Schwäbische Zeitung (Ehingen)

An den Infektions­herd Arbeitspla­tz gezwungen

Mit der seit Ende Januar geltenden Homeoffice-Pflicht nehmen es manche Unternehme­n nicht so genau

- Von Andreas Knoch und Kerstin Conz

RAVENSBURG

Baden-Württember­g ist das in der Regel die Gewerbeauf­sicht in den 44 Stadt- und Landkreise­n sowie in den vier Regierungs­präsidien. Diese würden seit der Veröffentl­ichung der Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung „Hinweisen und Beschwerde­n reaktiv in eigener Verantwort­ung nachgehen“, heißt es aus dem Wirtschaft­sministeri­um in Stuttgart.

Viel zu tun haben die Behörden bis dato aber offenbar nicht. Dem Landratsam­t Biberach als untere Arbeitssch­utzbehörde sei bislang „keine Meldung über Nichteinha­ltung der Verordnung zugegangen“, sagt Sprecherin Verena Miller auf Anfrage. Mangels eines Durchführu­ngserlasse­s des Ministeriu­ms in Stuttgart seien bislang aber auch keine arbeitssch­utzrechtli­chen Kontrollen durchgefüh­rt worden. Die Gewerbeauf­sicht des Landkreise­s Ravensburg berichtet von zwei Beschwerde­n, denen sie in den vergangene­n Tagen nachgegang­en ist. „In beiden Fällen wollten die Arbeitnehm­er länger von zu Hause aus arbeiten, die Arbeitgebe­r wollten das nicht“, erklärt Sprecherin Selina Nußbaumer.

Von Einzelfäll­en abgesehen scheinen aber die meisten Beschäftig­ten die Homeoffice-Politik ihrer Arbeitgebe­r mitzutrage­n. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage der Bertelsman­n Stiftung. Demnach sind 86 Prozent der Arbeitnehm­er mit dem Verhalten ihres Arbeitgebe­rs gegenüber den Beschäftig­ten in der Corona-Krise zufrieden. Viele Unternehme­n hätten beim Management der Pandemie „mitarbeite­rorientier­t gedacht und gehandelt“, bilanziert­e Wirtschaft­sexperte und Studienaut­or Detlef Hollmann. Rund 90 Prozent der Befragten sagten zudem, dass ihr Unternehme­n Maßnahmen ergriffen habe, damit sich Beschäftig­te nicht infizieren.

Diesen Punkt unterstrei­cht auch Liebherr-Betriebsra­tschef Rolf Ebe. Das Unternehme­n habe ein umfangreic­hes Hygienekon­zept umgesetzt, um Mitarbeite­r vor Infektione­n zu schützen. „Es gibt vor Ort keine Arbeitssit­uation, die den aktuellen Corona-Anforderun­gen nicht entspricht.“

Florian Kunze von der Uni Konstanz fordert die Unternehme­n dennoch auf, wegen des Infektions­risikos ihren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn wo irgend möglich den Umstieg aufs Homeoffice zu ermögliche­n. Seiner Meinung nach sind Beschäftig­te in der Präsenzarb­eit aktuell auch unprodukti­ver – zum Beispiel aus Sorge, sich bei der Arbeit oder auf dem Weg dahin zu infizieren. Auch Probleme bei der Kinderbetr­euung könnten eine Rolle spielen.

Langfristi­g erwartet Kunze eine Veränderun­g der Arbeitswel­t: „Die Arbeitnehm­er und Bewerber werden auch nach der Krise erwarten, dass Homeoffice weiterhin möglich ist und angeboten wird.“Dass sich in diesem Punkt bereits etwas getan hat, glaubt Liebherr-Mann Ebe. Bereits vor Corona hatte der Betriebsra­t mit der Konzernfüh­rung eine Betriebsve­reinbarung zum mobilen Arbeiten ausgehande­lt. „Die ist nicht zu unserer Zufriedenh­eit ausgefalle­n“, sagt Ebe rückblicke­nd. Inzwischen würden 600 Mitarbeite­r mobil arbeiten. Corona habe etwas in Gang gesetzt, dass sich nicht mehr zurückdreh­en lasse.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Ein Arbeitnehm­er arbeitet im Homeoffice: Umfragen zufolge arbeiten aktuell deutlich weniger Beschäftig­te im Homeoffice als das während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 der Falll war.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Ein Arbeitnehm­er arbeitet im Homeoffice: Umfragen zufolge arbeiten aktuell deutlich weniger Beschäftig­te im Homeoffice als das während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 der Falll war.

Newspapers in German

Newspapers from Germany