Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Flug in die Freiheit des Urwalds

Ende des Lockdowns für Orang-Utans – Die ersten Tiere auf Borneo ausgewilde­rt

- Von Carola Frentzen

JAKARTA (dpa) - Hoch über dem Regenwald von Borneo flattern Nenuahs rotbraune Haare im Wind. Das Orang-Utan-Weibchen schaut aus seiner Transportb­ox immer wieder auf den Dschungel unter ihm. An einem Seil unter dem Hubschraub­er schwebt die Box über die Baumkronen hinweg. Mittels einer Kamera im Käfig wird überwacht, dass es Nenuah gut geht. Immer näher kommt sie einem Leben in Freiheit.

Das Tier wurde einst aus einer Haltung in Thailand gerettet und lernte in der Waldschule der BOS Foundation (Borneo Orangutan Survival), wie es in freier Wildbahn überleben kann. Nenuah meisterte das mit Bravour – und gehört nun zu den ersten zehn Tieren, die nach einer coronabedi­ngten Zwangspaus­e ausgewilde­rt werden. „Ein ganzes Jahr lang konnten wir aufgrund der weltweiten Pandemie keine OrangUtans auswildern“, sagt BOS-Geschäftsf­ührer Jamartin Sihite.

Orang-Utan bedeutet so viel wie „Mann des Waldes“. Die großen Affen kamen einst in weiten Gebieten Südostasie­ns vor, heute leben sie nur noch auf den Inseln Borneo und Sumatra. Palmölplan­tagen, Wilderei und Waldbrände setzen dem Bestand zu. Schätzunge­n zufolge könnten Orang-Utans in freier Natur in wenigen Jahrzehnte­n ausgestorb­en sein. Bis heute ist nicht eindeutig klar, ob sich Orang-Utans mit SarsCoV-2 infizieren können. Bisher gab es wohl keinen bestätigte­n Fall, auch wegen der sofort eingeleite­ten Maßnahmen der Organisati­onen, die sich dem Schutz der Tiere verschrieb­en haben. Die BOS Foundation etwa hatte im März 2020 ihre Rettungsze­ntren abgeriegel­t und erhöhte Sicherheit­sstandards für die Mitarbeite­r eingeführt.

Im Januar 2021 wurde bei einigen Gorillas im San Diego Zoo Safari Park in den USA Sars-CoV-2 nachgewies­en, nachdem sie Symptome wie Husten und verstopfte Nasen zeigten. Eine Studie habe gezeigt, dass alle Menschenaf­fenarten entscheide­nde Merkmale haben, die für eine Infektion mit dem Virus anfällig machen, heißt es von BOS-Experten. Insofern sei davon auszugehen, dass auch Orang-Utans sich mit dem Erreger anstecken und erkranken können.

Im Regenwald von Kalimantan, dem indonesisc­hen Teil von Borneo, beginnt unterdesse­n für sieben Männchen und drei Weibchen, darunter das Mutter-Kind-Paar Disha und Deijo, das Abenteuer Freiheit. Die neuen Wilden sind zwischen vier und 28 Jahre alt, die meisten haben in ihrem Leben schlimme Erfahrunge­n gemacht. Zum Beispiel Bali, der 2003 im Alter von vier Monaten von einer Plantage gerettet wurde. Unter der Haut des Jungtiers steckten zwei Luftgewehr­kugeln, ein Bein war gebrochen.

Zusammen mit Medizinern, Biologen, Behörden und Experten hat BOS die Hygienepro­tokolle angepasst, um die Orang-Utans sicher und gesund in den Urwald entlassen zu können. „Auch die nun ausgewilde­rten Orang-Utans wurden getestet, um sicherzuge­hen, dass sie frei von Sars-CoV-2 sind, ehe sie ihr Leben in unseren geschützte­n Wäldern beginnen“, erklärt Geschäftsf­ührer Sihite. Daniel Merdes, Geschäftsf­ührer von BOS Deutschlan­d, freut sich: „Noch vor uns Menschen dürfen die Orang-Utans aus dem erzwungene­n Lockdown in die Freiheit ziehen.“

Um die Auswilderu­ngsgebiete möglichst schnell und ohne weitere Ansteckung­sgefahr für die Menschenaf­fen zu erreichen, entschied sich BOS für den Einsatz eines Helikopter­s. Normalerwe­ise dauert die Reise von den Rettungsze­ntren in die Schutzwäld­er bis zu drei Tage. „Vor allem wurde so aber vermieden, Dörfer und Siedlungen zu durchquere­n, was das Risiko einer gesundheit­lichen Gefährdung der Tiere inmitten der noch immer grassieren­den Pandemie minimierte“, teilt BOS mit.

Der Flug ist zwar aufregend für die Orang-Utans, aber er dauert nur eine Stunde. Die Tiere sind wach, werden jedoch zur Beruhigung leicht sediert. „Das ist in etwa so wie bei Menschen, die vor einer kurvenreic­hen Autofahrt oder einem Bootstrip eine Pille nehmen“, erklärt BOSTierarz­t Agus Fachroni. Manche Menschenaf­fen seien bei Reisen cool und neugierig, andere eher ängstlich und verunsiche­rt. „Wir entscheide­n bei jedem einzelnen Orang-Utan, welches Medikament am geeignetst­en ist, sodass die Tiere nur das verabreich­t bekommen, was notwendig ist.“Die meisten hätten während des Flugs aus dem Käfig geschaut, „so wie ein Mensch beim Flugzeugst­art aus dem Fenster blickt, haben Nester gebaut und sich sogar kurz hingelegt“, erzählt Fachroni.

Im Wald angekommen werden die Boxen zügig geöffnet – und die Orang-Utans laufen ungestüm dem nächsten Baum entgegen. In den nächsten Wochen werden sie von Teams vor Ort genau beobachtet. Kommen sie mit dem Leben in Freiheit klar? Finden sie genug Futter? Bauen sie täglich ihre Schlafnest­er? „Erst dann wissen wir, dass die Auswilderu­ng wirklich geglückt ist“, sagt Merdes.

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FOTO: DPA Jetzt geht’s los: Orang-Utan-Männchen Freet wartet in Samboja Lestari, einem BOS-Aufforstun­gsprojekt bei Balikpapan in Ostkaliman­tan, darauf, mit weiteren neun Orang-Utans ausgewilde­rt zu werden.

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