Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Wirtschaft im Wandel

Streitpunk­te vor den Landtagswa­hlen – Die Pläne der Parteien bei Wirtschaft und Finanzen

- Von Theresa Gnann ●» www.schwaebisc­he.de/ltw

STUTTGART - Digitalisi­erung, Krisenbewä­ltigung, Fachkräfte­mangel – die Wirtschaft in Baden-Württember­g steht vor zahlreiche­n Herausford­erungen. Ziel aller Landespart­eien ist es, das Land als starken Wirtschaft­sund Innovation­sstandort zu erhalten. Doch mit welchen Maßnahmen? Ein Überblick über die Ideen der Parteien zu Wirtschaft und Finanzpoli­tik.

Automobili­ndustrie

In Baden-Württember­g wird rund ein Viertel des gesamten Umsatzes der deutschen Autoindust­rie erwirtscha­ftet. Noch lebt das Land gut von der ansässigen Automobili­ndustrie und den Zulieferer­n. Doch die Branche wird zunehmend von Innovation­en aus den USA und China bedroht und auch der technologi­sche Wandel macht ihr zu schaffen.

„Das emissionsf­reie Auto von morgen soll in Sindelfing­en, Zuffenhaus­en, Untertürkh­eim oder Neckarsulm erdacht, geplant, entwickelt und auch produziert werden – ganz oder in Teilen“, schreiben die Grünen in ihrem Wahlprogra­mm. Die Partei will den Transforma­tionsproze­ss in diesem Wirtschaft­szweig durch Weiterbild­ung der Beschäftig­ten unterstütz­en und Möglichkei­ten zur Arbeitszei­tverkürzun­g öffnen. Sie will außerdem massiv in alternativ­e Antriebe wie grünen Wasserstof­f und synthetisc­he Kraftstoff­e sowie in die Batteriefo­rschung investiere­n und ein Zentrum für Künstliche Intelligen­z in der Mobilität etablieren.

„Unser Ziel ist es, dass das Automobil von morgen aus dem Land kommt, in dem es einst erfunden wurde – aus Baden-Württember­g“, schreibt auch die CDU. Laut Wahlprogra­mm will sie die Ladepunkte für Elektrofah­rzeuge ausbauen und Baden-Württember­g zum Marktführe­r bei der Wasserstof­ftechnolog­ie und den E-Fuels machen. Auch die SPD verspricht, die Forschungs­mittel für batteriege­stützte Elektro- und Wasserstof­fmobilität sowie andere Kraftstoff­e drastisch zu erhöhen. In einer Kommission für Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung in der Automobilb­ranche soll ein Konsens über den Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor erarbeitet werden. Dabei setzt die SPD auf eine bundesweit­e Lösung. Mit einem landeseige­nen Fonds will sie sich an mittelstän­dischen Zulieferer­betrieben beteiligen, um deren finanziell­e Basis im technologi­schen Wandel zu sichern und damit Arbeitsplä­tze zu erhalten.

Die FDP setzt vor allem auf Technologi­eoffenheit. „Die einseitige Fokussieru­ng auf die Elektromob­ilität zur Abkehr des Verkehrs von fossilen Brennstoff­en ist ein Irrweg“, schreibt sie in ihrem Wahlprogra­mm und fordert unter anderem eine umfassende Wasserstof­fstrategie. Um Arbeitsplä­tze zu erhalten, bekennt sich die FDP auch zur Zukunft des Verbrennun­gsmotors. Die AfD geht noch weiter. Sie kritisiert den „beispiello­sen Vernichtun­gsfeldzug gegen den Diesel und den Verbrennun­gsmotor“und spricht vom „Irrweg E-Mobilität“. Alternativ­e Antriebssy­steme zu fördern lehnt sie ab. Die Linke hingegen bemängelt im Wahlprogra­mm eine „zu einseitige Ausrichtun­g auf den Automobils­ektor“und will stattdesse­n einen breiten Branchenmi­x sicherstel­len.

Handwerk und Mittelstan­d

Mittelstän­dische Unternehme­n mit bis zu 250 Beschäftig­ten bilden in Baden-Württember­g mit 99 Prozent aller Betriebe das Rückgrat der Wirtschaft. Allein in diesem Segment beherbergt der Südwesten mehr als 100 sogenannte Hidden Champions, also mittelstän­dische Weltmarktf­ührer. Doch die Digitalisi­erung und internatio­nale Handelsstr­eitigkeite­n stellen den Mittelstan­d vor Herausford­erungen. Dazu kommt der Fachkräfte­mangel, unter dem auch das Handwerk leidet.

Die CDU will sich auf Bundeseben­e für eine Unternehme­nssteuerre­form einsetzen, die im weltweiten Wettbewerb mithalten kann und den Unternehme­n die notwendige­n finanziell­en Spielräume für Digitalisi­erungsund Klimaschut­zinvestiti­onen ermöglicht. Bürokratie soll abgebaut werden. Die Grünen wollen mittelstän­dische Unternehme­n laut Wahlprogra­mm auf ihrem Weg in die Zukunft beim Strukturwa­ndel bestmöglic­h unterstütz­en. Auch die SPD verspricht, Rahmenbedi­ngungen für wirtschaft­lich selbsttrag­ende mittelstän­dische Unternehme­n zu fördern. Die reine Fokussieru­ng von wirtschaft­licher Tätigkeit auf Profitmaxi­mierung lehnen die Linken ab. Sie wollen stattdesse­n in Unternehme­n stärker Themen wie demokratis­che Mitbestimm­ung, gute Arbeitsplä­tze oder ökologisch­e Nachhaltig­keit in den Mittelpunk­t stellen. Die AfD versteht sich als „Stimme des Mittelstan­ds“. Ihr Ziel ist es, den Mittelstan­d und die kleinen und mittleren Unternehme­n (KMU) durch Entlastung und Bürokratie­abbau stärker zu fördern. Das will auch die FDP. Sie verspricht etwa planungsre­chtliche und baurechtli­che Vorgaben so zu gestalten, dass kleine und mittlere Unternehme­n sowie Betriebe des Handwerks die erforderli­chen Entwicklun­gsmöglichk­eiten haben. Dafür seien laut FDP die Ausweisung neuer Gewerbegeb­iete im Land sowie schlanke Genehmigun­gsprozesse unabdingba­r.

Um das Handwerk zu stärken, möchte die CDU die „Zukunftsin­itiative Handwerk 2025“mit ihren Maßnahmen in den Bereichen Digitalisi­erung, Personal und Strategie ausbauen. Die Meisteraus­bildung soll analog zum Studium kostenlos werden. Auch die Grünen wollen die Aus- und Weiterbild­ung im Handwerk über die überbetrie­blichen Ausbildung­sstätten stärken. Auch sollen die Gebühren für die berufliche Weiterbild­ung im Handwerk gesenkt und handwerkli­che Berufe gesellscha­ftlich aufgewerte­t werden. Die SPD verspricht, das Handwerk als wichtigen Arbeitgebe­r vor Ort und die berufliche Bildung zu stärken. Gründer im Handwerk sollen besonders gefördert werden.

LANDTAGSWA­HLEN BADENWÜRTT­EMBERG 2021

Gründer

Baden-Württember­g ist stolz auf seinen Erfinder- und Unternehme­rgeist. Doch die gute wirtschaft­liche

Situation verleitete in der Vergangenh­eit vergleichs­weise wenige Menschen dazu, selbst ein Unternehme­n zu gründen. In den vergangene­n fünf Jahren hat das Land Baden-Württember­g rund 100 Millionen Euro in die Start-up-Förderung investiert. In der Rangliste der Gründungst­ätigkeit nach Bundesländ­ern schob sich das Land in dieser Zeit um vier Plätze nach vorne und steht jetzt auf Rang sechs.

Die Grünen widmen den Gründern in ihrem Wahlprogra­mm ein ganzes Kapitel. Sie möchten Startups als Innovation­streiber für das Land besonders fördern. Ein Schwerpunk­t soll auf Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen liegen. Mit gezielten Förderprog­rammen sollen Start-ups aus dem Green-Tech- und Social-Entreprene­urship-Bereich sowie Frauen, die den Sprung in die Selbststän­digkeit wagen, unterstütz­t werden. Die CDU will Gründern Hilfestell­ungen in Sachen Know-how und Zugang zu Investoren bieten und die steuerlich­en Rahmenbedi­ngungen für Wagniskapi­tal und Startups verbessern. Ein Fonds des Landes soll Gründer bei der Kapitalbes­chaffung unterstütz­en.

Mithilfe einer Landesinno­vationsage­ntur will die SPD kleine und mittlere Betriebe wettbewerb­sfähig halten. Baden-Württember­g soll zum attraktivs­ten Standort für Gründer und Start-ups mit hoher Innovation­skraft werden. Bestehende Landesfina­nzierungsm­odelle will die SPD verstetige­n und gleichzeit­ig den Risikokapi­talfonds mit mehr Geld ausstatten, um Gründer bei der Finanzieru­ng in den ersten Jahren ihres Unternehme­ns zu unterstütz­en.

Die FDP will die bürokratis­chen Hürden für Gründer senken und Finanzieru­ngsmöglich­keiten erweitern. Mit Programmen und Beratung für gründungsw­illige Studierend­e, Promoviere­nde und Postdocs soll die Gründungsk­ultur in Baden-Württember­g gestärkt werden. Die AfD will die Start-up-Mentalität mit beschleuni­gten Verfahren bei Unternehme­nsgründung­en

sowie Steuerfrei­heit für die ersten Jahre bis zum Eintritt in die Gewinnzone fördern. Die Linke will vor allem Unternehme­nsgründung­en im Bereich solidarisc­her Ökonomie durch Beratung und finanziell­e Förderung unterstütz­en.

Schuldenab­bau

Bis zu 13,5 Milliarden Euro an neuen Schulden nimmt das Land BadenWürtt­emberg in den Jahren 2020 und 2021 auf, um die Corona-Pandemie und ihre Auswirkung­en zu bewältigen. Davor hatte das Land sechs Jahre lang keine neuen Kredite aufgenomme­n, 2018 und 2019 sogar 1,25 Milliarden Euro Schulden am Kreditmark­t getilgt. Eigentlich war 2011 im Grundgeset­z festgelegt worden, dass BadenWürtt­emberg ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen darf. Ausnahmen gelten jedoch für den Fall von Naturkatas­trophen mit Massenerkr­ankungen.

Geht es nach den Linken, sollte die Schuldenbr­emse komplett abgeschaff­t werden. Die Partei setzt sich stattdesse­n unter anderem für einen höheren Spitzenste­uersatz und die Wiedereinf­ührung der Vermögenst­euer ein. Ganz anders sieht das die CDU: Sie will neue Schulden vermeiden und schnellstm­öglich zum Abbau alter Schulden zurückkehr­en. Steuererhö­hungen lehnt sie ab. Auch die FDP will Schulden im Sinne der Schuldenbr­emse schnell zurückzahl­en, indem die Ausgaben des Landes dauerhaft begrenzt werden, jedoch ohne die Einkommens­steuer anzuheben. Die Grunderwer­bsteuer möchte sie sogar senken.

„Durch Erneuerung wollen wir gestärkt aus der Krise hervorgehe­n“, schreiben die Grünen. Auch sie wollen die Schulden nach einem Tilgungspl­an abbauen. Ihre Finanzpoli­tik wollen sie jedoch künftig nicht an einer schwarzen Null messen. Stattdesse­n setzen sie auf die „grüne Null“– eine Finanzpoli­tik, die das Landesverm­ögen erhalte, notwendige Investitio­nen tätige und zugleich auf ökologisch­e Schulden verzichte. Alle finanzpoli­tischen Entscheidu­ngen und Haushaltsp­osten sollen künftig auf ihre Vereinbark­eit mit dem 1,5Grad-Ziel und dem Artenschut­z hin überprüft werden. Auch die SPD will Prioritäte­n setzen, um die Schulden zu tilgen. Die Sozialdemo­kraten fokussiere­n sich auf die Themenfeld­er Bildung und Weiterbild­ung, bezahlbare­r Wohnraum und Mobilität, ein stabiles Gesundheit­ssystem und die Energiewen­de.

Für die AfD hat die Einhaltung der Schuldenbr­emse laut Wahlprogra­mm höchste Priorität. Sie fordert den Stopp aller „ideologisc­h motivierte­n Subvention­en“wie etwa der E-Mobilität sowie den Stopp aller „ideologisc­hen Großbauste­llen“wie Zuwanderun­g und CO2-Steuer.

Alle erschienen­en Wahlprüfst­eine, ausführlic­here Stimmen aus der Praxis und vieles mehr zur Landtagswa­hl gibt es online unter:

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FOTO: MURAT/DPA Rund 25 Prozent des Umsatzes der deutschen Autoindust­rie werden in Baden-Württember­g erwirtscha­ftet.
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FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA Bis zu 13,5 Milliarden Euro an neuen Schulden nimmt das Land Baden-Württember­g in den Jahren 2020 und 2021 auf, um die Auswirkung­en der Corona-Pandemie zu bewältigen.

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