Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Vergessene bekommt eine Geschichte

Das Buch „Versandung“von Andreas Burmester rekonstrui­ert das Martyrium eines Opfers der NS-„Euthanasie“

- Von Barbara Miller

● ber 300 000 behinderte oder psychisch kranke Menschen sind in der NS-Zeit ermordet worden – zunächst durch Hunger, später, in der sogenannte­n Aktion T4, durch Gas. Das Schicksal dieser Kranken wurde viel zu lang beschwiege­n, oft auch von ihren eigenen Familien. Das Vergessen war der zweite Tod.

Andreas Burmester wurde in der eigenen Familie mit dem Vergessen konfrontie­rt. Mit seinem Buch „Versandung“will der 69-jährige ehemalige Leiter des Doerner Instituts der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen in München das Leben von Ursula Luise Murawski rekonstrui­eren. Sie war die Cousine seiner Mutter. Er kannte sie nicht. Ihr Leben – 1916 in Hannover geboren, 1940 in der Landesheil­anstalt Merxhausen „gestorben“– gehörte nicht zum „Familienna­rrativ“, wie er schreibt. „Es wurde verlegen herumgered­et, die Hände im Schoß, nicht wissend, wohin mit den Augen. Keines der vielen Fotoalben, vom vielen Blättern zerlesen, sich aus der Bindung lösend, keines zeigt ihr Bild.“Nun will er diese „Fehlstelle“endlich füllen. Was er in der Familie über seine Tante erfahren hat, war vage. Darauf weist der Untertitel hin: „Annäherung an eine einzige gesprochen­e Andeutung“. Burmester nähert sich dem Thema aus verschiede­nen Perspektiv­en. Aus den Krankenakt­en der Heilanstal­ten rekonstrui­ert er einen Klinikallt­ag, der mehr mit Bestrafung als mit Therapie zu tun hat. Er weist darauf hin, dass die Akten die Sicht des Anstaltspe­rsonals wiedergebe­n und zunehmend die NS-Diktion übernehmen. Auf einer zweiten Ebene lässt Burmester die Patientin zu Wort kommen, in dem er ihre Aufzeichnu­ngen und ihre Bilder interpreti­ert. Auf einer weiteren Ebene versucht er, sich in die Zeit von damals zurückzuve­rsetzen und „Ursel

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