„Einschränkungen müssen legitimen Zweck verfolgen“
Verfassungsrechtler Orgorek zur Frage, wie lange ein Lockdown verfassungsgemäß ist
BERLIN - Einige
Politiker plädieren dafür, den Lockdown zu verlängern. Aber ist das noch rechtens, wenn sich die Lage zusehends entspannt? Das hat Markus Ogorek (Foto: PR), Verfassungsrechtler an der Uni Köln, Laura Liboschik erklärt.
Zweck verfolgen und verhältnismäßig sein. Je höher das bedrohte Rechtsgut ist, desto einschneidender können die Maßnahmen sein – und hier geht es um Leib und Leben.
Sind die Maßnahmen auch noch rechtens, wenn das Gesundheitssystem nicht mehr vor der Überlastung steht?
Der Staat kommt insbesondere seiner Schutzpflicht nach, wenn er eine Triage vermeidet. Aber es geht nicht nur um die Intensivplätze. Viele Erkrankungen an Covid-19 müssen nicht intensivmedizinisch behandelt werden. Die Folgen können trotzdem gravierend sein. Außerdem: Mit jeder einzelnen Infektion ist das Risiko einer Mutation und weiterer Ansteckungen verbunden.
Können Geimpfte in Pflegeheimen verlangen, wieder uneingeschränkt Besuch zu empfangen? Wenn die Vakzine wirken, sind totale Besuchsverbote nicht gerechtfertigt. In absehbarer Zeit werden jedoch nie alle Bewohner und Besucher geimpft sein. Daher wird man weiterhin strikte Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Und wenn die Zahlen weiter sinken? Auch wenn der Inzidenzwert etwa die Schwelle von 50 unterschreitet, kann an vielen Einschränkungen festgehalten werden. Sonst könnten die Infektionszahlen schnell wieder steigen.
Könnten Klagen dagegen dennoch erfolgreich sein?
Zuständig für die Prüfung von Verordnungen sind die Oberverwaltungsgerichte. Ob Klagen Erfolg haben, kommt auf die einzelnen Regeln an. Andauernde und massive Einschränkungen können legitim sein – wenn sie effektiv wirken. Die 15-Kilometer-Regel zum Beispiel lief vielfach ins Leere und war wegen der vielen Ausnahmeregelungen nicht kontrollierbar. Deshalb wurden solche Regelungen mehrfach gekippt.
Für Private gilt in Deutschland der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Der Betreiber einer Diskothek muss einen Gast zum Beispiel nicht hereinlassen, wenn ihm der Kleidungsstil nicht passt. Der Ethikrat betont, dass Veranstalter auch jetzt „grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung sind, mit wem sie einen Vertrag schließen“. Das umfasse „prinzipiell auch die Möglichkeit, nach dem Impfstatus zu differenzieren“. Diese Rechte gelten nach Einschätzung des Rates allerdings nicht, wenn der Staat eine allgemeine Schließung angeordnet hat. Auch für Einrichtungen, die für eine gleichberechtigte und grundlegende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unerlässlich sind wie etwa der öffentliche Nahverkehr oder Lebensmittelläden, hält der Ethikrat Einschränkungen der Vertragsfreiheit weiterhin für möglich.
Bewohner von Alten- und Pflegeheimen ● sind besonders verletzlich. Gibt es für sie eigene Regeln?
Weil Bewohner von Behinderteneinrichtungen, Pflegeheimen oder Hospizen besonders früh und stark unter Beschränkungen gelitten haben, will der Ethikrat hier eigene Regeln. Die dort geltenden Ausgangsverbote, Besuchsund Kontakteinschränkungen sollten für die Bewohner aufgehoben werden, sobald sie geimpft sind. Angesichts der Belastungen, könne dies ethisch gerechtfertigt werden.