Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Tollkühne Männer und ihre fliegenden Kerzen

Das Start-up Hyimpulse aus Neuenstadt am Kocher will mit Paraffinra­keten Satelliten ins All schießen

- Von Oliver Schmale

STUTTGART - Von der Luft- und Raumfahrt ist die Menschheit seit Jahrzehnte­n fasziniert. Gerade erlebt die Branche einen Boom. Hunderte Kleinsatel­liten werden schon jetzt jährlich in den Orbit geschossen, und es werden immer mehr. Das lockt auch zahlreiche Start-ups an. Sie sind vorne mit dabei, wenn es darum geht, künftig solche Satelliten für weniger Geld ins Weltall zu transporti­eren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Hyimpulse Technologi­es GmbH. Das kleine Unternehme­n mit Sitz im baden-württember­gischen Neuenstadt an der Kocher bei Heilbronn mit seinen 50 Mitarbeite­rn schickt sich an, dem Raketenpro­gramm der amerikanis­chen Nasa und der europäisch­en Esa Konkurrenz zu machen. Mit einer einfachere­n und teilweise wiederverw­ertbaren Rakete.

„Wir schaffen einen Linienflug­verkehr im Weltraumtr­ansport“, sagt Geschäftsf­ührer Mario Kobald. Schon im September sei der erste Testflug geplant. Zunächst in einer Höhe von 60 Kilometern. Später dann in 100 Kilometern Höhe ins All. In zwei Jahren soll dann der kommerziel­le Betrieb mit der „SL1“genannten Rakete losgehen und Kleinsatel­liten regelmäßig ins All transporti­ert werden. Diese kommen vielfältig zum Einsatz. Im Bereich der Telekommun­ikation, bei Agrarunter­nehmen, um die Bewässerun­g zu optimieren, oder bei der Erdbeobach­tung. Letzteres ist ein riesiger Markt. Nach einer Studie von Morgan Stanley soll dieser 2025 rund 6,8 Milliarden US-Dollar betragen. Im Jahr 2019 seien es etwa 2,5 Milliarden US-Dollar gewesen.

Das baden-württember­gische Unternehme­n, bei dem ein Investor der Luft- und Raumfahrtd­ienstleist­er IABG ist, unterschei­det sich von den Mitbewerbe­rn in einem Punkt ganz deutlich: Es setzt auf einen Hybridantr­ieb. Der Antrieb soll die Rakete mit günstigem Paraffinwa­chs und Flüssigsau­erstoff ins Weltall bringen. Das drückt die Kosten, vereinfach­t die Anwendung und ist um einiges umweltfreu­ndlicher als herkömmlic­he Raketen. Denn durch die Raketen wird kein Gift in die Atmosphäre gebracht, sondern nur das Treibhausg­as CO2 in geringen Mengen. Co-Geschäftsf­ührer Christian Schmierer stellt sogar in Aussicht, dass langfristi­g eine Öko-Rakete möglich ist. Paraffin

wird normalerwe­ise aus Erdöl hergestell­t. Es lässt sich gleichfall­s aber auch CO2-neutral produziere­n auf Basis erneuerbar­er Energien wie Wind oder Sonnenener­gie aus dem Kohlenstof­f der Luft. Das Unternehme­n habe ein entspreche­ndes Pilotproje­kt begonnen. Außerdem werde daran gearbeitet, dass Teile der Rakete nach dem Abwurf wiederverw­ertet werden können.

Hybridtrie­bwerke wurden nur zu Beginn der Raumfahrt ernsthaft in Erwägung gezogen. Während die Nasa auf Flüssigant­riebe setzt und das Militär auf Feststoffr­aketen, steht bei Hyimpulse die Hybridtech­nik im Fokus, weil ihre Umsetzung um einiges einfacher ist. Was soll der Start mit Hyimpulse kosten? Mittelfris­tig deutlich weniger als 16 000 Euro pro Kilogramm Nutzlast, wie Schmierer berichtet. Bis zu 500 Kilogramm Nutzlast will Schmierer mit einer „SL1“ins All befördern.

Generell steht der weltweite Raumfahrtm­arkt auf Wachstum. Aktuellen Schätzunge­n zufolge wird er von 360 Milliarden US-Dollar (2018) bis 2040 auf bis zu 2700 Milliarden US-Dollar um mehr als das Siebenfach­e wachsen, so der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) im August 2020 in seinem Konzept für einen mobilen deutschen Startplatz für die Kleinraket­en in der Nordsee, den es bislang noch nicht gibt. Hyimpulse weicht deshalb auf Schottland aus. Das kleine Unternehme­n sitzt in der Nähe der DLR-Raketentri­ebwerksprü­fstände bei Lampoldsha­usen (Landkreis Heilbronn).

Viele Luft- und Raumfahrtu­nternehmen sind in Baden-Württember­g auch rund um den Bodensee angesiedel­t. Mehr als 15 000 Beschäftig­te in der Branche erwirtscha­ften einen Umsatz von über 4,8 Milliarden Euro im Jahr, wie das Wirtschaft­sministeri­um berichtet. Ressortche­fin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) sagt: „Unser Ziel muss es sein, den heutigen wirtschaft­lichen Erfolg auch in Zukunft zu erhalten – oder sogar zu steigern. Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft müssen hier an einem Strang ziehen, wenn wir auch zukünftig als Gewinner dastehen wollen.“

Für Start-ups unter den Raketenbau­ern ist vor allem diese Zahl wichtig: Bis 2028 sollen pro Jahr weltweit etwa 1000 Satelliten ins All geschossen werden. 86 Prozent davon sollen Kleinsatel­liten sein.

Konkurrent von Hyimpulse ist die dem Bremer Raumfahrtk­onzern OHB gehörende Rocket Factory Augsburg (RFA). Die ersten Triebwerkt­ests finden in den kommenden Monaten in Kiruna (Schweden) statt. RFA-Vorstand Stefan Brieschenk sagt: „Wenn wir so weitermach­en wie bisher, dann können wir einen Starttermi­n Ende 2022 erreichen.“

Die Spectrum-Rakete des Wettbewerb­ers Isar Aerospace ist 27 Meter lang und hat eine Nutzlast von einer Tonne. Das 2018 gegründete Start-up zählt inzwischen 125 Mitarbeite­r und hat seine Finanzieru­ng bis zum Erststart bereits gesichert. Der soll Ende 2021 oder Anfang 2022 stattfinde­n. Ende Dezember sammelte Isar Aerospace bei Investoren 75 Millionen Euro ein. Zuvor hatten Investoren schon einmal 15 Millionen Euro in das Unternehme­n gesteckt. Es lägen bereits Kundenanfr­agen im Volumen von einer halben Milliarde US-Dollar vor, hatte Isar Aerospace Ende 2020 mitgeteilt. Alle drei Firmen nehmen am Microlaunc­her-Wettbewerb des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) teil, bei dem es um die Förderung mit einem zweistelli­gen Millionen-Euro-Betrag geht. In einer ersten Hauptrunde werden elf Millionen Euro vergeben. Eine Entscheidu­ng fällt Ende April.

Der Koordinato­r der Bundesregi­erung für die Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek (CDU), baut auf die drei Start-ups. Er stellte nun in Aussicht, dass der europäisch­e Weltraumba­hnhof in Französisc­h-Guayana bei Kourou für die Unternehme­n geöffnet wird. Die Planungen seien weit gediehen. Das sei im Interesse der Bundesregi­erung. Der CDU-Politiker warnte zugleich davor, die technische­n Voraussetz­ungen für die Firmen dort so zu überhöhen, dass eine mögliche Nutzung unmöglich werde. „Man muss zu vernünftig­en und schlanken Bedingunge­n fliegen können.“

 ?? FOTO: HYIMPULSE/DPA ?? Computersi­mulation einer SL1-Rakete des baden-württember­gischen Unternehme­ns Hyimpulse: Erste Testflüge will das Unternehme­n im September dieses Jahres beginnen.
FOTO: HYIMPULSE/DPA Computersi­mulation einer SL1-Rakete des baden-württember­gischen Unternehme­ns Hyimpulse: Erste Testflüge will das Unternehme­n im September dieses Jahres beginnen.

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