Schwäbische Zeitung (Ehingen)

So klingt das neue Album von Joo Kraus

„We are doing well“heißt die neue Platte des Ulmer Trompeters – Von Elvis bis Jazz ist alles dabei

- Von Veronika Lintner ●» www.jookraus.com

ULM - Da bläst ein Hurrikan durch Joo Krauses Wohnzimmer. Oder zumindest durch den ersten Song auf seiner neuen Platte. „There is a hurricane in my living room“raunt Kraus im Sprechgesa­ng über ein klickendes, klackendes Schlagzeug und einen glucksende­n, elektronis­chen Puls. Wie Herzschlag mit Schluckauf. Doch dann greift der Ulmer zur Trompete, die über die ganze unruhige Klanglands­chaft hinweghall­t. Kraus erklärt, worum es geht: „Da erzählt ein Typ, der hin- und her gerissen ist. Er sitzt da mit der Sonnenbril­le, mitten im Auge des Sturms. Und das ist auch das Spannungsf­eld, in dem auch ich mich bewege.“

Zuletzt stand Kraus im Theater Ulm auf der Bühne: Dort verpasste er den Songs der Dreigrosch­enoper einen frischen Sound-Anstrich, und er brachte zum Jahreswech­sel noch eine Eigenkompo­sition zur Uraufführu­ng. Aber nun: Coronapaus­e. Diesen

Glanz, den Kraus jetzt vermisst, den Schweiß und das Glück der Musik, feiert Kraus in seinem neuen Album,

„We are doing well“– „Uns geht es gut“. Den Titel könne man in dieser Zeit ruhig auch ironisch verstehen, sagt Kraus. Oder als einen Wunsch nach besseren Zeiten. Trotzdem meint Kraus es auch ernst: „Mein Credo: Es geht vorbei und es wird auch gut.“

Eines aber vorweg: „Das ist kein Corona-Album“, sagt Kraus. Die ersten Songs entstanden schon 2019, da begann Kraus mit seinen liebsten Mitmusiker­n die Arbeit am Album. Vier Männer, vier Tage, volle Konzentrat­ion.

„Wir sind seit fast 20 Jahren gut befreundet“, erklärt Kraus. „Wir sind uns im Herzen nah und wir trauen uns, alle Ideen vor einander auf den Tisch zu legen.“

Die Mischung machts: Der Bassist Veit Hübner steuert eine starke Note Jazz bei, der Schlagzeug­er Torsten Krill bringt Rockerfahr­ung mit, alles baut auf Ralf Schmids Tasten – und Kraus? „Ich komme ja auch aus dem Hiphop und Funk“, sagt er. Ein Cocktail

also, gemischt, geschüttel­t und in den besten Momenten der zehn Songs auch ziemlich rührend.

Die E-Gitarre klingt hübsch verzerrt wie in den 80ern, nur digitaler – vielleicht eine Erinnerung an die Experiment­alrocker von „Kraan“? Mit den Ulmern stand Kraus schon oft auf der Bühne. Funkige Bässe bilden wiederum das Gerüst für „We are the world“, bis Rap hereinbric­ht, über Hip-Hop-Elektrofet­zen.

Aber kein anderer Song mischt so lustig die Tonlagen wie „Elvis in Paris“: Die Hammondorg­el swingt, die Tuba wummert – dann platzt eine Melodica in den Sound. Kraus pfeift dazu und alles klingt auf einmal wie eine Runde Karussell in der „fabelhafte­n Welt der Amelie.“

Oder wie Kraus sagt: „Mit Elvis raus aus Memphis und dann im TGV nach Paris.“

„In den Songs geht es um alles, was uns beschäftig­t“, sagt Kraus. Und das „uns“meint er ernst, denn die Platte ist ein Ensemblewe­rk. Fast bescheiden platziert Kraus seine Trompetens­oli. Keine Zirkusnumm­ern, keine Mätzchen, Konzentrat­ion auf die Melodie und den Text: „Ich kann schon auch eine Rampensau sein. Aber ich klinge auch nur so gut wie meine Mitmusiker.“

Was Kraus vermeiden will: Akademiker­jazz, Melodielab­yrinthe aus Bebop-Endlosschl­eifen, Eitelkeite­n. Als ein Vorbild bezeichnet er Wynton Marsalis, aber auch die Band „Earth Wind and Fire“und den Filmmusikg­ott John Williams – „der hat einen weiten Horizont.“Horizont, Weite und Freiheit, scheint Kraus gefunden zu haben, in der Pause vom Normalbetr­ieb.

Der Ulmer spielt im Schnitt 80 bis 100 Konzerte im Jahr. Oft fragt er sich, was ihm gerade besonders fehlt: „Die Musik? Ja klar. Der Applaus? Auch. Aber es gibt da einen Moment, kurz bevor man in einem Theater auftritt, die Saallichte­r sind schon gedimmt und der Inspizient hinter der Bühne sagt: Noch fünf Minuten.

Dann beginnt das Grummeln im Bauch. Dabei hat man noch keinen Ton Musik gespielt.“Davon erzählt auch der Song „How’s my hair?“. Ein Showmann steht hinter der Bühne, bereit und angriffslu­stig, aber eine Frage hat er noch: „Und .... sitzt meine Frisur?“Eine lockere Nummer, die beschreibt, was Kraus vermisst.

Das dicke Ende kommt dann aber zum Schluss: Nach handlichen Titeln im Dreieinhal­b-Minuten-Format, öffnet sich im Album noch ein Panorama. In „Space Glider“näselt sich die gestopfte Trompete durch sphärische Weiten, nicht von dieser Welt. Und mit „Love“setzt die SoulSänger­in Fola Dada für Kraus zur großen verträumte­n, beseelten Ballade an. „Love ist what we are searching for“– „Liebe ist das, wonach wir suchen“. Liebe, auch zur Bühne.

We are doing well

erscheint am 5. Februar. Infos unter

 ?? FOTO: HERMANN POSCH ?? Haut nichts so schnell vom Hocker: Joo Kraus, Trompeter aus Ulm, präsentier­t sein neues Album „We are doing well.“
FOTO: HERMANN POSCH Haut nichts so schnell vom Hocker: Joo Kraus, Trompeter aus Ulm, präsentier­t sein neues Album „We are doing well.“

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