Menschelnde Superheldin auf Zeitreise
„Wonder Woman 1984“startet hierzulande nicht im Kino, sondern als Stream bei Sky
● skapismus dringend gesucht: Derzeit würden sich wohl besonders viele Filmfans gerne in einen dunklen Kinosaal begeben, um bei einem oberflächlich-unterhaltsamen Superheld*innenfilm abzuschalten. Umso mehr, wenn er so erfrischend daherkommt wie das erste „Wonder Woman“-Leinwandabenteuer von Regisseurin Patty Jenkins aus dem Jahr 2017.
Das ist im Fall der Fortsetzung „Wonder Woman 1984“aber nur schwer möglich: In den USA lief der Film parallel zu einigen Kinos als Stream an – hierzulande startet er gleich exklusiv auf Sky Cinema. Und beim Anschauen im Heimkino wird dann doch deutlich, dass sich die zweieinhalb Stunden Laufzeit teils ziemlich ziehen.
Dabei ist am Anfang des Films die Welt noch in Ordnung: Man sieht die Superheldin als junges Mädchen (Lilly Asell) an einem Wettkampf im magischen Amazonen-Land ihrer Kindheit teilnehmen. Die Sonne strahlt, das Meer funkelt, die Effekte sind beeindruckend und dazu ertönt der dramatische Soundtrack von Hans Zimmer. Das alles ist rasant inszeniert und endet in einer wichtigen Lektion für die junge Kriegerin.
Die Probleme beginnen mit dem Zeitsprung in das Jahr 1984. Weniger, weil sich auch für Fans des Jahrzehnts die durch Serien wie „Stranger Things“befeuerten ironisch-liebevollen 80er-Jahre-Tribute allmählich
Eetwas abnutzen. Das Problem ist eher, dass hier bis auf Neonfarben, Breakdance und Schulterpolster sehr wenig aus dem Szenario gemacht wird. Selbst Musik aus der Zeit gibt es nur einmal kurz im Hintergrund zu hören, dafür wirkt der orchestrale Zimmer-Soundtrack zunehmend aufdringlich. Für Regisseurin Jenkins war aber wohl ohnehin weniger die Ästhetik des Orwell-Jahres ausschlaggebend, sondern die dunklen Dimensionen des Zeitgeists in der „Dekade der Gier“.
Den verkörpert Maxwell Lord (Pedro Pascal, „The Mandalorian“) mit jeder Faser: In Fernsehspots verkündet der schmierige Unternehmer seinen potenziellen Klienten die Erfüllung aller Wünsche, dabei steht sein vermeintliches Ölimperium kurz vor der Pleite. Das erinnert natürlich an einen anderen windigen Geschäftsmann voller großspuriger Ankündigungen, im Gegensatz zu diesem besitzt Lord aber durchaus noch Empathie-Fähigkeit, etwa im Verhältnis zu seinem achtjährigen Sohn.
Seine Wege kreuzen sich mit denen von Wonder Woman am Smithsonian Institute, dem weltgrößten Musemskomplex in Washington D.C. Dort arbeitet Diana Prince (Gal Gadot), so ihr bürgerlicher Name, als leitende Anthropologin. Wenn sie nicht gerade in ihrer Freizeit weiterhin die Welt im Kleinen rettet, führt sie dort ein zurückgezogenes Leben. Den Verlust ihrer großen Liebe Steve (Chris Pine) am Ende des ersten
„Wonder Woman“-Films hat sie auch nach mehr als 60 Jahren nicht verarbeitet. Etwas Offenheit zeigt sie erst, als die unscheinbare Barbara (Kristen Wiig) in ihr Team kommt. Gemeinsam untersuchen die beiden einen mysteriösen Stein, den sich schließlich Lord unter den Nagel reißt. Mit dessen Hilfe kann er Wünsche erfüllen, wovon er selber am meisten profitieren will. Hätte er mal besser die 1902 veröffentlichte Kurzgeschichte „Die Affenpfote“gelesen – dann wüsste Lord, dass die magische Wunscherfüllung meist einen sehr hohen Preis hat …
Die sich daraus entspinnende Handlung läuft auf zwei Ebenen: Zum einen stellt das Wunschszenario alle Beteiligten vor ein großes persönliches Dilemma, was hier aber bisweilen arg plakativ abgehandelt wird. Und die standardmäßigen Kampf-gegen-den-Superschurken Sequenzen sind zwar teils gut inszeniert, wollen sich aber nicht so recht in die Handlung einpassen.
Wenn in deren Verlauf Chaos und Anarchie in Washington ausbrechen, wecken die Bilder unweigerlich Assoziationen mit dem Sturm aufs Kapitol im Januar. An anderer Stelle wirkt der Film dagegen, als würde er nicht nur in den 1980er-Jahren spielen, sondern sei auch in diesem Jahrzehnt entstanden. So ist die holzschnittartige Darstellung der arabischen Welt in etwa auf dem Level von „Indiana Jones und der Tempel des Todes“. Und auch dass der geliebte Steve im Körper eines anderen
Mannes wiederkehrt und Diana mit diesem prompt die Nacht verbringt, wird im „#MeToo“-Zeitalter nicht mehr als harmloser Körpertausch, sondern als übergriffig aufgenommen, entsprechend regte sich Protest. Gerade weil der erste Teil als Vertreter des „aufgeklärten Superheldenfilms“gefeiert wurde, wirkt dies befremdlich.
Die durch den Vorgänger geweckten hohen Erwartungen dürften wohl auch dazu beitragen, dass die Reise ins Jahr 1984 nicht vollauf überzeugt. Auf der Habenseite gibt es aber auch einiges zu verbuchen: Die Darsteller überzeugen weitgehend, vor allem Kristen Wiigs Charakter macht eine interessante Entwicklung durch. Und dass Diana nicht über uneingeschränkte Kräfte verfügt, sondern durchaus Schwächen zeigt, hebt ihre Figur weiterhin aus der Superhelden-Schar hervor.
So ist „Wonder Woman 1984“auch mangels derzeitiger Blockbuster-Alternativen durchaus passable Unterhaltung, die vom bereits angekündigten dritten Teil hoffentlich wieder getoppt wird. Der soll dann in der Gegenwart angesiedelt sein – vorzugweise in einer nach-pandemischen Welt, denn im Gegensatz zu den 80ern dürfte sich Covid-Nostalgie ganz gewiss nicht einstellen.
Wonder Woman 1984. Regie: Patty Jenkins. Mit: Mit Gal Gadot, Chris Pine, Kristen Wiig. USA 2020. 151 Minuten. FSK 12.