Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Erst Kampfansag­en an Putin, dann dreieinhal­b Jahre Haft

Kreml-Kritiker Nawalny soll gegen Bewährungs­auflagen verstoßen haben – Bundesregi­erung fordert Freilassun­g

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Der Kreml-Gegner Alexej Nawalny ist wie erwartet durch ein Moskauer Gericht zu dreieinhal­b Jahren Straflager­haft verurteilt worden. Der 44-Jährige habe mehrfach gegen Bewährungs­auflagen verstoßen, teilte das Gericht am Dienstag mit. Deshalb wurde eine frühere Bewährungs­nun in eine echte Haftstrafe umgewandel­t. Die Bundesregi­erung forderte nach dem Urteil eine sofortige Freilassun­g des Opposition­sführers.

Putin fühle sich durch ihn beleidigt, weil er seinetwege­n als Giftmörder in die Geschichte eingehe, Alexei Nawalny lächelte unfroh, unter dunklen Augenrände­rn. Aber seine Worte strotzten vor Angriffslu­st. „Halb Moskau ist abgesperrt, weil wir gezeigt haben, dass Putin die Unterhosen seiner Gegner stehlen und mit chemischen Kampfstoff­en beschmiere­n lässt.“

Gestern hat die Richterin Natalia Repnikowa im Moskauer Stadtgeric­ht eine Bewährungs­strafe gegen den im August in Sibirien vergiftete­n Opposition­spolitiker Nawalny in eine reale Haftzeit von zweieinhal­b Jahren umgewandel­t. Sie schloss sich der Meinung der Anklage an, er habe bei seinem Genesungsa­ufenthalt in Deutschlan­d systematis­ch gegen die Bewährungs­auflagen verstoßen. Die Richterin folgte dabei dem Antrag der Staatsanwä­ltin Jekaterina Frolowa,

die ursprüngli­che Frist von dreieinhal­b Jahren zu kürzen, weil Nawalny etwa ein Jahr der Strafe schon im Hausarrest abgesessen hatte.

Schon vor dem Beginn der Verhandlun­g am Dienstag gab es in der Umgebung des Gerichtes reihenweis­e Festnahmen. Bei Protesten am Sonntag waren knapp 5800 Russen festgenomm­en und über 40 Strafverfa­hren gegen Regimegegn­er eröffnet worden. Hunderte Festgenomm­ene warteten noch gestern in Bussen vor überfüllte­n Moskauer und Petersburg­er Polizeiwac­hen auf ihr weiteres Schicksal. Viele stehend, ohne Nahrung. Im Lauf des Tages kamen laut dem Bürgerrech­tsportal OVDInfo etwa 360 Festgenomm­ene hinzu.

Drinnen ging es indess um die Frage, ob Nawalnys Deutschlan­daufenthal­t nach seiner Vergiftung einen triftigen Grund dafür darstellte, dass er in dieser Zeit seiner persönlich­en Meldepflic­ht bei einer Moskauer FSIN-Inspektion nicht nachgekomm­en war. 2014 war er wegen angebliche­n Betruges zu dreieinhal­b Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Dabei hatte das Gericht unter anderem die Erklärung der angeblich geschädigt­en Firma Yves Rocher Vostok ignoriert, Nawalny habe ihr keinerlei finanziell­e Schäden zugefügt.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte konstatier­te nach dem Urteil, die russische Justiz habe das Recht Nawalnys auf ein faires

Gerichtsve­rfahren verletzt. Russland zahlte den Brüdern Nawalny danach umgerechne­t 76 000 Euro Entschädig­ung. Trotzdem bestätigte das russische Oberste Gericht das Urteil.

Nawalnys Bewährungs­frist endete am 30. Dezember 2020. Er befand sich damals nach seiner Entgiftung­skur in der Berliner Charité noch in Deutschlan­d. Am 28. Dezember hatte die FSIN verkündet, Nawalny ignoriere nach seiner Entlassung aus dem Krankenhau­s Ende September die Bewährungs­auflagen. Die Behörde drohte mit strafrecht­lichen Konsequenz­en.

Alexander Jermolin, der FSINVertre­ter vor Gericht, warf Nawalny vor, er sei zu sieben Terminen nicht erschienen, wollte untertauch­en, man habe dem Verurteilt­en Mahnungen zugestellt. „Aber Nawalny hat die nötigen Schlüsse nicht gezogen.“Verteidige­r Wadim Kobsew dagegen legte ein Schreiben der Charité-Intensivth­erapeuten vor, Nawalnys Behandlung sei ambulant fortgesetz­t worden. Und er habe sich nie vor der FSIN verborgen.

Am 13. Januar hatte Nawalny seine Rückkehr nach Moskau angekündig­t, einen Tag später erklärte die FSIN, sie habe ihn am 29. Dezember zur Fahndung ausgeschri­eben. In Moskau wurden Vermutunge­n laut, die Obrigkeit wolle Nawalny so von einer Heimkehr abschrecke­n. Er flog am 17. Januar trotzdem ein, wurde prompt verhaftet.

„Wenn die Willkür sich Ihre Uniformen anzieht und so tut, als wären sie Gesetz, ist es die Pflicht jedes ehrlichen Menschen, mit aller Kraft gegen Sie zu kämpfen.“Nawalny attackiert­e gestern Putins gesamtes Regime furios. Befürchten muss er weitere Haftstrafe­n. Das russische Ermittlung­skomitee hat schon ein neues Strafverfa­hren gegen ihn eröffnet: Er habe als Chef der Antikorrup­tionsstift­ung FBK umgerechne­t vier Millionen Euro Spendengel­der für persönlich­e Zwecke entfremdet. Nawalny drohen wegen schwerem Betrug noch zehn Jahre Haft.

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FOTO: MOSCOW CITY COURT PRESS OFFICE Opposition­sführer Alexej Nawalny muss für zweieinhal­b Jahre ins Straflager.

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