An den Infektionsherd Arbeitsplatz gezwungen
Mit der seit Ende Januar geltenden Homeoffice-Pflicht nehmen es manche Unternehmen nicht so genau
RAVENSBURG
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Baden-Württemberg ist das in der Regel die Gewerbeaufsicht in den 44 Stadt- und Landkreisen sowie in den vier Regierungspräsidien. Diese würden seit der Veröffentlichung der Corona-Arbeitsschutzverordnung „Hinweisen und Beschwerden reaktiv in eigener Verantwortung nachgehen“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium in Stuttgart.
Viel zu tun haben die Behörden bis dato aber offenbar nicht. Dem Landratsamt Biberach als untere Arbeitsschutzbehörde sei bislang „keine Meldung über Nichteinhaltung der Verordnung zugegangen“, sagt Sprecherin Verena Miller auf Anfrage. Mangels eines Durchführungserlasses des Ministeriums in Stuttgart seien bislang aber auch keine arbeitsschutzrechtlichen Kontrollen durchgeführt worden. Die Gewerbeaufsicht des Landkreises Ravensburg berichtet von zwei Beschwerden, denen sie in den vergangenen Tagen nachgegangen ist. „In beiden Fällen wollten die Arbeitnehmer länger von zu Hause aus arbeiten, die Arbeitgeber wollten das nicht“, erklärt Sprecherin Selina Nußbaumer.
Von Einzelfällen abgesehen scheinen aber die meisten Beschäftigten die Homeoffice-Politik ihrer Arbeitgeber mitzutragen. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Demnach sind 86 Prozent der Arbeitnehmer mit dem Verhalten ihres Arbeitgebers gegenüber den Beschäftigten in der Corona-Krise zufrieden. Viele Unternehmen hätten beim Management der Pandemie „mitarbeiterorientiert gedacht und gehandelt“, bilanzierte Wirtschaftsexperte und Studienautor Detlef Hollmann. Rund 90 Prozent der Befragten sagten zudem, dass ihr Unternehmen Maßnahmen ergriffen habe, damit sich Beschäftigte nicht infizieren.
Diesen Punkt unterstreicht auch Liebherr-Betriebsratschef Rolf Ebe. Das Unternehmen habe ein umfangreiches Hygienekonzept umgesetzt, um Mitarbeiter vor Infektionen zu schützen. „Es gibt vor Ort keine Arbeitssituation, die den aktuellen Corona-Anforderungen nicht entspricht.“
Florian Kunze von der Uni Konstanz fordert die Unternehmen dennoch auf, wegen des Infektionsrisikos ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wo irgend möglich den Umstieg aufs Homeoffice zu ermöglichen. Seiner Meinung nach sind Beschäftigte in der Präsenzarbeit aktuell auch unproduktiver – zum Beispiel aus Sorge, sich bei der Arbeit oder auf dem Weg dahin zu infizieren. Auch Probleme bei der Kinderbetreuung könnten eine Rolle spielen.
Langfristig erwartet Kunze eine Veränderung der Arbeitswelt: „Die Arbeitnehmer und Bewerber werden auch nach der Krise erwarten, dass Homeoffice weiterhin möglich ist und angeboten wird.“Dass sich in diesem Punkt bereits etwas getan hat, glaubt Liebherr-Mann Ebe. Bereits vor Corona hatte der Betriebsrat mit der Konzernführung eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten ausgehandelt. „Die ist nicht zu unserer Zufriedenheit ausgefallen“, sagt Ebe rückblickend. Inzwischen würden 600 Mitarbeiter mobil arbeiten. Corona habe etwas in Gang gesetzt, dass sich nicht mehr zurückdrehen lasse.