Die Wirtschaft im Wandel
Streitpunkte vor den Landtagswahlen – Die Pläne der Parteien bei Wirtschaft und Finanzen
●
STUTTGART - Digitalisierung, Krisenbewältigung, Fachkräftemangel – die Wirtschaft in Baden-Württemberg steht vor zahlreichen Herausforderungen. Ziel aller Landesparteien ist es, das Land als starken Wirtschaftsund Innovationsstandort zu erhalten. Doch mit welchen Maßnahmen? Ein Überblick über die Ideen der Parteien zu Wirtschaft und Finanzpolitik.
Automobilindustrie
●
In Baden-Württemberg wird rund ein Viertel des gesamten Umsatzes der deutschen Autoindustrie erwirtschaftet. Noch lebt das Land gut von der ansässigen Automobilindustrie und den Zulieferern. Doch die Branche wird zunehmend von Innovationen aus den USA und China bedroht und auch der technologische Wandel macht ihr zu schaffen.
„Das emissionsfreie Auto von morgen soll in Sindelfingen, Zuffenhausen, Untertürkheim oder Neckarsulm erdacht, geplant, entwickelt und auch produziert werden – ganz oder in Teilen“, schreiben die Grünen in ihrem Wahlprogramm. Die Partei will den Transformationsprozess in diesem Wirtschaftszweig durch Weiterbildung der Beschäftigten unterstützen und Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung öffnen. Sie will außerdem massiv in alternative Antriebe wie grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sowie in die Batterieforschung investieren und ein Zentrum für Künstliche Intelligenz in der Mobilität etablieren.
„Unser Ziel ist es, dass das Automobil von morgen aus dem Land kommt, in dem es einst erfunden wurde – aus Baden-Württemberg“, schreibt auch die CDU. Laut Wahlprogramm will sie die Ladepunkte für Elektrofahrzeuge ausbauen und Baden-Württemberg zum Marktführer bei der Wasserstofftechnologie und den E-Fuels machen. Auch die SPD verspricht, die Forschungsmittel für batteriegestützte Elektro- und Wasserstoffmobilität sowie andere Kraftstoffe drastisch zu erhöhen. In einer Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung in der Automobilbranche soll ein Konsens über den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor erarbeitet werden. Dabei setzt die SPD auf eine bundesweite Lösung. Mit einem landeseigenen Fonds will sie sich an mittelständischen Zuliefererbetrieben beteiligen, um deren finanzielle Basis im technologischen Wandel zu sichern und damit Arbeitsplätze zu erhalten.
Die FDP setzt vor allem auf Technologieoffenheit. „Die einseitige Fokussierung auf die Elektromobilität zur Abkehr des Verkehrs von fossilen Brennstoffen ist ein Irrweg“, schreibt sie in ihrem Wahlprogramm und fordert unter anderem eine umfassende Wasserstoffstrategie. Um Arbeitsplätze zu erhalten, bekennt sich die FDP auch zur Zukunft des Verbrennungsmotors. Die AfD geht noch weiter. Sie kritisiert den „beispiellosen Vernichtungsfeldzug gegen den Diesel und den Verbrennungsmotor“und spricht vom „Irrweg E-Mobilität“. Alternative Antriebssysteme zu fördern lehnt sie ab. Die Linke hingegen bemängelt im Wahlprogramm eine „zu einseitige Ausrichtung auf den Automobilsektor“und will stattdessen einen breiten Branchenmix sicherstellen.
Handwerk und Mittelstand
●
Mittelständische Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten bilden in Baden-Württemberg mit 99 Prozent aller Betriebe das Rückgrat der Wirtschaft. Allein in diesem Segment beherbergt der Südwesten mehr als 100 sogenannte Hidden Champions, also mittelständische Weltmarktführer. Doch die Digitalisierung und internationale Handelsstreitigkeiten stellen den Mittelstand vor Herausforderungen. Dazu kommt der Fachkräftemangel, unter dem auch das Handwerk leidet.
Die CDU will sich auf Bundesebene für eine Unternehmenssteuerreform einsetzen, die im weltweiten Wettbewerb mithalten kann und den Unternehmen die notwendigen finanziellen Spielräume für Digitalisierungsund Klimaschutzinvestitionen ermöglicht. Bürokratie soll abgebaut werden. Die Grünen wollen mittelständische Unternehmen laut Wahlprogramm auf ihrem Weg in die Zukunft beim Strukturwandel bestmöglich unterstützen. Auch die SPD verspricht, Rahmenbedingungen für wirtschaftlich selbsttragende mittelständische Unternehmen zu fördern. Die reine Fokussierung von wirtschaftlicher Tätigkeit auf Profitmaximierung lehnen die Linken ab. Sie wollen stattdessen in Unternehmen stärker Themen wie demokratische Mitbestimmung, gute Arbeitsplätze oder ökologische Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen. Die AfD versteht sich als „Stimme des Mittelstands“. Ihr Ziel ist es, den Mittelstand und die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) durch Entlastung und Bürokratieabbau stärker zu fördern. Das will auch die FDP. Sie verspricht etwa planungsrechtliche und baurechtliche Vorgaben so zu gestalten, dass kleine und mittlere Unternehmen sowie Betriebe des Handwerks die erforderlichen Entwicklungsmöglichkeiten haben. Dafür seien laut FDP die Ausweisung neuer Gewerbegebiete im Land sowie schlanke Genehmigungsprozesse unabdingbar.
Um das Handwerk zu stärken, möchte die CDU die „Zukunftsinitiative Handwerk 2025“mit ihren Maßnahmen in den Bereichen Digitalisierung, Personal und Strategie ausbauen. Die Meisterausbildung soll analog zum Studium kostenlos werden. Auch die Grünen wollen die Aus- und Weiterbildung im Handwerk über die überbetrieblichen Ausbildungsstätten stärken. Auch sollen die Gebühren für die berufliche Weiterbildung im Handwerk gesenkt und handwerkliche Berufe gesellschaftlich aufgewertet werden. Die SPD verspricht, das Handwerk als wichtigen Arbeitgeber vor Ort und die berufliche Bildung zu stärken. Gründer im Handwerk sollen besonders gefördert werden.
LANDTAGSWAHLEN BADENWÜRTTEMBERG 2021
Gründer
●
Baden-Württemberg ist stolz auf seinen Erfinder- und Unternehmergeist. Doch die gute wirtschaftliche
Situation verleitete in der Vergangenheit vergleichsweise wenige Menschen dazu, selbst ein Unternehmen zu gründen. In den vergangenen fünf Jahren hat das Land Baden-Württemberg rund 100 Millionen Euro in die Start-up-Förderung investiert. In der Rangliste der Gründungstätigkeit nach Bundesländern schob sich das Land in dieser Zeit um vier Plätze nach vorne und steht jetzt auf Rang sechs.
Die Grünen widmen den Gründern in ihrem Wahlprogramm ein ganzes Kapitel. Sie möchten Startups als Innovationstreiber für das Land besonders fördern. Ein Schwerpunkt soll auf Hochschulen und Forschungseinrichtungen liegen. Mit gezielten Förderprogrammen sollen Start-ups aus dem Green-Tech- und Social-Entrepreneurship-Bereich sowie Frauen, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagen, unterstützt werden. Die CDU will Gründern Hilfestellungen in Sachen Know-how und Zugang zu Investoren bieten und die steuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Startups verbessern. Ein Fonds des Landes soll Gründer bei der Kapitalbeschaffung unterstützen.
Mithilfe einer Landesinnovationsagentur will die SPD kleine und mittlere Betriebe wettbewerbsfähig halten. Baden-Württemberg soll zum attraktivsten Standort für Gründer und Start-ups mit hoher Innovationskraft werden. Bestehende Landesfinanzierungsmodelle will die SPD verstetigen und gleichzeitig den Risikokapitalfonds mit mehr Geld ausstatten, um Gründer bei der Finanzierung in den ersten Jahren ihres Unternehmens zu unterstützen.
Die FDP will die bürokratischen Hürden für Gründer senken und Finanzierungsmöglichkeiten erweitern. Mit Programmen und Beratung für gründungswillige Studierende, Promovierende und Postdocs soll die Gründungskultur in Baden-Württemberg gestärkt werden. Die AfD will die Start-up-Mentalität mit beschleunigten Verfahren bei Unternehmensgründungen
sowie Steuerfreiheit für die ersten Jahre bis zum Eintritt in die Gewinnzone fördern. Die Linke will vor allem Unternehmensgründungen im Bereich solidarischer Ökonomie durch Beratung und finanzielle Förderung unterstützen.
Schuldenabbau
●
Bis zu 13,5 Milliarden Euro an neuen Schulden nimmt das Land BadenWürttemberg in den Jahren 2020 und 2021 auf, um die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen zu bewältigen. Davor hatte das Land sechs Jahre lang keine neuen Kredite aufgenommen, 2018 und 2019 sogar 1,25 Milliarden Euro Schulden am Kreditmarkt getilgt. Eigentlich war 2011 im Grundgesetz festgelegt worden, dass BadenWürttemberg ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen darf. Ausnahmen gelten jedoch für den Fall von Naturkatastrophen mit Massenerkrankungen.
Geht es nach den Linken, sollte die Schuldenbremse komplett abgeschafft werden. Die Partei setzt sich stattdessen unter anderem für einen höheren Spitzensteuersatz und die Wiedereinführung der Vermögensteuer ein. Ganz anders sieht das die CDU: Sie will neue Schulden vermeiden und schnellstmöglich zum Abbau alter Schulden zurückkehren. Steuererhöhungen lehnt sie ab. Auch die FDP will Schulden im Sinne der Schuldenbremse schnell zurückzahlen, indem die Ausgaben des Landes dauerhaft begrenzt werden, jedoch ohne die Einkommenssteuer anzuheben. Die Grunderwerbsteuer möchte sie sogar senken.
„Durch Erneuerung wollen wir gestärkt aus der Krise hervorgehen“, schreiben die Grünen. Auch sie wollen die Schulden nach einem Tilgungsplan abbauen. Ihre Finanzpolitik wollen sie jedoch künftig nicht an einer schwarzen Null messen. Stattdessen setzen sie auf die „grüne Null“– eine Finanzpolitik, die das Landesvermögen erhalte, notwendige Investitionen tätige und zugleich auf ökologische Schulden verzichte. Alle finanzpolitischen Entscheidungen und Haushaltsposten sollen künftig auf ihre Vereinbarkeit mit dem 1,5Grad-Ziel und dem Artenschutz hin überprüft werden. Auch die SPD will Prioritäten setzen, um die Schulden zu tilgen. Die Sozialdemokraten fokussieren sich auf die Themenfelder Bildung und Weiterbildung, bezahlbarer Wohnraum und Mobilität, ein stabiles Gesundheitssystem und die Energiewende.
Für die AfD hat die Einhaltung der Schuldenbremse laut Wahlprogramm höchste Priorität. Sie fordert den Stopp aller „ideologisch motivierten Subventionen“wie etwa der E-Mobilität sowie den Stopp aller „ideologischen Großbaustellen“wie Zuwanderung und CO2-Steuer.
Alle erschienenen Wahlprüfsteine, ausführlichere Stimmen aus der Praxis und vieles mehr zur Landtagswahl gibt es online unter: