Ende Oktober gehen bei MSR die Lichter aus
Für den Automobilzulieferer gibt es wohl keine Rettung mehr – Rund 240 Arbeitsplätze fallen weg
● UNTERSULMETINGEN - Neue Hiobsbotschaft für den Wirtschaftsstandort Laupheim: Für den schwer angeschlagenen Automobilzulieferer MSR Technologies in Untersulmetingen gibt es wohl keine Rettung, nach heutigem Stand schließt das Unternehmen Ende Oktober. Rund 240 Arbeitsplätze gehen verloren.
Im Dezember 2019 hatte MSR Insolvenz angemeldet. Unmittelbar zuvor war die Familie Militzer, die das Unternehmen 2010 nach der Lindenmaier-Pleite federführend übernommen hatte, als Teilhaber ausgestiegen. Als wesentlicher Grund für den Insolvenzantrag wurden erhebliche Umsatzeinbußen infolge der „Dieselkrise“in der Autoindustrie genannt. Das Amtsgericht Ravensburg ordnete daraufhin die vorläufige Eigenverwaltung an, der Geschäftsbetrieb lief zunächst uneingeschränkt weiter. Der vom Gericht bestellte vorläufige Sachwalter, Holger Leichtle aus Stuttgart, äußerte sich damals zuversichtlich, eine Fortführungslösung zu finden. „Immer wieder hieß es: Wir sind auf einem guten Weg“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Klaus Sandmaier.
Im Frühjahr 2020 schälte sich jedoch heraus, dass die Umsätze nicht genügten, um kostendeckend zu produzieren. Die Kunden wurden deshalb gebeten, den Verlust einstweilen über schlechtere Konditionen mitzutragen, um die Lieferung der georderten Ware sicherzustellen. Ein Großkunde machte dafür den Übergang in die Regelinsolvenz zur Bedingung – dieser Schritt wurde am 1. Juni vollzogen.
Holger Leichtle, seither Insolvenzverwalter, verfolgte nun nach Angaben seines speziell mit MSR befassten Kollegen Sebastian Krapohl zwei Optionen. Zum einen wurde ein externer Investor gesucht, zum anderen ein Konzept in Betracht gezogen, wonach die verbliebenen Gesellschafter Robert Stöhr und Peter Rieser,
beide früher im Vorstand der Lindenmaier AG, den Betrieb übernehmen und aus der Insolvenz führen sollten. Beim Betriebsrat herrscht der Eindruck vor, dass vornehmlich mit ihnen eine Lösung gesucht worden sei. Beide Optionen indes zerschlugen sich, als im November 2020 einer der wichtigsten Kunden absprang und seine Aufträge anderweitig platzierte. „Damit“, so Krapohl, „war die dünne Umsatzdecke gesprengt und eine Wirtschaftlichkeit nicht mehr darstellbar.“
Bei einer Betriebsversammlung am 18. Dezember, auf Drängen des Betriebsrats einberufen, teilte der Insolvenzverwalter mit, dass die Ausproduktion vorbereitet werde. Die Kunden wurden befragt, wie lange sie noch welche Bauteile von MSR beziehen wollen und in welchen Mengen. Diese Aufstellung liegt dem Betriebsrat seit vergangener Woche vor. Sie ist Grundlage eines unbarmherzigen Prozesses: Die Produktion wird in den nächsten Monaten schrittweise zurückgefahren und parallel dazu immer mehr Beschäftigten gekündigt – bis am 31. Oktober die Lichter in der Lindenmaierstraße 20 endgültig erlöschen.
In den kommenden Gesprächen zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat werde es nicht zuletzt um die Frage gehen, welche Mitarbeiter und Maschinen noch wie lange gebraucht werden, sagt Christian Velsink, Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall Ulm. Er steht dem Betriebsrat
zur Seite. Velsink geht davon aus, dass ein Großteil des Geschäfts bei MSR noch vor dem Sommer wegbricht. Laut Sebastian Krapohl sollen die ersten Kündigungen im März ausgesprochen werden. Die Kündigungsfrist in der Insolvenz beträgt maximal drei Monate. Der Betriebsrat hat sogar schon eine Namensliste erhalten, es aber abgelehnt, sie zu akzeptieren. Der Personalabbau müsse so sozialverträglich wie möglich geregelt werden, betont Klaus Sandmaier.
Treffen werde es im Besonderen ältere Kolleginnen und Kollegen, sagt Sandmaier. Menschen Mitte, Ende fünfzig, die sich „nicht mehr leicht tun auf dem Arbeitsmarkt“. Der Altersschnitt bei MSR sei vergleichsweise hoch – „wir haben durch die Lindenmaier-Insolvenz viele Junge verloren“.
Dutzende Menschen, die jetzt vor dem Aus stehen, sind seit Jahrzehnten im Betrieb; sie haben alle Höhen und Tiefen miterlebt und in schwierigen Zeiten Opfer gebracht. Etliche von ihnen wurden schon 2009 entlassen, als die Lindenmaier AG Schiffbruch erlitt, und in die Nachfolgefirma MSR zurückgeholt, als wieder Leute gebraucht wurden. Jetzt werden sie erneut nach Hause geschickt. „Das ist einfach nur traurig“, sagt der Gewerkschafter Velsink.
Im Dezember arbeiteten 238 Menschen bei MSR. Rund 30 von ihnen haben inzwischen von sich aus gekündigt, berichtet Klaus Sandmaier.
Ein Gutteil der Auszubildenden habe man bereits in anderen Firmen untergebracht.
Insolvenzverwalter und Betriebsrat verhandeln jetzt über einen Sozialplan und Interessenausgleich. Der Insolvenzverwalter kann laut Gesetz maximal 2,5 Bruttogehälter für jeden betroffenen Mitarbeiter für den Sozialplan aufwenden. „Das möchten wir auch tun“, sagt Sebastian Krapohl. Ob es gelingt, scheint fraglich, weil der Gesamtbetrag ein Drittel der verfügbaren Masse nicht überschreiten darf. „Wir gehen davon aus, dass ein Drittel in diesem Fall nicht für zweieinhalb Monatsgehälter reichen wird“, bedauert Krapohl. Auch der Umfang einer möglichen, staatlich geförderten Transfergesellschaft für eine Weiterqualifikation von Mitarbeitern wäre mangels Masse limitiert. Dem Betriebsrat liege ein Angebot dazu vor. „Falls sich hier eine Möglichkeit ergibt, dann sicher nicht für alle“, vermutet Christian Velsink.
Im Oktober werde man eine Prognose zum Sozialplan abgeben und bis zum Jahreswechsel wahrscheinlich eine Abschlagszahlung leisten können, sagt Krapohl. Was die Gläubiger von MSR anbelangt, erwartet der Rechtsanwalt „keine sonderlich hohe Quote“. Ein Großteil der Maschinen sei geleast. Die Immobilie gehöre nicht zur Insolvenzmasse; sie war schon zu Lindenmaier-Zeiten Fremdeigentum und ist auch von MSR angemietet.
MSR Technologies stellt hochpräzise Zerspanungsteile her. Schwerpunkte sind die Produktions- und Verfahrensentwicklung in den Bereichen Benzin- und Dieseldirekteinspritzung, Turboladerkomponenten, Bauteile für Doppelkupplungsgetriebe, Steuerventile und Hydrauliksteuerblöcke. An eine wundersame Rettung des Unternehmens mag dieser Tage niemand mehr glauben. „Wir bräuchten jemanden mit Geld und Aufträgen“, sagt Klaus Sandmaier. „Wer aber sollte das sein in der jetzigen Zeit?“