Nüßlein-Parteifreunde sind überrumpelt
Razzia bei Bundestagsabgeordnetem hat CSU-Vertreter im Landkreis Neu-Ulm geplättet
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LANDKREIS NEU-ULM - Ein wenig konsterniert war er schon, als er am Donnerstagvormittag einen Anruf unserer Redaktion erhielt: „Das ist jetzt ganz schlecht“, sagte der persönliche Referent des CSU-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein, der Vöhringer Herbert Walk. „Bei uns sind gerade ein paar Herren zu Besuch.“Die „paar Herren“durchsuchten stundenlang das Büro des Parlamentariers am Günzburger Stadtberg. Nüßlein steht im Verdacht, für ein Geschäft mit Atemschutzmasken eine Provision von 650 000 kassiert zu haben. Ermittelt wird auch wegen möglicher Bestechlichkeit. In seinem Wahlkreis hat die Nachricht eingeschlagen wie eine Bombe. Parteifreunde sind konsterniert. Wie geht es weiter? Wird Nüßlein angesichts der Vorwürfe noch einmal als Bundestagskandidat nominiert?
Völlig überraschend waren Ermittlungsbeamte in der CSU-Wahlkreisgeschäftsstelle in Günzburg aufgetaucht, in der auch Nüßlein ein Büro unterhält. Und weil eine Razzia kein guter Moment ist, um mit einem Medienvertreter zu reden, entschuldigte sich Herbert Walk auch zügig dafür, dass er jetzt nicht weitersprechen könne. So manchem fiel es an diesem Morgen schwer, über die Angelegenheit zu reden, denn zu frisch war am Donnerstagvormittag die Nachricht von den Ermittlungen, in deren Rahmen nicht nur das Günzburger Büro gefilzt wurde, sondern auch Nüßleins Anwesen in Münsterhausen sowie diverse andere Büroräume. Insgesamt sollen 13 Objekte durchsucht worden sein.
Der CSU-Vorsitzende im Landkreis Neu-Ulm, Thorsten Freudenberger, sagte, er persönlich fühlte sich von den Ermittlungen „genau so überfahren wie alle“. Aber gerade in diesen Zeiten sei es wichtig, dass es einen funktionierenden Rechtsstaat gebe. Es gelte auch im Fall Nüßlein zunächst die Unschuldsvermutung. „Alles Weitere wird sich im Laufe des Verfahrens zeigen.“Auch der CSU-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, der Nersinger Bürgermeister Erich Winkler, war von der Nachricht, dass gegen den Abgeordneten ermittelt werde, sichtlich geschockt. Er meint: „Jetzt muss man erst mal abwarten, was rauskommt. Eine Vorverurteilung darf es nicht geben.“
Sehr zurückhaltend zeigte sich auch die Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger, die zumindest eine Wahlperiode lang mit Nüßlein im Bundestag saß: „Dass die Immunität aufgehoben wurde, ist zunächst kein dramatischer Vorgang und macht den Weg zur Aufklärungsarbeit frei. So lange das Ergebnis nicht vorliegt, gilt die Unschuldsvermutung.“
Der gebürtige Krumbacher Nüßlein (Jahrgang 1969) ist in der rund 2000 Einwohner zählenden Ortschaft Münsterhausen im Kreis Günzburg (seine Eltern arbeiteten bei der Post) aufgewachsen. Er studierte nach dem Abitur 1988 in Krumbach Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg.
1998 promovierte er zum Doktor der Rechtswissenschaften. Nüßlein war anschließend im Banken- und Finanzwesen tätig. Bei der Jungen Union war er von 1997 bis 2001 stellvertretender Bezirksvorsitzender – und doch hat es viele überrascht, dass er 2001 seinen Hut in den Ring warf, als es um die Nachfolge von Theo Waigel im Bundestags-Wahlkreis 255 Neu-Ulm ging. Der einstige CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister
Waigel sagte am Donnerstag kurz angebunden, dass er zu den aktuellen Vorgängen um Nüßlein keinen Kommentar abgeben möchte.
Wäre es 2001 nach der CSU im Landkreis Neu-Ulm gegangen, wäre Georg Nüßlein gar nicht in den Bundestag eingezogen. Die wollte damals einen jungen Lehrer nach Berlin schicken, den heutigen Landrat Thorsten Freudenberger. Nüßlein war erst Wochen vor der Nominierungsversammlung in das Kandidatenrennen eingestiegen – und siegte mit gerade mal zwei Stimmen Vorsprung.
Jahrelang riss im Landkreis NeuUlm die Kritik an ihm nicht ab. Der Hauptvorwurf: Er sei im Kreis nicht präsent. Im Vorfeld der nächsten beiden Nominierungen gab es immer wieder kritische Stimmen, bis die CSU offenbar ihren Frieden mit dem Mann aus Münsterhausen gemacht hatte. Zuletzt erhielt er 2016 bei der Nominierung eine Zustimmung von 98,4 Prozent.
Pikant an der jetzigen Situation: Nüßlein ist für die Bundestagswahl im September noch gar nicht offiziell nominiert. Während die politische Konkurrenz sich längst festgelegt hat – zuletzt schickte die Linke den Sendener Xaver Merk ins Rennen, die SPD setzt erneut auf Karl-Heinz Brunner – ist die CSU noch nicht sonderlich weit vorangekommen. Ortsversammlungen, bei denen die Delegierten für die Kreisvertreterversammlung bestimmt werden, mussten immer wieder verschoben werden. Es stehen immer noch einige aus. Der Ortsverband Neu-Ulm trifft sich am Sonntag.
Nach den Worten des Kreisvorsitzenden Freudenberger sei geplant, dass die CSU Ende März zur Kreisvertreterversammlung zusammenkommt. Die endgültige Nominierung soll dann im April oder Anfang Mai erfolgen. Es sei also noch Zeit: „Wir verfallen nicht in Hektik.“In aller Ruhe und Kollegialität könne man erst mal abwarten. In den nächste Tagen werde die aktuelle Entwicklung in den zuständigen Gremien, also etwa dem Kreisvorstand, besprochen, „um die Dinge zu ordnen“, denn: „Das hat uns alle überrascht.“