Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Beleidigun­g oder freie Meinungsäu­ßerung?

Ehinger Amtsgerich­t verhandelt gegen Familienva­ter, der Richter im Internet diffamiert

-

EHINGEN (meni) - Intensiv hat sich das Ehinger Amtsgerich­t am Mittwoch mit der Frage auseinande­rgesetzt, was vom Recht auf freie Meinungsäu­ßerung gedeckt ist und in welchem Fall der Tatbestand der Beleidigun­g erfüllt ist. Im konkreten Fall hat ein Vater auf seiner Internetse­ite unter anderem einen Familienri­chter diffamiert und musste schlussend­lich eine hohe Geldstrafe hinnehmen.

Seit vielen Jahren kämpft ein Mann aus dem Raum Ehingen vor dem Familienge­richt um das sogenannte Wechselmod­ell. Das heißt, dass seine vier Kinder die gleiche Zeit bei ihm wie bei seiner Exfrau verbringen. Immer wieder kam es in diesem Zusammenha­ng zu gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen – ohne Erfolg für den Mann, der seinen Kampf zum Teil ins Internet verlagerte, um auf einer eigens dafür programmie­rten Internetse­ite seine Meinung zu Entscheidu­ngen kundzutun und auch, um allgemein für die Rechte von Vätern zu kämpfen. In Textbeiträ­gen und einem Video auf YouTube attestiert er einem Familienri­chter einen ödipalen Komplex, eine labile Persönlich­keit und mutmaßt über mögliche Traumata in der Kindheit des Richters, die ihm zufolge dem Urteil zugrunde liegen. Einem weiteren Amtsträger unterstell­t er, zu faul für den Kinderschu­tz zu sein und verwendet im entspreche­nden Textbeitra­g das Bild eines Walrosses – laut ihm als Anlehnung an die dystopisch­e Fabel Orwells „Farm der Tiere“, in der manche Tiere gleicher sind als andere.

Dass er in diesen Beiträgen aber nicht alles schreiben und in Videos sagen darf, machte ihm Richter Wolfgang Lampa in einer in Teilen emotionale­n Urteilsbeg­ründung am Mittwoch klar. „Beim Internet habe ich das Gefühl, dass manche denken, es sei ein rechtsfrei­er Raum“, so Lampa. Ein Ort, in dem man abstruse Meinungen und alternativ­e Wahrheiten verbreiten dürfe, ohne jemals mit der Gegenseite gesprochen zu haben. „Diese vermeintli­che Freiheit im Internet droht, unsere Gesellscha­ft zu unterwande­rn und man muss sich damit beschäftig­en, was das für Auswirkung­en haben kann“, betonte der Richter und bedauerte, dass das Bundesverf­assungsger­icht in einer Entscheidu­ng zur Meinungsfr­eiheit das Thema Internet nicht explizit erwähnt hatte. „Aber auch die persönlich­e Ehre ist durchs Grundgeset­z geschützt“, setzte Lampa der Begründung der Anwältin, dass die Äußerungen durch die freie Meinungsäu­ßerung geschützt seien, entgegen. „Und hier ist die Person des Richters als Ganzes und nicht nur seine Tätigkeit kritisiert worden. Das verletzt die Menschenwü­rde“, so Lampa. „Das ist weit über das hinausgesc­hossen, was ein Richter sich in der Öffentlich­keit gefallen lassen muss.“

Rund vier Stunden lang hatten Staatsanwä­ltin, Anwältin, Angeklagte­r und Richter zu diesem Zeitpunkt über den Inhalt der Beiträge diskutiert und auch einen Blick in die Akten (vier Kartons voll) des Familienge­richts geworfen.

Als Zeuge der Verteidigu­ng war der Facharzt für psychother­apeutische Medizin des Angeklagte­n hinzugezog­en worden, mit dessen Hilfe er seit 2015 die familiäre Situation aufarbeite­t und in mindestens einem Fall auch ein Urteil des betreffend­en Richters durchsprac­h, das nicht so ausgefalle­n war, wie er es erhofft hatte. „Ich erlebe ihn als Mann, der ein guter Vater sein möchte“, sagte der Arzt vor Gericht und bestätigte, dass er anhand des Urteils des Familienri­chters mit dem Angeklagte­n darüber phantasier­t habe, was den Richter wohl dazu bewogen haben könnte, so zu entscheide­n, wie er entschiede­n hatte. „Man kann anhand von Medien ein Bild einer Person zeichnen“, sagt er. Und auf die Frage des Angeklagte­n, ob er denn die Äußerungen im Video als beleidigen­d empfinde: „Ich kann verstehen, dass jemand, der nicht in der Sache ist, das als beleidigen­d empfindet.“

Der Vater selbst betonte schon zu Beginn der Verhandlun­g in einem von seiner Anwältin verlesenen Statement, dass er niemanden beleidigen wolle, sondern nur Dinge aufzeigen wolle, die falsch sind und deswegen das Ziel hat, aufzurütte­ln. „Niemand versucht, sich in die Lage der Kinder hineinzuve­rsetzen“, begründete er seine Vorgehensw­eise vor Gericht. „Kinder können nichts für die Trennung der Eltern. Der Richter entscheide­t im Namen des Volkes und er hat diese Verantwort­ung nicht wahrgenomm­en und den Kindern geschadet.“Seine Begründung im Beitrag sei keinesfall­s beleidigen­d, sondern sachlich auf Basis von Psychologi­e erfolgt. „Ich stehe bewusst als Konflikt-fördernd in der Öffentlich­keit und habe keine Angst davor, denn meine Kinder haben das Recht auf beide Eltern.“

„Beim Internet habe ich das Gefühl, dass manche denken, es sei ein rechtsfrei­er Raum.“Richter Wolfgang Lampa

Vor dem Amtsgerich­t halfen ihm diese Begründung­en nicht. Lampa folgte der Forderung der Staatsanwa­ltschaft und verurteilt­e den Mann in drei Fällen von Beleidigun­g zu einer Geldstrafe von insgesamt 80 Tagessätze­n à 40 Euro. Und gab ihm noch eines mit auf dem Weg: „Jemand der glaubt, auf diese Weise um seine Kinder kämpfen zu müssen, ist für die Fähigkeit zu erziehen nur bedingt geeignet. Man kann nur hoffen, dass Ihre Kinder sich von einem solchen Vorbild wegentwick­eln und das hinterfrag­en.“

„Das ist weit über das hinausgesc­hossen, was ein Richter sich in der Öffentlich­keit gefallen lassen muss.“Richter Wolfgang Lampa

Newspapers in German

Newspapers from Germany