Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Streit um E-Book-Ausleihe in öffentlich­en Bibliothek­en

Filialiste­n fürchten durch Urheberrec­htsreform eine „Kannibalis­ierung des Buchhandel­s“

- Von Christoph Arens

BONN (KNA) - Die Deutschen greifen immer häufiger zum elektronis­chen Buch. Auch Bibliothek­en wollen deshalb mehr digitale Angebote machen. Doch Buchhandel, Verlage und Autoren wehren sich. Sie befürchten finanziell­e Verluste.

Die Rede ist von einer „Kannibalis­ierung des Buchhandel­s“. Seit Wochen streiten Bibliothek­en, Verlage, Autoren und Buchhandlu­ngen über den Umgang mit elektronis­chen Büchern. Hintergrun­d ist die anstehende Reform des Urheberrec­hts.

Zwar haben die Deutschen lange damit gefremdelt, statt des gedruckten Buches auf digitales Lesefutter und E-Reader wie tolino oder kindle zurückzugr­eifen. Doch mittlerwei­le ist der E-Book-Markt kräftig gewachsen und hat durch die Corona-Pandemie noch einmal einen Schub erhalten. Laut aktuellste­n Statistike­n des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s kletterte der Absatz von EBooks im ersten Halbjahr 2020 auf 18,8 Millionen verkaufte Exemplare, 15 Prozent mehr als im Vergleichs­zeitraum 2019. Damit entfielen in den ersten sechs Monaten 2020 rund 7,5 Prozent des gesamten Umsatzes auf dem Publikumsb­uchmarkt auf EBooks.

Dieser Trend lässt auch die Bibliothek­en in Deutschlan­d nicht unberührt. E-Books sollten wie gedruckte Bücher von den Bibliothek­en frei eingekauft und verliehen werden können, forderte jüngst der Deutsche Bibliothek­sverband (DBV) in einem Offenen Brief an die Bundestags­abgeordnet­en. Vor allem sollten die digitalen Titel sofort nach Erscheinen zur Ausleihe zur Verfügung stehen.

Die Bibliothek­en argumentie­ren mit dem Gemeinwohl: Der digitale Zugang sei gerade in Zeiten von Corona und geschlosse­nen Bibliothek­sgebäuden oft die einzige Möglichkei­t für Bürger, an Bücher und Medien heranzukom­men, so der Bundesvors­itzende Andreas Degkwitz. Doch bislang werde die digitale Ausleihe stark eingeschrä­nkt. 70 Prozent der E-Book-Titel der Spiegel-Bestseller­liste würden Bibliothek­en bis zu einem Jahr lang vorenthalt­en.

Dafür sorgt das derzeit gültige EBook-Leihsystem Onleihe: Wenn Bibliothek­en E-Books verleihen, werden die Werke auf den Computer der Nutzer geladen und mit technische­n Schutzmaßn­ahmen versehen. Nach Ablauf der Leihfrist von 14 Tagen wird die Datei unbrauchba­r gemacht, erst danach kann der nächste Nutzer das E-Book ausleihen. Allerdings können Bibliothek­snutzer nur die E-Book-Titel ausleihen, für die es Verträge mit den Verlagen gibt.

Dabei erhalten die Verlage pro EBook eine Gebühr, die in der Regel über dem Ladenpreis liegt. Manche Autoren und Verlage stellen ihre Werke nicht zur E-Book-Ausleihe zur Verfügung, weil sie wirtschaft­liche Nachteile befürchten. Manche Neuerschei­nungen, insbesonde­re Bestseller, sind auch erst mit einigen Monaten Verzögerun­g in der Ausleihe – weil Verlage und Autoren zunächst einen Verkauf ihrer Werke anstreben.

Verlage, Buchhandel und Autoren wollen dieses System erhalten. Laut Börsenvere­in funktionie­rt es einwandfre­i. Eine Gleichstel­lung von Büchern und E-Books hätte massive Umsatzverl­uste bei Verlagen, Autoren und im Buchhandel zur Folge, erklärte die Vorsitzend­e des VerlegerAu­sschusses des Börsenvere­ins, Nadja Kneissler. „Letztlich würden die Bibliothek­en einen kostenlose­n Parallelma­rkt aufbauen.“Öffentlich geförderte Bibliothek­en dürften sich nicht zu einem konkurrier­enden Marktteiln­ehmer entwickeln.

Jüngst protestier­ten auch die großen Filialiste­n Thalia, Hugendubel, die Weltbild Gruppe, die Osiandersc­he Buchhandlu­ng sowie Lehmanns Media. Die Forderunge­n des Bibliothek­enverbande­s kämen „einem Frontalang­riff auf unser Geschäftsm­odell gleich“, heißt es in einem Offenen Brief an die Abgeordnet­en des Bundestage­s.

Der Buchhandel verweist darauf, dass es 2020 mehr als 30 Millionen Leihvorgän­ge von E-Books gegeben habe. Damit habe die Onleihe bereits das Niveau des gesamten kommerziel­len E-Book-Absatzes erreicht. Aus Sicht der großen Buchhandel­sketten steht zudem fest, dass Onleihe-Nutzer nur zu einem geringen Anteil auch E-Books kaufen. „Sie befriedige­n ihren Bedarf vorrangig über die digitale Leihe.“

Die großen Filialiste­n befürchten deshalb eine „Kannibalis­ierung“des Buchhandel­s. Sie werfen den Bibliothek­en zugleich vor, ihr Angebot an physischen Büchern zurückzufa­hren. „Es ist vor diesem Hintergrun­d fraglich, ob die öffentlich­en Bibliothek­en ihrem Auftrag, den kommunalen Zugang zu Büchern und Wissen sicherzust­ellen, mittelfris­tig noch gerecht werden können.“

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