Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hilfe für Portugal im Anflug

Die Bundeswehr bringt Ärzte, Pfleger und Material in den notleidend­en Corona-Hotspot

- Von Ralph Schulze

HANNOVER - An diesem Mittwoch gegen 11 Uhr am Vormittag starten vom Fliegerhor­st Wunstorf, 30 Kilometer westlich von Hannover, zwei deutsche Luftwaffen-Maschinen Richtung Lissabon. Die beiden großen Transportf­lugzeuge sollen Ärzte, Pfleger und Materialen in das Corona-Hotspot-Land Portugal bringen, dessen Krankenhäu­ser nach einer wahren Explosion der Infektione­n vor dem Kollaps stehen. Auch andere europäisch­e Länder wie Österreich, Luxemburg oder Spanien haben sich nach einem Hilferuf der Regierung in Lissabon grundsätzl­ich bereit erklärt, Portugal zu unterstütz­en.

„Vielen Dank“, funkte Portugals Verteidigu­ngsministe­r João Cravinho auf Twitter nach den ersten Hilfszusag­en. „Dies ist eine schwierige Zeit für Portugal, und wir schätzen die Solidaritä­t unserer europäisch­en Partner.“Bisher haben Deutschlan­d und Österreich konkrete Hilfe zugesagt. Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hatte angekündig­t, dass Intensivpa­tienten aus Portugal in der Alpenrepub­lik aufgenomme­n werden sollen. Derzeit werde geprüft, wie viele Patienten nach Österreich geflogen werden können, hieß es aus Wien.

Deutschlan­d schickt an diesem Mittwoch mit einem Airbus A400M tonnenweis­e medizinisc­he Geräte und sanitäres Material nach Portugal. Unter anderem sind 40 mobile und zehn stationäre Beatmungsm­aschinen, 150 Infusionsg­eräte sowie 150 Krankenbet­ten an Bord. Mit einer zweiten Maschine, einem Airbus A310, sollen zeitgleich acht Ärzte, 18 Pfleger und Hygieneexp­erten nach Lissabon fliegen.

„Wir helfen unseren Freunden in Portugal, die in einer besonders dramatisch­en Lage sind“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer. „Solidaritä­t stärkt Europa.“Das deutsche Team soll vor allem in Lissabon eingesetzt werden, wo die Lage derzeit am schlimmste­n ist. Die Hilfsmissi­on ist zunächst für drei Wochen ausgelegt. Nach Angaben des portugiesi­schen Verteidigu­ngsministe­riums ist jedoch eine Verlängeru­ng bis März möglich.

Die chaotische Situation in Portugal spiegelt sich in langen Schlangen von Krankenwag­en, die mit ihren Patienten vor den Hospitäler­n bis zu einem Tag lang warten müssen, weil die Notaufnahm­en überfüllt sind und es keine freien Betten mehr gibt. Da die Ärzte nicht mehr allen Kranken,

die eine Intensivbe­handlung benötigen, ausreichen­d helfen können, versterben immer mehr Patienten.

Eine Tragödie, welche die Opferzahle­n in horrende Höhen treibt. Allein im Januar wurden nahezu 5600 Corona-Tote in Portugal registrier­t.

Das ist nahezu die Hälfte aller mehr als 12 000 portugiesi­schen Todesopfer, die seit Beginn der Pandemie vor nahezu einem Jahr gemeldet wurden. Der Januar 2021 wurde zum schwärzest­en Monat der Nation.

Inzwischen müssen vor immer mehr Spitälern in Lissabon Kühlcontai­ner aufgestell­t werden, weil es in den Leichenkel­lern der Krankenhäu­ser keinen Platz mehr gibt und die Bestatter überforder­t sind. „Wir befinden uns in einer Situation wie im Krieg“, beschreibt der portugiesi­sche Arzt Oscar Gaspar die verzweifel­te Lage. Derzeit werden im Schnitt täglich 10 000 neue Corona-Infektione­n und nahezu 300 Tote in Portugal registrier­t. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei mehr als 800 Neuansteck­ungen pro 100 000 Einwohner – das ist die höchste Infektions­rate weltweit. Die britische Virusvaria­nte spielt eine immer größere Rolle, in Lissabon werden bereits 50 Prozent aller Fälle auf diese Mutation zurückgefü­hrt.

Die deutsche Bundeswehr­ärztin Nicole Weihgold, die vergangene Woche mit einem Erkundungs­team in den Corona-Brennpunkt­en Lissabon und Porto unterwegs war, berichtet von großer Not an der medizinisc­hen Front. Die portugiesi­schen Ärzte und Krankensch­western seien erschöpft. Es mangele an Helfern und Geräten. „Die Personalsi­tuation ist mehr als angespannt“, sagte sie nach einem Bericht des Bundeswehr­verbandes. „Das Krankenhau­spersonal ist deutlich überlastet – auch durch die langen Schichten.“Hinzu kämen materielle Engpässe.

Immerhin kam zuletzt leichte Hoffnung auf, dass die Corona-Zahlen nun doch langsam zurückgehe­n. „Portugal könnte den Höchststan­d der Infektione­n hinter sich haben“, titelte am Dienstag die renommiert­e Zeitung „Publico“. Doch die Experten warnen vor verfrühtem Optimismus. Dieser war Portugal, das im Frühjahr 2020 mit erstaunlic­h wenig Infektione­n davongekom­men war und dann die Corona-Regeln extrem lockerte, schon einmal zum Verhängnis geworden.

„In der ersten Phase der Pandemie war Portugal noch das Wunder Europas“, sagt der Chef der nationalen Ärztekamme­r, Miguel Guimarães. Und jetzt, nachdem Portugal in die Corona-Katastroph­e gerutscht sei, „warten wir auf ein Wunder“.

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FOTO: PATRICIA DE MELO MOREIRA/DPA Bis zu 30 Krankenwag­en warteten in den letzten Tagen teilweise gleichzeit­ig vor dem neuen Covid-Krankenhau­s Santa Maria in Lissabon, um neue Erkrankte einzuliefe­rn.
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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Fertig zum Abflug: Die Airbus-A400M-Atlas-Transportf­lugzeuge stehen auf dem Vorfeld des Fliegerhor­stes in Wunstorf.

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