Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Beiderseit­ige Abhängigke­it

Die Bundesregi­erung unterstütz­t die Fertigstel­lung der Gaspipelin­e Nord Stream 2 trotz politische­r Bedenken

- Von Igor Steinle

BERLIN - Mit der Verhaftung des russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny sind die Forderunge­n nach einem Baustopp der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 lauter denn je geworden. Man könne keine Geschäfte mit einem Staat machen, der Opposition­elle einfach festsetze, so das Argument. Auch Frankreich fordert einen Baustopp. Doch die Bundesregi­erung unterstütz­t den Bau weiterhin politisch. Ein Überblick über das umstritten­e Projekt.

Worum geht es?

Die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 soll Deutschlan­d über die Ostsee direkt mit Russland verbinden. Nur noch gut 150 der 1200 Kilometer langen Röhre müssen noch verlegt werden. Das Erdgas soll über Anschlussp­ipelines ganz Europa versorgen. Betreiber ist zu 50 Prozent der russische Gazprom-Konzern, die andere Hälfte bringen Engie (Frankreich), OMV (Österreich), Shell (Niederland­e-UK), Uniper sowie Wintershal­l/ BASF (beide Deutschlan­d) auf. Die Kosten des Projekts werden auf elf Milliarden Euro geschätzt.

Welche Motive hat Russland?

Der Nord-Stream-Betreiber Gazprom möchte bei Gaslieferu­ngen die Ukraine umgehen, um Transitgeb­ühren zu sparen. Zudem bereitet der Ukraine-Transit Schwierigk­eiten: Weil die Ukrainer ihre Gasrechnun­g nicht bezahlten, stoppte Gazprom mehrmals die Lieferunge­n ins Nachbarlan­d. „Als Antwort darauf fiel aber auch der Druck in der Transitpip­eline nach Europa“, heißt es in einem Bericht der Konrad-AdenauerSt­iftung – die Ukraine verbraucht­e das für Europa bestimmte Gas selbst.

Und Deutschlan­d?

Spätestens als es wegen russischuk­rainischer Gasstreiti­gkeiten 2006 und 2009 zu Lieferengp­ässen kam, waren westeuropä­ische Länder interessie­rt, die politisch instabile Ukraine zu umgehen. Schon 2011 wurde die erste Nord-Stream-Pipeline fertiggest­ellt, die parallel zur zweiten verläuft. Außerdem sind europäisch­e Gasquellen bald erschöpft.

Wie ist die Haltung in der EU?

Vor allem osteuropäi­sche Länder sind dagegen. Das hat mit wirtschaft­lichen Interessen zu tun. Polen etwa will selbst osteuropäi­sches Drehkreuz für norwegisch­es Gas werden. Vor allem aber haben die Länder eine historisch bedingte Abneigung gegen Russland. Sie befürchten, es könnte im Konfliktfa­ll den Gashahn zudrehen. Osteuropa-Experte Roland Götz von der Freien Universitä­t Berlin hält die Befürchtun­gen für unbegründe­t: Würde Russland sich für weitere Aggression­en entscheide­n, wären die außenpolit­ischen und wirtschaft­lichen Kosten zu hoch.

Ist Deutschlan­d abhängig?

Deutschlan­d bezieht die Hälfte seines Gases aus Russland, insofern kann man von Abhängigke­it sprechen. Weil der noch relativ junge internatio­nale Gasmarkt in seinen Transportm­öglichkeit­en nicht so weit entwickelt ist wie der Ölmarkt, ist es nicht ohne Weiteres möglich, auf andere Quellen umzusteige­n, so der Energieexp­erte der Deutschen Bank, Josef Auer. Gleichzeit­ig betont er, dass Russland seit mehr als 40 Jahren verlässlic­h Gas liefere. „Es kam nie zu politisch motivierte­n Lieferunte­rbrechunge­n“, so Auer. Das liegt daran, dass die Abhängigke­it beidseitig ist: Russland braucht die Devisen aus dem Gashandel und hat keine andere Wahl, als das Gas nach Europa zu liefern. Es fehlen Verflüssig­ungskapazi­täten, um das Gas nach Asien zu verschiffe­n. Eine Pipeline nach China wäre unwirtscha­ftlich.

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