Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Der Mensch ist getilgt“

Ben Willikens’ Werk verdeckt den Altarraum in der Pauluskirc­he – Was dahinter steckt

- Von Dagmar Hub

ULM - Sie ist gespannt auf die Veränderun­g der Raumwirkun­g der Pauluskirc­he, sagt Andrea Luiking, Pfarrerin für Kulturarbe­it an der Pauluskirc­he. Zur Passionsze­it greift die Pauluskirc­he in diesem Jahr die mittelalte­rliche Tradition der Verhüllung des Kreuzes und damit der Verdunkelu­ng der Gegenwart Gottes auf – in zeitgenöss­ischer Form: Ben Willikens, einer der wichtigste­n deutschen Maler der Moderne, beschäftig­te sich seit 1977 über Jahrzehnte mit dem Abendmahls­tisch Leonardo da Vincis, allerdings in einer von Menschen entleerten Form, streng komponiert in Weiß und Grau.

In der Pauluskirc­he verdeckt sein 2009 entstanden­es großformat­iges „Raum 608, Abendmahl“– zur Verfügung gestellt von der Sammlung Weishaupt – den kompletten Altarraum mit dem 1910 von Adolf Hölzel geschaffen­en Christus am Kreuz.

Willikens’ Konzept basiert auf Weiß und Grau. Vermutlich, so interpreti­ert Andrea Luiking, prägte der frühe Eindruck des im Winter 1943 bombardier­ten Leipzig, der Stadt, in der Ben Willikens 1939 geboren wurde, sein Schaffen. Weißer Schnee, der alles zudeckt, darüber graue Asche. „Der Mensch ist getilgt“, sagt sie. „Nichts Lebendiges ist da.“Und doch: Wer genau hinschaut, entdeckt ein Licht, das von hinter dem Raum in die verfremdet­e Leere des Tisches leuchtet. Die Andeutung einer Auferstehu­ng? „Willikens zeigt die Möglichkei­t einer Auferstehu­ng“, so Andrea Luiking.

Willikens’ menschenle­eres, monumental­es und irritieren­des Abendmahls­tisch-Gemälde wurde schon in der Pauluskirc­he montiert und wird bis zum Karfreitag, 2. April zu sehen sein. Mit der Ausstellun­g des Kunstwerke­s will Andrea Luiking Fragen stellen: Ist die Welt ein sinnentlee­rter Ort? Wer wird die Plätze am Tisch zum Mahl einnehmen, wenn die glaubende Gemeinscha­ft weniger wird? Dies sei gerade im Hinblick auf die Vesperkirc­he, die in der Pauluskirc­he jährlich stattfinde­t, eine wichtige Frage – denn während der Vesperkirc­he versammeln sich zum Essen gerade auch Menschen dort, die nicht unbedingt Sonntagski­rchgänger sind. Suchende

können sie trotzdem sein, und die Pauluskirc­he schafft Raum für neue Begegnunge­n.

Ein interessan­ter Aspekt ergab sich für Zuschauer auch beim Aufbau des dreiteilig­en Kunstwerke­s: Adolf Hölzels einziges eigenhändi­g gemaltes Wandbild, der Gekreuzigt­e im Altarraum der Pauluskirc­he, wurde in den 70ern verändert, indem ein die Auferstehu­ng symbolisie­rendes Dreieck bei Umbauarbei­ten übermalt wurde. Es reichte, so weiß man aus alten Schwarz-Weiß-Fotografie­n, von den Hüften der Christusfi­gur bis quasi zum Altartisch. Für die Stunden des Aufbaus stand zufällig eine Leiter so, dass das Dreieck für den Betrachter plötzlich wieder denkbar war.

von 11 bis 16 Uhr

Am Sonntag, 14. März, wurde die Willikens-Ausstellun­g eröffnet. Nun ist die Pauluskirc­he täglich

für Besucher geöffnet. Am 1. April um 18 Uhr hält Andrea Luiking einen KunstGotte­sdienst zum Gründonner­stag zum Thema „Schmerzlic­h fehlend und präsent“.

 ?? FOTO: DAGMAR HUB ?? Ben Willikens Abendmahl in der Ulmer Pauluskirc­he.
FOTO: DAGMAR HUB Ben Willikens Abendmahl in der Ulmer Pauluskirc­he.

Newspapers in German

Newspapers from Germany