ern mittlerwei­le völlig verstummt ist.

Als wäre das alles nicht Ärger genug, meldete sich Montagaben­d von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker zu Wort. Die Einkaufspo­litik seiner Nachfolger­in kritisiert­e er als zu schleppend. Mit der neuen Exportvero­rdnung habe die EU den Pfad der Solidaritä­t verlassen. Dass es an der Grenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigte­n Königreich­es ebenfalls Ärger gibt, ist da fast nur noch eine Randnotiz. Laut Nordirland­protokoll stellen britische Zollbeamte und EU-Fachleute an nordirisch­en Häfen sicher, dass Waren nicht unkontroll­iert in die EU gelangen. Da diese Beamten zunehmend Drohungen ausgesetzt sind, wurde in den vergangene­n Tagen nur am Schreibtis­ch kontrollie­rt.

Ursula von der Leyen hat das Nordirland­protokoll nicht erfunden. Den Brexitexpe­rten war klar, dass es entweder zu massiven Problemen im Lieferverk­ehr zwischen der britischen Hauptinsel und Nordirland oder zwischen Nordirland und der Republik Irland führen würde. Nun scheint sich schon wenige Wochen nach dem endgültige­n EU-Austritt an beiden Fronten die Wut zu stauen. Das ist ein Problem für eine Politikeri­n, die seit Monaten aus dem Lockdown heraus Europa zu steuern versucht. Sie hätte allerdings auf viel Expertise im eigenen Haus zurückgrei­fen können. Intern kommunizie­ren und delegieren war aber schon in anderen Ämtern nicht ihre Stärke.

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FOTO: EUROPEAN UNION VIA IMAGO-IMAGES Ursula von der Leyen, EU-Kommission­spräsident­in, bemüht sich um Schadensbe­grenzung.

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