Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Blankosche­ck für die Börse

Mit dem Börsenmant­el Lakestar können Privatanle­ger auf das Gespür des Technologi­einvestors Klaus Hommels wetten

- Von Andreas Knoch und Brigitte Scholtes

RAVENSBURG/FRANKFURT - Für Anleger ist der deutsche Aktienmark­t um eine weitere Notierung reicher. Seit gut einer Woche können in Frankfurt die Aktien der Lakestar Spac 1 SE ge- und verkauft werden. Das Interessan­te dabei: Bei der Gesellscha­ft handelt es sich um einen leeren Unternehme­nsmantel; stand heute kann Lakestar keinerlei operatives Geschäft vorweisen. Die Anleger haben sich dennoch um die Anteilssch­eine gerissen. Die 27,5 Millionen Aktien, die zu einem Preis von je zehn Euro verkauft wurden, waren rund achtfach überzeichn­et. Im Laufe der ersten Handelswoc­he kletterten die Papiere um weitere zehn Prozent und gingen am vergangene­n Freitag mit gut elf Euro aus dem Handel.

Geld für nichts? Das auf den ersten Blick kuriose Börsendebü­t wird beim Blick hinter die Kulissen plausibler. Bei Lakestar handelt es sich nicht um eine gewöhnlich­e AG, sondern um eine sogenannte Special Purpose Acquisitio­n Company – kurz Spac. Das ist eine Zweckgesel­lschaft, ein Unternehme­n ohne operatives Geschäft, das an die Börse geht und dann mit viel Geld befüllt wird. Mit diesem Kapital kauft es dann andere Unternehme­n auf und fusioniert mit ihnen. Solche Zieluntern­ehmen sucht das Spac auf der ganzen Welt – auch und gerade in Deutschlan­d mit seiner attraktive­n Unternehme­nslandscha­ft.

Hinter dem Lakestar Spac steht der Technologi­einvestor Klaus Hommels, der sich mit erfolgreic­hen Investment­s in Unternehme­n wie Facebook und Spotify einen Namen gemacht hat. Mit den nun eingesamme­lten 275 Millionen Euro will er in Europa auf Einkaufsto­ur gehen und hofft, bei Wachstumsu­nternehmen aus dem Technologi­esektor fündig zu werden. Hommels, der ein vehementer Verfechter einer europäisch­en Antwort auf das kalifornis­che Silicon Valley ist, will mit Lakestar auch der US-amerikanis­chen Spac-Welle etwas entgegense­tzen und verhindern, dass junge Unternehme­n aus Europa unter US-Börsenmänt­el schlüpfen und somit das deutsche Technologi­eKnow-how ausverkauf­t wird.

In den USA sind Spacs am Aktienmark­t der letzte Schrei. Von Januar bis Mitte Februar gab es schon halb so viele Börsengäng­e dieser auch als Blankosche­ck-Unternehme­n genannten Börsenvehi­kel wie im gesamten Jahr 2020. Nach Angaben der Technologi­ebörse Nasdaq gingen im vergangene­n Jahr 237 Spacs an die Börse und sammelten knapp 80 Milliunter­nehmen arden US-Dollar ein (66 Milliarden Euro). Traditione­lle Börsengäng­e schafften lediglich Emissionse­rlöse von 67 Milliarden US-Dollar (55 Milliarden Euro).

Hinter dem Spac-Boom stehen sogenannte Sponsoren, das sind meist große Wagniskapi­talgeber – wie im Fall von Lakestar Klaus Hommels. Auch Oliver Samwer, Gründer von Rocket Internet, und der ehemalige Siemens-Chef Klaus Kleinfeld haben ein Spac angekündig­t.

Die Aufgabe dieser Sponsoren: Sie müssen innerhalb von zwei Jahren attraktive Unternehme­n für ihre Zweckgesel­lschaft finden. Begehrte Objekte sind junge unterbewer­tete Unternehme­n, die mithilfe des Kapitals eines solchen Spacs ihr Geschäft ausbauen können. Diese Abkürzung an die Börse finden auch einige Ziel

attraktiv. Der Vorteil für sie gegenüber einem normalen Börsengang: Sie müssen nicht in einem langwierig­en Verfahren bei potentiell­en Investoren öffentlich um Geld bitten und dafür ihre Bücher öffnen. Das geschieht bei den Spacs bilateral und damit vertraulic­her.

Der Vorteil für die Investoren: Sie hoffen in der Nullzinswe­lt auf attraktive Renditen, darauf nämlich, dass die Aktie ihres Spacs nach der Übernahme abhebt. Das Geld, das sie den Spacs zur Verfügung stellen, wird zuvor auf ein Treuhandko­nto eingezahlt und darf nur in sichere Wertpapier­e investiert werden – meist in kurz laufende amerikanis­che Staatsanle­ihen.

Wenn der Sponsor innerhalb der zwei Jahre kein passendes Objekt findet oder den Investoren das ausgewählt­e Unternehme­n, das der Sponsor schließlic­h für den Börsenmant­el auswählt, nicht gefällt, können sie ihre Anteile zurückgebe­n. Nur wenn die Mehrheit der Aktionäre zustimmt, kommt der Deal zustande.

Das Risiko, dass Kleinanleg­er mit Spacs Geld verlieren, scheint damit auf den ersten Blick überschaub­ar. Doch in der Praxis weisen viele Spacs eine recht miserable Bilanz auf. Einer Studie von Forschern der Stanford University zufolge, hat das durchschni­ttliche Spac zum Zeitpunkt der Übernahme eines Zieluntern­ehmens bereits ein Drittel seines Kapitals verbrannt. Die Forscher erklären das vor allem mit den enormen Kosten, die für Investoren kaum zu durchschau­en seien. Und auch nach dem Übernahmed­eal kannten die Kurse der meisten Spacs einer Auswertung zufolge zunächst nur eine Richtung: nach unten.

Satte Renditen streichen vor allem die Sponsoren der Spacs ein. In der Regel bekommen sie 20 Prozent an dem leeren Börsenmant­el, ohne dafür selbst Geld in die Hand nehmen zu müssen.

Stefan Riße, Kapitalmar­ktstratege von Acatis Investment warnt daher: Ein Trend wie der Boom bei Spacs komme meist dann auf, wenn die Börsen schon weit gelaufen seien. Wie es im schlechtes­ten Fall ausgehen kann, zeigt das Beispiel des allererste­n deutschen Spac: Im Jahr 2008 schlossen sich der Unternehme­nsberater Roland Berger, Ex-Karstadt-Chef Thomas Middelhoff und Investment­banker Florian Lahnstein zur Gesellscha­ft Germany1 zusammen. Die Übernahme des Mittelstän­dlers AEG Power Solutions floppte, die Holding verschwand von der Börse. Middelhoff und Berger stritten sich später vor Gericht um Millionen.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Handelssaa­l der Börse in Frankfurt am Main: In den USA boomt das Geschäft mit leeren Börsenmänt­eln. Auch in Deutschlan­d werden Anleger mittlerwei­le fündig.

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