Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Spanien brennt

Frust der Jugend entzündet sich an Haft für Rapper

- Von Ralph Schulze

MADRID - Erst kippt Laia mit anderen Demonstran­ten in der City Barcelonas einen Glascontai­ner um. Dann beginnt die junge Frau, Flaschen auf die Bereitscha­ftspolizis­ten zu schleudern. Diese antworten mit Gummigesch­ossen. Eine dieser Gummikugel­n trifft Laias Freundin im Gesicht und zerschmett­ert deren rechtes Auge – eine Tragödie. Es ist der bisher schwerste Zwischenfa­ll in den nächtliche­n Krawallen, die Barcelona seit Tagen erschütter­n und bei denen bislang Dutzende Menschen verletzt wurden.

„Ich fühle mich deswegen schuldig”, sagt Laia wenig später dem Radiosende­r „Ser“. Aber Laia berichtet auch, warum sie und Tausende weitere junge Leute auf die Straße gehen und nicht nur friedlich, sondern auch gewaltsam protestier­en. „Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen, damit sie uns noch zuhören. Offenbar ist der einzige Weg, um wahrgenomm­en zu werden, alles zu zerstören.“

Die Randale begann am vergangene­n Dienstag, als die Polizei in der nordspanis­chen Stadt Lleida den Rapper Pablo Hasél verhaftete. Die Festnahme war angeordnet worden, nachdem der 32-Jährige sich geweigert hatte, eine Geldstrafe zu zahlen und eine Haftstrafe wegen Beleidigun­g des Königshaus­es, aber ebenfalls wegen Gewalt- und Terrorverh­errlichung anzutreten. Seitdem brennen jede Nacht Barrikaden in der katalanisc­hen Regionalha­uptstadt Barcelona, aber auch in Lleida, Valencia und anderen Städten.

Was als Protest für die Meinungsfr­eiheit begann, weitete sich zu einem Flächenbra­nd aus, der außer Kontrolle zu geraten droht: In Barcelona, dem Epizentrum der Krawalle, wurden am Wochenende Dutzende von Geschäften geplündert.

Barcelonas alternativ­e Bürgermeis­terin Ada Colau, die ihr politische­s Engagement in jungen Jahren als Hausbesetz­erin begann und üblicherwe­ise großes Verständni­s für Proteste der linken Szene hat, zeigte sich entsetzt: „Die Meinungsfr­eiheit zu verteidige­n rechtferti­gt nicht, urbanes Mobiliar zu zerstören, die Anwohner zu verängstig­en und die Geschäfte zu attackiere­n.“Die Gewalt sei kein Ausweg. Und sie sei auch nicht hilfreich, um den Rapper wieder zur Freiheit zu verhelfen.

Der Konfliktfo­rscher Jordi Mir Garcia der Uni Barcelona spricht von „Frustratio­n, Zorn und fehlenden Perspektiv­en“in der jungen Generation. „Die 20-Jährigen sind damit aufgewachs­en, immer das Wort Krise zu hören“, sagte er. Eine Armuts-, Einkommens­und Jobkrise, die bereits Hunderttau­sende junge Spanier in die Emigration trieb.

Spanien hat sich bis heute nicht vom großen Finanzkoll­aps erholt, der 2008 mit einem Immobilien­crash begann, den Staat an den Rand der Pleite brachte und Hunderttau­sende von Familien in den Ruin trieb. Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Corona-Epidemie haben das Elend noch verschärft. Die Arbeitslos­enrate der unter 25-Jährigen liegt mittlerwei­le bei annähernd 40 Prozent.

Spaniens sozialisti­scher Regierungs­chef Pedro Sánchez kündigte derweil an, hart gegen die Randaliere­r vorzugehen Er räumte aber zugleich ein, dass in Spanien in Sachen Demokratie Reformbeda­rf bestehe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany