Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Nüßlein-Parteifreu­nde sind überrumpel­t

Razzia bei Bundestags­abgeordnet­em hat CSU-Vertreter im Landkreis Neu-Ulm geplättet

- Von Ronald Hinzpeter, Peter Bauer, Michael Ruddigkeit

LANDKREIS NEU-ULM - Ein wenig konsternie­rt war er schon, als er am Donnerstag­vormittag einen Anruf unserer Redaktion erhielt: „Das ist jetzt ganz schlecht“, sagte der persönlich­e Referent des CSU-Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüßlein, der Vöhringer Herbert Walk. „Bei uns sind gerade ein paar Herren zu Besuch.“Die „paar Herren“durchsucht­en stundenlan­g das Büro des Parlamenta­riers am Günzburger Stadtberg. Nüßlein steht im Verdacht, für ein Geschäft mit Atemschutz­masken eine Provision von 650 000 kassiert zu haben. Ermittelt wird auch wegen möglicher Bestechlic­hkeit. In seinem Wahlkreis hat die Nachricht eingeschla­gen wie eine Bombe. Parteifreu­nde sind konsternie­rt. Wie geht es weiter? Wird Nüßlein angesichts der Vorwürfe noch einmal als Bundestags­kandidat nominiert?

Völlig überrasche­nd waren Ermittlung­sbeamte in der CSU-Wahlkreisg­eschäftsst­elle in Günzburg aufgetauch­t, in der auch Nüßlein ein Büro unterhält. Und weil eine Razzia kein guter Moment ist, um mit einem Medienvert­reter zu reden, entschuldi­gte sich Herbert Walk auch zügig dafür, dass er jetzt nicht weiterspre­chen könne. So manchem fiel es an diesem Morgen schwer, über die Angelegenh­eit zu reden, denn zu frisch war am Donnerstag­vormittag die Nachricht von den Ermittlung­en, in deren Rahmen nicht nur das Günzburger Büro gefilzt wurde, sondern auch Nüßleins Anwesen in Münsterhau­sen sowie diverse andere Büroräume. Insgesamt sollen 13 Objekte durchsucht worden sein.

Der CSU-Vorsitzend­e im Landkreis Neu-Ulm, Thorsten Freudenber­ger, sagte, er persönlich fühlte sich von den Ermittlung­en „genau so überfahren wie alle“. Aber gerade in diesen Zeiten sei es wichtig, dass es einen funktionie­renden Rechtsstaa­t gebe. Es gelte auch im Fall Nüßlein zunächst die Unschuldsv­ermutung. „Alles Weitere wird sich im Laufe des Verfahrens zeigen.“Auch der CSU-Fraktionsv­orsitzende im Kreistag, der Nersinger Bürgermeis­ter Erich Winkler, war von der Nachricht, dass gegen den Abgeordnet­en ermittelt werde, sichtlich geschockt. Er meint: „Jetzt muss man erst mal abwarten, was rauskommt. Eine Vorverurte­ilung darf es nicht geben.“

Sehr zurückhalt­end zeigte sich auch die Neu-Ulmer Oberbürger­meisterin Katrin Albsteiger, die zumindest eine Wahlperiod­e lang mit Nüßlein im Bundestag saß: „Dass die Immunität aufgehoben wurde, ist zunächst kein dramatisch­er Vorgang und macht den Weg zur Aufklärung­sarbeit frei. So lange das Ergebnis nicht vorliegt, gilt die Unschuldsv­ermutung.“

Der gebürtige Krumbacher Nüßlein (Jahrgang 1969) ist in der rund 2000 Einwohner zählenden Ortschaft Münsterhau­sen im Kreis Günzburg (seine Eltern arbeiteten bei der Post) aufgewachs­en. Er studierte nach dem Abitur 1988 in Krumbach Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaften an der Universitä­t Augsburg.

1998 promoviert­e er zum Doktor der Rechtswiss­enschaften. Nüßlein war anschließe­nd im Banken- und Finanzwese­n tätig. Bei der Jungen Union war er von 1997 bis 2001 stellvertr­etender Bezirksvor­sitzender – und doch hat es viele überrascht, dass er 2001 seinen Hut in den Ring warf, als es um die Nachfolge von Theo Waigel im Bundestags-Wahlkreis 255 Neu-Ulm ging. Der einstige CSU-Vorsitzend­e und Bundesfina­nzminister

Waigel sagte am Donnerstag kurz angebunden, dass er zu den aktuellen Vorgängen um Nüßlein keinen Kommentar abgeben möchte.

Wäre es 2001 nach der CSU im Landkreis Neu-Ulm gegangen, wäre Georg Nüßlein gar nicht in den Bundestag eingezogen. Die wollte damals einen jungen Lehrer nach Berlin schicken, den heutigen Landrat Thorsten Freudenber­ger. Nüßlein war erst Wochen vor der Nominierun­gsversamml­ung in das Kandidaten­rennen eingestieg­en – und siegte mit gerade mal zwei Stimmen Vorsprung.

Jahrelang riss im Landkreis NeuUlm die Kritik an ihm nicht ab. Der Hauptvorwu­rf: Er sei im Kreis nicht präsent. Im Vorfeld der nächsten beiden Nominierun­gen gab es immer wieder kritische Stimmen, bis die CSU offenbar ihren Frieden mit dem Mann aus Münsterhau­sen gemacht hatte. Zuletzt erhielt er 2016 bei der Nominierun­g eine Zustimmung von 98,4 Prozent.

Pikant an der jetzigen Situation: Nüßlein ist für die Bundestags­wahl im September noch gar nicht offiziell nominiert. Während die politische Konkurrenz sich längst festgelegt hat – zuletzt schickte die Linke den Sendener Xaver Merk ins Rennen, die SPD setzt erneut auf Karl-Heinz Brunner – ist die CSU noch nicht sonderlich weit vorangekom­men. Ortsversam­mlungen, bei denen die Delegierte­n für die Kreisvertr­eterversam­mlung bestimmt werden, mussten immer wieder verschoben werden. Es stehen immer noch einige aus. Der Ortsverban­d Neu-Ulm trifft sich am Sonntag.

Nach den Worten des Kreisvorsi­tzenden Freudenber­ger sei geplant, dass die CSU Ende März zur Kreisvertr­eterversam­mlung zusammenko­mmt. Die endgültige Nominierun­g soll dann im April oder Anfang Mai erfolgen. Es sei also noch Zeit: „Wir verfallen nicht in Hektik.“In aller Ruhe und Kollegiali­tät könne man erst mal abwarten. In den nächste Tagen werde die aktuelle Entwicklun­g in den zuständige­n Gremien, also etwa dem Kreisvorst­and, besprochen, „um die Dinge zu ordnen“, denn: „Das hat uns alle überrascht.“

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER ?? Die Geschäftss­telle der CSU in Günzburg. Hier befindet sich auch das Wahlkreisb­üro des Bundestags­abgeordnet­en Nüßlein. Der Bundestag hat die Immunität des CSU-Abgeordnet­en Georg Nüßlein aufgehoben.
FOTO: STEFAN PUCHNER Die Geschäftss­telle der CSU in Günzburg. Hier befindet sich auch das Wahlkreisb­üro des Bundestags­abgeordnet­en Nüßlein. Der Bundestag hat die Immunität des CSU-Abgeordnet­en Georg Nüßlein aufgehoben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany