Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Hoffnungss­chimmer Schnelltes­ts

Bayern und Baden-Württember­g legen Strategie für Tests vor – Intensivme­diziner warnen vor Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen

- Von Emanuel Hege und dpa

● RAVENSBURG/BERLIN (dpa) - Sonniges Wetter, offene Biergärten, Osterurlau­b am Strand oder in den Bergen – wie schön könnte das Leben im Frühling sein. Wäre da nur nicht der Corona-Lockdown. Um Öffnungen möglich zu machen und abzusicher­n, sollen auf breiter Front deutlich mehr Tests kommen, die nicht erst ins Labor geschickt werden müssen: kostenlose Schnelltes­ts durch geschultes Personal etwa in Praxen oder Apotheken und dazu Selbsttest­s zur Anwendung direkt für zu Hause. Die Hoffnungen sind groß – aber was können die Tests überhaupt leisten?

Was hat die Politik vor?

Das erklärte Ziel lautet: Öffnungen und Tests verbinden. „Eine intelligen­te Öffnungsst­rategie ist mit umfassende­n Schnelltes­ts, gleichsam als Freitesten, untrennbar verbunden“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Wie das gehen soll, will sie mit den Ländern am kommenden Mittwoch festlegen. Ein Start am 1. März, den Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) schon verkündete, kommt nicht. Merkel sagt: „Es wird aber im März sein.“

Wie stehen die Chancen auf Lockerunge­n ● des Lockdowns?

Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagte der „Rheinische­n Post“: „Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer wieder im Biergarten sitzen können und die nächste Bundesliga-Saison auch wieder im Stadion verfolgen werden.“Auch Baden-Württember­g dringt trotz einer drohenden dritten Corona-Welle auf eine schrittwei­se Lockerung des Lockdowns mithilfe von Schnelltes­ts. In einem Impulspapi­er für die Bund-Länder-Beratungen am kommenden Mittwoch schlägt das Staatsmini­sterium von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) vor, unter anderem Teile des Einzelhand­els und der Gastronomi­e sowie Museen auf diese Weise zu öffnen. Die Veranstalt­er und Betreiber der Einrichtun­gen „müssen dafür Sorge tragen, dass nur Besucherin­nen und Besucher Zutritt erhalten, die einen negativen Test vorweisen können“, heißt es in dem Papier. Der bundesweit­e Lockdown gilt noch bis zum 7. März. Angesichts einer drohenden dritten CoronaWell­e durch die ansteckend­eren Virusvaria­nten müsse man aber weiter Vorsicht walten lassen, heißt in dem Schreiben aus der Regierungs­zentrale. Denn Sorgen bereitet vielen Experten,

dass sich die ansteckend­ere Virusvaria­nte, die London im Winter lahmlegte, weiter ausbreitet. Die Infektions­zahlen stiegen zuletzt leicht an. Intensiv- und Notfallmed­iziner haben deshalb eine Verlängeru­ng des Lockdowns bis Anfang April gefordert. Drei Wochen mehr Disziplin seien entscheide­nd, um durch Impfungen eine schwer bis nicht mehr kontrollie­rbare dritte Welle zu vermeiden, sagte Gernot Marx, Präsident der Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin. Ein Öffnen am 7. März könne nach aktuellen Berechnung­en die Zahlen schwer kranker Corona-Patienten in Kliniken exorbitant in die Höhe treiben, hieß es. Der bisherige Höchststan­d lag im Januar bei etwa 6000 Corona-Patienten auf Intensivst­ationen. Im Moment seien es rund 2900, was beherrschb­ar sei, hieß es. Allerdings sollen jetzt auch die Impfungen stark anziehen. So rechnen die Bundesländ­er bis Anfang April mit einem deutlichen Fortschrit­t bei den Impfungen gegen das Coronaviru­s. In mehreren Ländern könnten die Impfkapazi­täten bis dahin verdoppelt werden. In Bayern zum Beispiel soll sie von 46 000 Impfungen pro Tag bis April auf 111 000 steigen. In Baden-Württember­g könnten bis zu 60 000 Impfungen erfolgen. Derzeit sind es 14 000 bis 19 000. Zuletzt hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn (CDU) auf ein höheres Impftempo in den Ländern gedrängt. Jetzt sei schließlic­h anders als Anfang des Jahres Impfstoff da. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind bis einschließ­lich Dienstag 5,4 Millionen Impfdosen gespritzt worden.

Mit größeren Impfstoffm­engen können die Länder bis Anfang April rechnen. So kündigte der Hersteller Biontech bis Ende März eine Gesamtmeng­e von mehr als 11,5 Millionen Impfdosen an. Von Moderna sollen bis dahin 1,8 Millionen Dosen an die Länder ausgeliefe­rt werden. Hinzu kommen voraussich­tlich rund 5,6 Millionen Dosen des Impfstoffs von Astra-Zeneca. Insgesamt könnten also bis dahin knapp 19 Millionen Impfdosen ausgeliefe­rt worden sein.

Wie testen die Bundesländ­er?

In Baden-Württember­g können sich demnächst deutlich mehr Menschen als bisher kostenlos auf das Coronaviru­s testen lassen. Neben Pflegepers­onal, Lehrkräfte­n und Kita-Erzieherin­nen soll es künftig auch anlasslose Gratis-Schnelltes­ts für Menschen geben, die Angehörige pflegen. Aber auch Polizisten, Justizange­stellte, Schülerinn­en und Schüler sowie deren Eltern sollen diese Möglichkei­t bekommen. Laut dem Konzept erhalten die Kommunen drei Millionen Schnelltes­ts aus der Notreserve des Landes und können – wenn nötig – weitere drei Millionen beschaffen, alles auf Kosten des Landes. Darüber hinaus will das Land so schnell wie möglich sieben Millionen Selbsttest­s beschaffen. Die ersten dieser Tests in Bayern sollen voraussich­tlich kommende Woche an Schulen und Kitas ausgeliefe­rt werden. Das kündigte Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) am Mittwoch am Rande einer Landtagssi­tzung in München an. Insgesamt sollen nach Angaben Holetschek­s in Bayern am Ende 8,6 Millionen Selbsttest­s pro Monat zur

Verfügung stehen. Neben älteren Verträgen wurden demnach zuletzt noch einmal 5,3 Millionen Selbsttest­s pro Monat zusätzlich geordert. Die Selbsttest­s sollen nach Worten Holetschek­s zunächst vorrangig an Schulen und Kitas eingesetzt werden, um dort die Sicherheit zu erhöhen. Er schloss aber eine Ausweitung auf andere Bereiche nicht aus.

Wie nützlich sind die Selbsttest­s ● in der Pandemiebe­kämpfung?

Spahn zeigte sich überzeugt, dass „die allermeist­en Bürgerinne­n und Bürger“einen positiven Test nicht einfach ignorieren, zusätzlich sollte man ihn per PCR-Test überprüfen – so werde der Selbsttest zu einem Werkzeug gegen die Pandemie. Es gebe keinen anderen vernünftig­en Weg, als bei Selbsttest­s, auf Selbstvera­ntwortung zu setzen. „Wir können ja nicht in jeder Küche kontrollie­ren.“Denkbar wäre womöglich auch eine Anwendung in der Gastronomi­e. Restaurant­s könnten zum Beispiel ein Zelt vor die Tür stellen – als private Selbsttest-Station. Doch: Wenn man aber auch bestimmte Öffnungssc­hritte an Tests knüpfe – etwa Besuche von Veranstalt­ungen oder Geschäften – dann wäre wiederum der Testbedarf deutlich höher.

Wie funktionie­ren die Tests?

Bislang sind drei Produkte für den Heimgebrau­ch zugelassen und sollen bald in Apotheken, Drogerien und Supermärkt­en erhältlich sein. Allerdings warnte Spahn bereits, es werde zunächst möglicherw­eise Lieferengp­ässe geben. Der Bund rechnet trotzdem mit genügend Nachschub: Gesichert sind bis zu 800 Millionen Stück für dieses Jahr. Die Tests sind für Laien leichter zu handhaben als die bisherigen Schnelltes­ts, die es weiterhin bei Apotheken gibt – bei diesen ist ein tiefer Nasenoder Rachenabst­rich durch geschultes Personal erforderli­ch. Bei den neuen Schnelltes­ts für Laien holt man das Sekret nur noch aus dem vorderen Bereich der Nase. Eine Abstrichpr­obe wird auf einen Teststreif­en gegeben, falls darin Coronavire­n enthalten sind, verfärbt sich dieser.

Welche Restrisike­n bleiben?

Das Robert-Koch-Institut (RKI) betont, dass die zuverlässi­gsen PCRTests der „Goldstanda­rd“bleibe. Die schnellen Tests ohne Laborauswe­rtung gelten nur als ergänzende Instrument­e. Auch ein negatives Ergebnis sei „kein Freibrief“, sich etwa nicht mehr an Abstand zu halten, erklärte das Gesundheit­sministeri­um am Donnerstag.

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Pandemiemü­digkeit

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