Der Rebell will vor allem für die Schwachen kämpfen
David Rizzotto von der Partei „Die Linke“möchte mit seiner Landtagskandidatur auch ein Zeichen setzen
●
EINSINGEN - David Rizzotto aus Einsingen ist ein Neuling im politischen Geschäft und macht sich nichts vor: Die Chance, für die Partei „Die Linke“im Wahlkreis 65 in den Landtag einzuziehen, ist gering. Aber der 33Jährige will mit seiner Kandidatur zeigen, dass man „auch ohne Abitur, aber mit viel Lebenserfahrung“für Ziele kämpfen kann.
„Ich bin ein ehrlicher Mensch und habe keine Probleme, über mich zu reden“, sagt David Rizzotto – und macht wohl auch deshalb von Beginn des SZ-Gesprächs an kein Geheimnis aus seinem Leben, das bislang alles andere als glatt und geradlinig verlaufen ist. Er war gerade mal zwei Jahre alt, als seine Mutter mit ihm und seiner drei Jahre älteren Halbschwester aus Leipzig in den Westen geflohen ist. Am 3. November 1989, sechs Tage vor dem Mauerfall. Die familiäre Not war groß, der Vater ein gewalttätiger Alkoholiker, der im Rausch auch mal einen Menschen getötet hat. Über eine Bundeswehrkaserne landeten die drei fast ohne Hab und Gut in Biberach und schließlich im Alb-Donau-Kreis.
Die traumatischen Erlebnisse in seinen ersten Lebensjahren, ist Rizzotto überzeugt, sind auch mit die Ursache für seine vielen Schwierigkeiten in den drei folgenden Jahrzehnten. Die geprägt waren von „Rebellion, einem ständigen Aufschrei nach Hilfe und Wahrnehmung meiner Bedürfnisse“, sagt er heute: „Ich habe die Welt um mich herum nicht verstanden und wurde selbst missverstanden.“Das hinterlasse bis heute Spuren. „Ich kämpfe immer noch um meine Existenz, gegen meine Traumata und mit Vorurteilen, die mir entgegenschlagen“, erzählt David Rizzotto.
Die verzweifelten Versuche, die richtigen Wege im Leben zu finden, führten den stets aufständischen jungen Mann in zig Jugendhilfeeinrichtungen, Erziehungsheime, Pflegefamilien, ins Drogenmilieu, auf Polizeireviere, vor Gericht und ins Gefängnis. „Ich habe viel Mist gebaut“, gesteht Rizzotto. Mit 14 Jahren ging er in einem Projekt für besonders schwer erziehbare Jugendliche alleine mit einem einzigen Betreuer in eine abgeschiedene Gegend nach Schweden. Mit 17 bekam er ein Kind mit einer 15-Jährigen. Die Beziehung scheiterte, Rizzotto taumelte weiter durchs Leben, schloss dennoch im Konradihaus in Schelklingen das Berufsvorbereitungsjahr erfolgreich ab und meisterte auch eine um ein Jahr verkürzte Zimmermanns-Lehre. „Ich bin nicht dumm. Ich lese und verstehe viel“, sagt David Rizzotto.
Dennoch arbeitete er nur kurze Zeit als Zimmermann in verschiedenen Familienbetrieben, später dann als Hilfskraft für einen Zeltverleih, bis ihn erneut eine gescheiterte Beziehung aus der Bahn warf. Er hatte geheiratet und wurde 2016 zum zweiten Mal Vater, die folgende Trennung von seiner Frau und dem Kind entwickelte sich zu einem neuen Trauma, wie er sagt. Zwei Jahre habe ein zermürbender Streit um das Recht, seinen Jungen regelmäßig sehen zu dürfen, gedauert. Letztlich hatte er Erfolg, „und heute kann ich mit meiner Ex-Frau wieder normal sprechen“.
Nicht erfolgreich sei ein 30-monatiger Kampf um eine Reha gewesen. Dennoch sagt David Rizzotto: „Ich habe die Kurve bekommen.“Er lebt mittlerweile mit seiner Halbschwester und deren vier Kindern in einem gemeinsamen Haus in Einsingen, wenige hundert Meter entfernt wohnt seine Mutter. Seine finanzielle Situation ist prekär, er lebt aktuell von Sozialhilfe, trinkt seit vielen Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr – und hat in der Politik ein Betätigungsfeld gefunden, das ihn reizt. Vor knapp zwei Jahren hat er in Ulm
„Die Linke“als Helfer bei den Kommunalwahlen unterstützt. Ein Kumpel machte ihn auf den Kreisverband aufmerksam, in dem er zwar noch kein offizielles Amt hat, aber die Aufgabe des Social-Media-Beauftragten übernommen hat und in verschiedenen Landesarbeitsgruppen mitwirkt.
„Die Linke“, sagt David Rizotto, passe zu ihm, weil sie „sich als einzige Partei für die Menschen im Großen und Ganzen“einsetze – und damit auch für die Ärmsten und die Mittelschicht, die der 33-Jährige als seine wichtigste Zielgruppe auserkoren hat. Nachdem er sich über all die Jahre von Ämtern, Behörden, Sozialarbeitern, Erziehern und eben auch der Politik ungerecht behandelt gefühlt habe, habe er festgestellt: „Wenn man etwas verändern will, muss man selbst aktiv werden – und ganz unten damit anfangen.“Mit seiner Kandidatur gehe es ihm nicht darum, direkt in den Landtag einzuziehen, aber zu zeigen: „Jeder Mensch kann in die Politik gehen. Man braucht kein Abitur dazu.“
Das sagt David Rizzotto über sieben Kernthemen, zu denen ihn die SZ um eine Stellungnahme gebeten hat:
Digitalisierung: „Ein gutes Internet ● gehört zu unserer Grundversorgung“,
sagt Rizzotto, wobei ihm der weitere Ausbau des Glasfasernetzes deutlich wichtiger ist als das Mobilfunknetz. Letzteres betrachtet er vor allem in Ballungszentren als kritisch, weil die gesundheitliche Auswirkung auf die Menschen noch nicht klar genug bekannt sei. Hingegen fordert er mehr frei zugängliche W-LanHotspots, ohne dass dabei das Thema Sicherheit aus den Augen zu verlieren sei: „Wir müssen die Menschen vor dem Missbrauch ihrer Daten schützen, sonst geht der Schuss bei der Digitalisierung nach hinten los.“
Schule/Bildung: „Das
● ist Teil des Digitalisierungsthemas“, meint David Rizzotto, wobei neben der technischen auch die personelle Ausstattung der Schulen deutlich verbessert werden müsse. Durch Angleichung der Gehälter und mehr Tariftreue müsse der Lehrerberuf attraktiver gemacht werden. Besonders wichtig ist ihm eine noch intensivere Betreuung von Kindern mit sozialen und familiären Problemen. „Mindestens 20 Prozent aller Schüler fallen sonst durchs Raster“, glaubt Rizzotto. Außerdem fordert er, für die wissenschaftliche Entwicklung moderner Techniken verstärkt auf junge Köpfe zu setzen, die speziell gefördert werden sollten.
Bauen/Wohnen: „Hier müssen die ●
Länder und Kommunen wieder mehr in die Hand nehmen“, meint David Rizzotto. „Wir müssen mehr Sozialwohnungen bauen, statt von kommerzielle Unternehmen die Mieten in die Höhe treiben zu lassen.“Zur aktuellen Diskussion um Einfamilienhäuser sagt er: „Ich habe nichts dagegen. Aber man kann auch in solchen Häusern Wohnraum besser nutzen. Als gelernter Zimmermann weiß ich, wovon ich rede.“
Landwirtschaft: Für David ● Rizzotto ist dies ein wichtiges Thema. Regionale Landwirtschaft sei bedeutsam, aber auch die kleinen Betriebe müssten bereit sein, die konventionelle Landwirtschaft mit modernen Techniken zu kombinieren: „Wir müssen uns hier die Niederlande und die USA zum Vorbild nehmen, die uns in dieser Richtung weit voraus sind.“Es gehe darum, moderne Anlagen mit geschlossenen Kreisläufen zu schaffen, in denen zum Beispiel von der Industrie abgekauftes CO2 genutzt oder Regenwasser wiederverwertet wird. „Unsere Zivilisation wird daran gemessen, wie groß unser Verständnis für den Klimaschutz und die sinnvolle Nutzung von Energie ist“, sagt Rizzotto.
LANDTAGSWAHLEN BADENWÜRTTEMBERG 2021
Infrastruktur: „Das bestehende ●
Straßennetz verbessern, aber weniger Verkehr in der Stadt“– das ist die Maxime von David Rizzotto. Um dies zu verwirklichen, müsse der ÖPNV vor allem in den Städten ausgebaut und gut getaktet werden. Ein kompletter Verzicht aufs Auto sei vor allem auf dem Land nicht möglich, „aber sich einschränken, wenn das Alternativangebot da ist, kann jeder. Schließlich trägt auch jeder eine Verantwortung für unser Klima“.
Gesundheitsversorgung: „Gesundheitsversorgung ● darf nicht profitorientiert sein“, stellt David Rizzotto klar. Das bedeute: „Privatisierte Krankenhäuser müssen zurück in die öffentliche Hand kommen, damit wir die kritische und angespannte Situation wieder in den Griff bekommen.“Rizzotto fordert neue Personalschlüssel, Tariftreue und eine stabile Altersvorsorge für die Mitarbeiter. Darüber hinaus sei das Angebot der gesetzlichen Krankenversicherung, etwa bei Zahnersatzleistungen,
deutlich verbesserungswürdig.
Tradition/Moderne: „Tradition ● finde ich toll, nicht zuletzt weil ich Zimmermann bin“, sagt David Rizzotto. Dennoch dürfe man sich dem Fortschritt nicht verschließen. „Das muss Hand in Hand gehen.“
Weitere Berichte
zur Landtagswahl gibt es online unter
www.schwäbische.de/landtagswahl-albdonau21