Mit Hiob durch die Krise
Hast du gerade wieder erlebt, wie sich Politiker in dieser Impfstoff-Debatte hinstellen und keine Gewissensbisse haben, uns ihre Hiobsbotschaften noch als Erfolg zu verkaufen?“– „Ja, da können einem schon die Haare zu Berge stehen. Die Herrschaften kommen bei der Beschaffung von Vakzinen auf keinen grünen Zweig und verweisen immer nur auf bessere Zeiten – ein leidiger Trost.“
So könnte sich derzeit ein Gespräch nach einer TV-Nachrichtensendung anhören – allerdings ist es frei erfunden. Letzte Woche ging es an dieser Stelle um die aus dem Buch Hiob stammende Redensart Bis hierher und nicht weiter (38,11). Auf die Gefahr hin, dass manche Leser Erörterungen über biblische Zitate vielleicht nicht ganz so prickelnd finden, soll hier doch noch einmal nachgelegt werden. Denn Hiob gibt, was unseren heutigen Wortschatz angeht, einfach zu viel her. Dafür liefert der obige konstruierte Dialog den Beweis. In ihm stecken gleich fünf Redensarten aus jenem Buch des Alten Testaments.
Unter Hiobsbotschaften (1, 14-19) verstehen wir besonders schlechte Nachrichten. Das kommt nicht von ungefähr, denn was auf den reichen Mann aus Uz im 1. Kapitel des Buches einprasselt, ist eigentlich unfasslich: An einem Tag verliert Hiob seine sieben Söhne, drei Töchter, über zehntausend Schafe, Kamele, Rinder und Esel, wird dazu noch von einem furchtbaren Aussatz befallen – und all das nur, weil er infolge einer Abmachung zwischen Gott und dem Satan auf die Unerschütterlichkeit seines Glaubens geprüft werden soll. Hiobs spontane Reaktion auf diese Katastrophe: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet (1,21) – auch dies ein geflügeltes Wort.
Apropos: In seiner Sammlung „Geflügelte Worte“von 1864 zählte Georg Büchmann allein 25 Begriffe und Redensarten auf, die wir dem Buch Hiob verdanken – allerdings zum Teil auch nach früheren LutherÜbersetzungen, die inzwischen revidiert wurden: Man hat Gewissensbisse (27,6), es stehen einem die Haare zu Berge (4,15), man kommt auf keinen grünen Zweig (15,32), oder etwas ist nur ein leidiger Trost (16,2) – siehe oben. Aber damit nicht genug: Von gestern sein (8,9), wie Spreu im Wind (21, 18), in den Dreck treten (30,19), von den Würmern zerfressen werden (4,19), ein fetter Wanst (15,27) – alles Hiob. Und sagt einer, das ist mir zu hoch, was doch sehr modern klingt, so hat er sich ebenfalls aus der rund 2500 Jahre alten Quelle bedient (42,3). Dieser bemerkenswerte Niederschlag in unserer Sprache lässt sich erklären: Der archaischen Wucht dieses Stücks der Weltliteratur, seiner gedanklichen Tiefe und seiner poetischen Kraft kann sich kaum jemand entziehen. Generationen um Generationen von Theologen, Denkern, Gläubigen, aber auch Ungläubigen haben sich in Hiob vertieft. „Lesen Sie ihn, lesen Sie ihn, wieder und immer wieder!“, so lautete die dringliche Empfehlung des großen dänischen Philosophen Sören Kierkegaard aus dem 19. Jahrhundert – besonders
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
beherzigenswert, wenn es wie derzeit um die Bewältigung einer Krise geht. Und so sperrig, fordernd, unbequem diese Lektüre streckenweise auch sein mag, vielleicht sagt der eine oder andere am Schluss: Mir geht ein Licht auf – ein letztes Mal Hiob (25,3).