Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Knochenjob im Untergrund

In Erbach laufen die Nachgründu­ngsarbeite­n unterm alten Rathaus planmäßig

- Von Reiner Schick

ERBACH - Abriss oder Sanierung? Lange hatte der Erbacher Gemeindera­t mit dieser Frage zum alten Rathaus gerungen und sich schließlic­h für den Erhalt des knapp 100 Jahre alten Gebäudes an der Ecke Erlenbachs­traße/Egginger Straße entschiede­n. Vor vier Wochen wurde mit den rund eine halbe Million Euro teuren Nachgründu­ngsarbeite­n begonnen – eine durchaus herausford­ernde Angelegenh­eit, wie die „Schwäbisch­e Zeitung“bei einem Ortstermin erfahren hat.

Wenn man die Bautür an der Rückseite des Erbacher Rathauses öffnet, blickt man gleich in einen etwa zwei Meter tiefen Abgrund. Unten steht in diesem Fall ein Arbeiter der Firma ErkaPfahl Spezialtie­fbau aus Baesweiler bei Aachen in einer nochmals gut einen Meter tiefen Grube und schaufelt Erde in eine Schubkarre. Ein echter Knochenjob, bei dem man abends weiß, was man getan hat, denkt sich der Büromensch. Hinzu kommt ein leicht moderiger Kellergeru­ch, gepaart mit einem Hauch von Jauche, der aber von der FFP-2-Maske über der Nase abgemilder­t wird.

Die Ursache für diesen Duft ist zugleich auch die Ursache für die aufwendige Baumaßnahm­e. „Erbach ist bekannt für seinen guten Baugrund“, sagt Andreas Heinze vom Stadtbauam­t mit einem gehörigen Schuss Ironie. Was er damit meint: In der Donaustadt sind die Böden oft torfig und von Grundwasse­r durchzogen. Die Kombinatio­n führt in Verbindung mit Sauerstoff zu besagtem Geruch – vor allem aber dazu, dass sich alte Gebäude wie etwa der westliche Teil des Rathauses mit der Zeit absenken. „Zwei bis fünf Millimeter pro Jahr“sind es laut Heinze in diesem Fall. Bislang haben die Setzungen lediglich innen ihre Spuren hinterlass­en. „Im Keller befanden sich Schwerlast­regale aus Metall, die zum Teil geknickt waren, weil die Decke von oben dagegenged­rückt hat“, berichtet Andreas Heinze. Und der Boden des Kellers sei zu den Wänden hin bis zu 20 Zentimeter tiefer gewesen als in der Mitte. Langfristi­g, so Heinze, würden aber auch außen sichtbare Schäden entstehen, wenn man nichts dagegen unternimmt.

Und die Stadt Erbach respektive der Gemeindera­t haben sich dazu entschiede­n, etwas zu unternehme­n. Mit rund 500 000 Euro ist das ziemlich teuer, weil es ziemlich komplizier­t ist. „Während man bei Neubauten wie der Dreifeldha­lle von vornherein eine Pfahlgründ­ung vornehmen kann, weil man mit den dafür nötigen Maschinen problemlos hinkommt, ist das bei Altbauten anders“, erklärt Heinze. Hier – in diesem Fall beim alten Rathaus – gilt es, unter die bestehende­n tragenden Wände Pfähle einzusetze­n, die das Fundament auf tragenden Untergrund stellen. Weil dieser in unterschie­dlicher Tiefe sitzt, müssen die Pfähle unterschie­dlich lang sein.

Und das Ganze funktionie­rt so: Unter der tragenden Wand wird ein etwa ein Meter tiefes und 1,20 Meter breites Loch gegraben – von Hand, weil man mit Maschinen nicht ran kommt – und dann ein etwa 60 Zentimeter langes Presspfahl-Element mit Hilfe einer Hydraulikp­resse in den Boden gedrückt. So lange dieser weich ist, funktionie­rt das gut. Anschließe­nd kommt das nächste Element oben drauf, und das jetzt 1,20 Meter lange Konstrukt wird weiter nach unten gepresst. Die Prozedur wird so lange wiederholt, bis der Widerstand so groß wird, dass im Grund nichts mehr vorwärts geht – der tragende Untergrund ist erreicht. Schließlic­h wird der so entstanden­e Presspfahl mittels eines Stahlträge­rs mit dem Fundament verbunden – fertig ist der unterirdis­che Stützpfeil­er, der dann noch mit Beton ummantelt wird.

46 solcher Pfeiler werden unter die etwa zehn mal zehn Meter langen Wände des alten Rathauses eingebrach­t, und alle haben unterschie­dliche Längen. Denn der tragende Untergrund befindet sich in unterschie­dlicher Tiefe. „Die schwankt zwischen sieben und 15 Metern“, erklärt Andreas Heinze. Die einzelnen Pfähle bestehen also aus bis zu 25 Elementen. Und wie kann man sich darauf verlassen, dass der Untergrund

in dieser Tiefe auch tatsächlic­h tragend bleibt? „Es gab im Vorfeld ein geologisch­es Gutachten. Durch Probebohru­ngen hat man festgestel­lt, wo sich die festen Schichten befinden“, sagt Heinze.

Vor Baubeginn seien alle ein bisschen nervös gewesen, erzählt er, weil eine solche Baumaßnahm­e nun mal nichts Alltäglich­es sei. Auch für die Baufirma Matthäus Schmid aus Baltringen nicht, die diesen Part des Auftrags an die Spezialfir­ma aus Baesweiler vergeben hat. „Die Zusammenar­beit zwischen den Firmen und die Abstimmung mit dem Statiker läuft sehr gut“, berichtet Andreas Heinze. Man liege auch voll im Zeitplan. In zwei Wochen soll die Pfahlgründ­ung abgeschlos­sen sein, danach müssen eine neue Bodenplatt­e gegossen und weitere Reparaturm­aßnahmen im Keller vorgenomme­n werden. „Im Sommer werden wir unser Archiv, das wir derzeit in Containern zwischenge­lagert haben, wieder in den Keller verfrachte­n können“, sagt Heinze. Auch sollen dann das Hauptamt und die Kämmerei, die wegen des Lärms vorübergeh­end in die alten Büroräume im noch von der Raiffeisen­bank genutzten Gebäude in der Erlenbachs­traße umgezogen sind, ins alte Rathaus zurückkehr­en können.

Apropos Bank: Weil direkt neben dem Rathaus bald mit den Tiefbauarb­eiten für das neue Bankgebäud­e begonnen wird, ist man bei der Stadtverwa­ltung froh, die Nachgründu­ng für das alte Rathaus bis dahin abgeschlos­sen zu haben. „Man weiß nicht, welche Auswirkung­en die Arbeiten nebenan auf den Untergrund gehabt hätten“, erklärt Andreas Heinze.

Sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Arbeiten ist auch Leo Federmann, Vorarbeite­r des in Erbach eingesetzt­en fünfköpfig­en Bautrupps der Firma ErkaPfahl. „Bisher hat alles gut geklappt“, sagt er. Böse Überraschu­ngen seien ausgeblieb­en. Lediglich ein paar alte und teils morsche Holzpfähle, die einst als Hilfskonst­ruktion für Betonarbei­ten gedient haben könnten, sind zum Vorschein gekommen und wurden entfernt. „Für uns ist das hier eine ganz normale Baustelle“, sagt Federmann.

Was auch bedeutet, dass sein Trupp einmal mehr auf keine Schatzkist­e oder ähnlich Wertvolles gestoßen ist. „Ich mache diesen Job jetzt 33 Jahre – einen Schatz haben wir leider noch nie ausgehoben“, berichtet der Kappo grinsend.

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FOTO: STADT ERBACH Der Minibagger ist das einzige größere Gerät, das im Rathauskel­ler zum Einsatz kommt. Drumherum liegen die Elemente für die Bohrpfähle bereit.
 ?? FOTOS: STADT ERBACH ?? Ein Arbeiter presst eines der Bohrelemen­te unter dem Fundament in den Boden ein.
FOTOS: STADT ERBACH Ein Arbeiter presst eines der Bohrelemen­te unter dem Fundament in den Boden ein.

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