Tollkühne Männer und ihre fliegenden Kerzen
Das Start-up Hyimpulse aus Neuenstadt am Kocher will mit Paraffinraketen Satelliten ins All schießen
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STUTTGART - Von der Luft- und Raumfahrt ist die Menschheit seit Jahrzehnten fasziniert. Gerade erlebt die Branche einen Boom. Hunderte Kleinsatelliten werden schon jetzt jährlich in den Orbit geschossen, und es werden immer mehr. Das lockt auch zahlreiche Start-ups an. Sie sind vorne mit dabei, wenn es darum geht, künftig solche Satelliten für weniger Geld ins Weltall zu transportieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Hyimpulse Technologies GmbH. Das kleine Unternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Neuenstadt an der Kocher bei Heilbronn mit seinen 50 Mitarbeitern schickt sich an, dem Raketenprogramm der amerikanischen Nasa und der europäischen Esa Konkurrenz zu machen. Mit einer einfacheren und teilweise wiederverwertbaren Rakete.
„Wir schaffen einen Linienflugverkehr im Weltraumtransport“, sagt Geschäftsführer Mario Kobald. Schon im September sei der erste Testflug geplant. Zunächst in einer Höhe von 60 Kilometern. Später dann in 100 Kilometern Höhe ins All. In zwei Jahren soll dann der kommerzielle Betrieb mit der „SL1“genannten Rakete losgehen und Kleinsatelliten regelmäßig ins All transportiert werden. Diese kommen vielfältig zum Einsatz. Im Bereich der Telekommunikation, bei Agrarunternehmen, um die Bewässerung zu optimieren, oder bei der Erdbeobachtung. Letzteres ist ein riesiger Markt. Nach einer Studie von Morgan Stanley soll dieser 2025 rund 6,8 Milliarden US-Dollar betragen. Im Jahr 2019 seien es etwa 2,5 Milliarden US-Dollar gewesen.
Das baden-württembergische Unternehmen, bei dem ein Investor der Luft- und Raumfahrtdienstleister IABG ist, unterscheidet sich von den Mitbewerbern in einem Punkt ganz deutlich: Es setzt auf einen Hybridantrieb. Der Antrieb soll die Rakete mit günstigem Paraffinwachs und Flüssigsauerstoff ins Weltall bringen. Das drückt die Kosten, vereinfacht die Anwendung und ist um einiges umweltfreundlicher als herkömmliche Raketen. Denn durch die Raketen wird kein Gift in die Atmosphäre gebracht, sondern nur das Treibhausgas CO2 in geringen Mengen. Co-Geschäftsführer Christian Schmierer stellt sogar in Aussicht, dass langfristig eine Öko-Rakete möglich ist. Paraffin
wird normalerweise aus Erdöl hergestellt. Es lässt sich gleichfalls aber auch CO2-neutral produzieren auf Basis erneuerbarer Energien wie Wind oder Sonnenenergie aus dem Kohlenstoff der Luft. Das Unternehmen habe ein entsprechendes Pilotprojekt begonnen. Außerdem werde daran gearbeitet, dass Teile der Rakete nach dem Abwurf wiederverwertet werden können.
Hybridtriebwerke wurden nur zu Beginn der Raumfahrt ernsthaft in Erwägung gezogen. Während die Nasa auf Flüssigantriebe setzt und das Militär auf Feststoffraketen, steht bei Hyimpulse die Hybridtechnik im Fokus, weil ihre Umsetzung um einiges einfacher ist. Was soll der Start mit Hyimpulse kosten? Mittelfristig deutlich weniger als 16 000 Euro pro Kilogramm Nutzlast, wie Schmierer berichtet. Bis zu 500 Kilogramm Nutzlast will Schmierer mit einer „SL1“ins All befördern.
Generell steht der weltweite Raumfahrtmarkt auf Wachstum. Aktuellen Schätzungen zufolge wird er von 360 Milliarden US-Dollar (2018) bis 2040 auf bis zu 2700 Milliarden US-Dollar um mehr als das Siebenfache wachsen, so der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im August 2020 in seinem Konzept für einen mobilen deutschen Startplatz für die Kleinraketen in der Nordsee, den es bislang noch nicht gibt. Hyimpulse weicht deshalb auf Schottland aus. Das kleine Unternehmen sitzt in der Nähe der DLR-Raketentriebwerksprüfstände bei Lampoldshausen (Landkreis Heilbronn).
Viele Luft- und Raumfahrtunternehmen sind in Baden-Württemberg auch rund um den Bodensee angesiedelt. Mehr als 15 000 Beschäftigte in der Branche erwirtschaften einen Umsatz von über 4,8 Milliarden Euro im Jahr, wie das Wirtschaftsministerium berichtet. Ressortchefin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sagt: „Unser Ziel muss es sein, den heutigen wirtschaftlichen Erfolg auch in Zukunft zu erhalten – oder sogar zu steigern. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft müssen hier an einem Strang ziehen, wenn wir auch zukünftig als Gewinner dastehen wollen.“
Für Start-ups unter den Raketenbauern ist vor allem diese Zahl wichtig: Bis 2028 sollen pro Jahr weltweit etwa 1000 Satelliten ins All geschossen werden. 86 Prozent davon sollen Kleinsatelliten sein.
Konkurrent von Hyimpulse ist die dem Bremer Raumfahrtkonzern OHB gehörende Rocket Factory Augsburg (RFA). Die ersten Triebwerktests finden in den kommenden Monaten in Kiruna (Schweden) statt. RFA-Vorstand Stefan Brieschenk sagt: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann können wir einen Starttermin Ende 2022 erreichen.“
Die Spectrum-Rakete des Wettbewerbers Isar Aerospace ist 27 Meter lang und hat eine Nutzlast von einer Tonne. Das 2018 gegründete Start-up zählt inzwischen 125 Mitarbeiter und hat seine Finanzierung bis zum Erststart bereits gesichert. Der soll Ende 2021 oder Anfang 2022 stattfinden. Ende Dezember sammelte Isar Aerospace bei Investoren 75 Millionen Euro ein. Zuvor hatten Investoren schon einmal 15 Millionen Euro in das Unternehmen gesteckt. Es lägen bereits Kundenanfragen im Volumen von einer halben Milliarde US-Dollar vor, hatte Isar Aerospace Ende 2020 mitgeteilt. Alle drei Firmen nehmen am Microlauncher-Wettbewerb des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) teil, bei dem es um die Förderung mit einem zweistelligen Millionen-Euro-Betrag geht. In einer ersten Hauptrunde werden elf Millionen Euro vergeben. Eine Entscheidung fällt Ende April.
Der Koordinator der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek (CDU), baut auf die drei Start-ups. Er stellte nun in Aussicht, dass der europäische Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana bei Kourou für die Unternehmen geöffnet wird. Die Planungen seien weit gediehen. Das sei im Interesse der Bundesregierung. Der CDU-Politiker warnte zugleich davor, die technischen Voraussetzungen für die Firmen dort so zu überhöhen, dass eine mögliche Nutzung unmöglich werde. „Man muss zu vernünftigen und schlanken Bedingungen fliegen können.“