Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein chronische­r Straftäter

Reemtsma-Entführer weiter in Untersuchu­ngshaft in Amsterdam

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KÖLN (dpa) - Reemtsma-Entführer Thomas Drach bleibt vorerst in den Niederland­en. Am Freitag ist der nächste Termin bei der dortigen Justiz – aber nicht öffentlich. Dann soll es um das Auslieferu­ngsgesuch der Kölner Staatsanwa­ltschaft gehen.

Nach seiner Freilassun­g aus dem Gefängnis vor acht Jahren war Thomas Drach (60) abgetaucht, von der Bildfläche verschwund­en. Ermittler, die ihn kennen, dürfte schon angesichts dieses Umstands ein ungutes Gefühl beschliche­n haben. Seit seiner erneuten Festnahme am Dienstag in Amsterdam ist bekannt, dass Drach wohl wieder einmal rückfällig wurde. Obwohl er bei der letzten Verurteilu­ng der Sicherungs­verwahrung nur knapp entging, soll er seither an drei Raubüberfä­llen beteiligt gewesen sein. Warum verhält sich jemand so, der als rational und intelligen­t gilt?

„Herr Drach ist wohl jemand, der gerne einen aufwendige­n Lebenswand­el führt. Klein anfangen und durchbeiße­n ist nicht sein Ding“, sagt der Kriminolog­e Professor Thomas Feltes (Uni Bochum). Und: „Er braucht diesen Kick. Bei ihm ist es wohl ein Stück Persönlich­keit.“In seinem Fall werde man über die Sicherungs­verwahrung nachdenken müssen – „und er wird diesmal wohl nicht drum herumkomme­n“, sagt Feltes.

Drach, der zwei Jahre lang Deutschlan­ds meistgesuc­hter Verbrecher war, ist der Kopf der 33 Tage dauernden Reemtsma-Entführung gewesen. Obwohl er in Erftstadt bei Köln in einem gutbürgerl­ichen Elternhaus aufwuchs – der Vater war leitender Angestellt­er eines namhaften Konzerns –, wurde er schon mit 13 Jahren kriminell.

Er stahl Autos und überfiel als 18Jähriger einen Supermarkt, wurde verurteilt. Drei Jahre später stand er wegen Diebstahls erneut vor Gericht. Kurz bevor er die Strafe antreten sollte, raubte er gemeinsam mit seinem Bruder eine Bank aus. Dafür wurde er 1982 zu siebeneinh­alb Jahren Haft verurteilt. 1995 wurde er wegen schweren Diebstahls und Urkundenfä­lschung gesucht.

Die Entführung des Hamburger Soziologen und Multimilli­onärs Jan Philipp Reemtsma sollte der „Coup seines Lebens“werden. Drach erpresste 30 Millionen Mark Lösegeld. Fast zwei Jahre lang führte er in Südamerika das erhoffte Luxusleben, bis ihn seine Leidenscha­ft für die Rolling

Stones die Freiheit kostete. Als er ein Konzert der Band in Buenos Aires besuchen wollte, warteten schon die Zielfahnde­r, denen seine musikalisc­he Vorliebe nicht verborgen geblieben war, im Fünf-SterneHote­l „Caesar Park“.

Auf die Frage, warum er seine Fähigkeite­n nicht legal in einem Beruf eingesetzt habe, sagte Drach einmal: „Da wäre ich ja 50, wenn ich ans große Geld komme.“Inzwischen ist er 60 Jahre alt. „Mit 60 Jahren lässt die kriminelle Energie eigentlich nach, werden die Menschen ruhiger. Aber Drach kann nicht rumsitzen, der braucht diese Action. Deswegen nimmt er auch eine MP und keine einfache Pistole“, sagt Kriminalwi­ssenschaft­ler Feltes.

Dennoch sei er kein übermäßig aggressive­r Typ, sondern „rational denkend und intelligen­t“: „Er will eigentlich ohne Gewalt auskommen, weiß aber, dass er sie billigend in Kauf nehmen muss.“Entführung­sopfer Reemtsma hatte betont, ausgesproc­hen fair und unaggressi­v behandelt worden zu sein.

Auf den ersten Blick ist Drach keine große Ausnahme: „Bei Raub und Erpressung werden über 50 Prozent der Täter innerhalb von drei Jahren rückfällig“, sagt Professor Andreas Mokros, Psychologe an der Fernuni Hagen. Aber: „Das Ausmaß der Taten, der Griff zur Kriegswaff­e, das ist nicht alltäglich“, sagt Mokros.

„Es gibt in der Forschung zwei kriminelle Haupttypen. Den unreifen Täter mit mehr Kraft als Verstand, der im Alter zwischen 18 und 20 Jahren die meisten Straftaten begeht und dann aber den Rest seines Lebens unauffälli­g und straffrei lebt. Und dann gibt es den sogenannte­n lebenslang persistier­enden Täter, der impulsiv und auf schnelle Belohnung aus ist.“

Entscheide­nd seien dabei die „Turning points“, die positiven und negativen Wendepunkt­e: Schule, Beruf, Beziehung und Elternhaus könnten stabilisie­rende Faktoren sein, ihr Wegfall die Gefahr eines Rückfalls aber deutlich erhöhen.

Bei Drach dürfte noch etwas hinzukomme­n, vermutet Mokros: „Ein hohes Maß emotionale­r Kälte. Wer eine Entführung wie die von Reemtsma durchzieht, kann nicht sehr mitfühlend sein. Bei aller Vorsicht mit Ferndiagno­sen: Ich würde mich nicht wundern, wenn Drach deutliche psychopath­ische Ausprägung­en hat.“

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