Eine Behörde, die alles anders macht
Minister Scholz baut die Finanzaufsicht Bafin als Konsequenz aus Wirecard-Skandal um – Opposition wittert Wahlkampfmanöver
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BERLIN - Die Regierung gibt der Finanzaufsichtsbehörde Bafin mehr Kompetenzen und einen erweiterten Auftrag. Als Lehre aus dem Wirecard-Skandal sollen die Prüfer dort künftig mehr auf Augenhöhe mit privaten Institutionen stehen. „Die geplante Reform macht die Aufsicht schlagkräftiger, straffer und wirksamer“, sagte Finanzminister Olaf Scholz am Dienstag in Berlin. Am Freitag hatte er bereits den Chef der Institution entlassen. Während der Amtszeit von Felix Hufeld hatte die Wirecard AG ungehindert ein weltweites Netz von Betrugsfirmen gesponnen und Gewinne vorgetäuscht.
Der Fall Wirecard hat eine ganze Reihe von Schwächen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ans Licht gebracht. Die Behörde mit Sitz in Frankfurt besaß nicht die Eigeninitiative, um den Fall Wirecard trotz unklarer Zuständigkeit an sich zu ziehen, nachdem sich die Verdachtsmomente häuften. Sie hätte selbst dann wohl nicht die Sachkenntnis gehabt, um das WirecardKonglomerat zu durchschauen. Zudem verteilen sich Informationen über Finanzfirmen über verschiedene Abteilungen, sodass niemandem die schiere Anzahl der Alarmsignalen auffiel. Insgesamt macht die Bafin den Eindruck eines gemütlichen Ladens, der lieber eine ländliche Kreissparkasse kontrolliert als einen weltumspannenden Konzern. Dort ist die Rechnungslegung eben viel übersichtlicher.
Scholz wünscht sich nun eine Behörde, die das alles anders macht und einen gewissen Killerinstinkt mitbringt. „Ich will eine Finanzaufsicht mit Biss“, sagte der Finanzminister. Bisher arbeiteten bei der Bafin kaum Mitarbeiter mit Wirtschaftsprüferabschluss oder langer Erfahrung in globalen Finanzkonzernen. In den USA ist es üblich, dass Mitarbeiter von der Gegenseite in die Finanzaufsicht wechseln. Das hat zwar den Nebeneffekt einer Verquickung von Prüfern und Geprüften. Es hat aber den Vorteil, dass die Kontrolleure wissen, an welchen Stellen sie nach Schmutz suchen müssen.
Konkret will Scholz eine „Fokusaufsicht“aus erfahrenen Mitarbeitern der Finanzbranche schaffen. Sie soll sich um internationale Konglomerate wie Wirecard kümmern, für die sich bisher dort keiner zuständig fühlte. Der Kardinalfehler der Bafin: Sie hatte die Wirecard AG aus Aschheim bei München als Technik-Firma eingestuft, weil sie computergestützte Zahlungsabwicklung betreibt. Die für Geldwäschevorbeugung ständige Regierung von Niederbayern hat ihrerseits in dem milliardenschweren Dax-Unternehmen einen Fall vom Kaliber der Deutschen Bank oder der Allianz vermutet, für den die Bafin zuständig wäre. Am Ende hat es keiner kontrolliert.
Die Opposition lässt nun kein gutes Haar an Scholz‘ Ankündigungen. Sie wittert ein Manöver zur Ablenkung von der eigenen Verantwortung für die Versäumnisse im Umgang mit Wirecard. Außerdem seien die Änderungen nicht konsequent genug angelegt, um ihr Ziel zu erreichen. „Die vorgeschlagene Mini-Reform ist vor allem WahlkampfShow“, kritisierte die Finanzpolitikerin
Lisa Paus von den Grünen, die auch im Wirecard-Untersuchungsausschuss sitzt. Die Bafin müsse so gut ausgestattet sein, dass sie „Finanzverbrechern zuvorkommt, anstatt immer hinterher zu laufen“. Dazu sei ein Neustart nötig statt eines Umbaus.
Das Finanzministerium hatte sich bei der Durchleuchtung der Bafin von der Unternehmensberatung Roland Berger beraten lassen. Doch schon ein eigenes, internes Gutachten hatte im vergangenen Jahr zutage gefördert, dass nicht einmal eine zentrale Datenbank der überwachten Unternehmen besteht. Das erklärt vielleicht zum Teil, warum so viele Hinweise aus so vielen verschiedenen Richtungen unbeachtet blieben. Erst am vergangenen Donnerstag und Freitag hatte der laufende Untersuchungsausschuss des Bundestages erstaunliche Details zum Versagen der Bafin zutage gefördert. Anfragen der überforderten Behörden Niederbayern mit der Bitte um Amtshilfe und die Klärung der Zuständigkeit blieben monatelang unbeantwortet. Der Finanzexperte Matthew Earl, der schon ein Jahr vor der Insolvenz eindeutige Beweise für
Geldwäsche und Betrug vorgelegt hatte, wurde nicht nur ignoriert – er wurde angefeindet.
Die Wirecard AG galt bis kurz vor der Insolvenz als Star der deutschen Wirtschaftswelt. Das Unternehmen hat die Verarbeitung von Kreditkartenzahlungen angeboten und war damit einer der wenigen deutschen Spieler an der Schnittstelle von IT und Finanzen. Angeblich will Wirecard mit seinen Zahlungsdiensten riesige Gewinne erzielt haben. Im Jahr 2018 stieg es sogar in den Deutschen Aktienindex Dax auf.
Im Juni 2020 flog jedoch auf, dass 1,9 Milliarden in der Kasse des Unternehmens fehlen: Die Manager hatten Geld zwischen Tochterfirmen in Asien kreisen lassen und es bei jedem Durchgang als neuen Umsatz verbucht. Inzwischen kursieren auch noch deutlich höhere Zahlen für den Fehlbetrag. Die Bilanz war um mindestens drei Milliarden Euro aufgebläht. Die Gläubiger des Unternehmens sehen sich gar um zwölf Milliarden Euro geprellt. Staatsanwälte ermitteln. Die ehemaligen Manager sind geflohen oder sitzen im Gefängnis.