So klingt das neue Album von Joo Kraus
„We are doing well“heißt die neue Platte des Ulmer Trompeters – Von Elvis bis Jazz ist alles dabei
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ULM - Da bläst ein Hurrikan durch Joo Krauses Wohnzimmer. Oder zumindest durch den ersten Song auf seiner neuen Platte. „There is a hurricane in my living room“raunt Kraus im Sprechgesang über ein klickendes, klackendes Schlagzeug und einen glucksenden, elektronischen Puls. Wie Herzschlag mit Schluckauf. Doch dann greift der Ulmer zur Trompete, die über die ganze unruhige Klanglandschaft hinweghallt. Kraus erklärt, worum es geht: „Da erzählt ein Typ, der hin- und her gerissen ist. Er sitzt da mit der Sonnenbrille, mitten im Auge des Sturms. Und das ist auch das Spannungsfeld, in dem auch ich mich bewege.“
Zuletzt stand Kraus im Theater Ulm auf der Bühne: Dort verpasste er den Songs der Dreigroschenoper einen frischen Sound-Anstrich, und er brachte zum Jahreswechsel noch eine Eigenkomposition zur Uraufführung. Aber nun: Coronapause. Diesen
Glanz, den Kraus jetzt vermisst, den Schweiß und das Glück der Musik, feiert Kraus in seinem neuen Album,
„We are doing well“– „Uns geht es gut“. Den Titel könne man in dieser Zeit ruhig auch ironisch verstehen, sagt Kraus. Oder als einen Wunsch nach besseren Zeiten. Trotzdem meint Kraus es auch ernst: „Mein Credo: Es geht vorbei und es wird auch gut.“
Eines aber vorweg: „Das ist kein Corona-Album“, sagt Kraus. Die ersten Songs entstanden schon 2019, da begann Kraus mit seinen liebsten Mitmusikern die Arbeit am Album. Vier Männer, vier Tage, volle Konzentration.
„Wir sind seit fast 20 Jahren gut befreundet“, erklärt Kraus. „Wir sind uns im Herzen nah und wir trauen uns, alle Ideen vor einander auf den Tisch zu legen.“
Die Mischung machts: Der Bassist Veit Hübner steuert eine starke Note Jazz bei, der Schlagzeuger Torsten Krill bringt Rockerfahrung mit, alles baut auf Ralf Schmids Tasten – und Kraus? „Ich komme ja auch aus dem Hiphop und Funk“, sagt er. Ein Cocktail
also, gemischt, geschüttelt und in den besten Momenten der zehn Songs auch ziemlich rührend.
Die E-Gitarre klingt hübsch verzerrt wie in den 80ern, nur digitaler – vielleicht eine Erinnerung an die Experimentalrocker von „Kraan“? Mit den Ulmern stand Kraus schon oft auf der Bühne. Funkige Bässe bilden wiederum das Gerüst für „We are the world“, bis Rap hereinbricht, über Hip-Hop-Elektrofetzen.
Aber kein anderer Song mischt so lustig die Tonlagen wie „Elvis in Paris“: Die Hammondorgel swingt, die Tuba wummert – dann platzt eine Melodica in den Sound. Kraus pfeift dazu und alles klingt auf einmal wie eine Runde Karussell in der „fabelhaften Welt der Amelie.“
Oder wie Kraus sagt: „Mit Elvis raus aus Memphis und dann im TGV nach Paris.“
„In den Songs geht es um alles, was uns beschäftigt“, sagt Kraus. Und das „uns“meint er ernst, denn die Platte ist ein Ensemblewerk. Fast bescheiden platziert Kraus seine Trompetensoli. Keine Zirkusnummern, keine Mätzchen, Konzentration auf die Melodie und den Text: „Ich kann schon auch eine Rampensau sein. Aber ich klinge auch nur so gut wie meine Mitmusiker.“
Was Kraus vermeiden will: Akademikerjazz, Melodielabyrinthe aus Bebop-Endlosschleifen, Eitelkeiten. Als ein Vorbild bezeichnet er Wynton Marsalis, aber auch die Band „Earth Wind and Fire“und den Filmmusikgott John Williams – „der hat einen weiten Horizont.“Horizont, Weite und Freiheit, scheint Kraus gefunden zu haben, in der Pause vom Normalbetrieb.
Der Ulmer spielt im Schnitt 80 bis 100 Konzerte im Jahr. Oft fragt er sich, was ihm gerade besonders fehlt: „Die Musik? Ja klar. Der Applaus? Auch. Aber es gibt da einen Moment, kurz bevor man in einem Theater auftritt, die Saallichter sind schon gedimmt und der Inspizient hinter der Bühne sagt: Noch fünf Minuten.
Dann beginnt das Grummeln im Bauch. Dabei hat man noch keinen Ton Musik gespielt.“Davon erzählt auch der Song „How’s my hair?“. Ein Showmann steht hinter der Bühne, bereit und angriffslustig, aber eine Frage hat er noch: „Und .... sitzt meine Frisur?“Eine lockere Nummer, die beschreibt, was Kraus vermisst.
Das dicke Ende kommt dann aber zum Schluss: Nach handlichen Titeln im Dreieinhalb-Minuten-Format, öffnet sich im Album noch ein Panorama. In „Space Glider“näselt sich die gestopfte Trompete durch sphärische Weiten, nicht von dieser Welt. Und mit „Love“setzt die SoulSängerin Fola Dada für Kraus zur großen verträumten, beseelten Ballade an. „Love ist what we are searching for“– „Liebe ist das, wonach wir suchen“. Liebe, auch zur Bühne.
We are doing well
erscheint am 5. Februar. Infos unter