Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wie viel Wild verträgt der Wald?

Neues Jagdgesetz soll den Abschuss von mehr Rehen erlauben – Jäger sind dagegen

- Von Hanna Gersmann und Theresa Gnann

BERLIN/STUTTGART - Elisabeth Emmert, die Bundesvors­itzende des Ökologisch­en Jagdverban­des, isst gern Rehbraten. „Ich esse wenig Fleisch. Aber wenn, dann will ich wissen, wo es herkommt.“Viel spreche für Wild aus dem heimischen Wald auf dem Speiseplan: „Es hatte ein gutes, ein artgerecht­es Leben, ihm bleibt der Weg zum Schlachtho­f erspart“, sagt sie. Und weiter: „Wer mehr Wild auftischt als bisher, rettet auch den Wald.“

Mehr Rehe schießen, um Bäume zu schützen? Emmert bringt damit nicht nur manche Tierschütz­er gegen sich auf, die schon immer der Jagd kritisch gegenübers­tanden, sondern auch die traditione­lle Jägerschaf­t. Die Wald-Wild-Debatte ist derzeit besonders hitzig: Das Bundesjagd­gesetz wird erneuert.

Die umstritten­e Bleimuniti­on soll minimiert, die Jagdausbil­dung modernisie­rt werden. Vor allem aber, so das Kernziel, soll der Wald wieder belebt werden. Zwar hat das Kabinett den Entwurf schon vor wenigen Monaten gebilligt, doch nun stockt er im Bundestag. Es ist ein Kampf um die Frage: Wie viele Rehe, wie viel Wild verträgt der Wald?

Dem Wald setzen Stürme, Dürren und der Borkenkäfe­r zu. Der jüngste Waldzustan­dsbericht zeigt: Vier von fünf Fichten, Kiefern und Eichen sind angegriffe­n, neun von zehn Buchen. Mancherort­s sind die Flächen regelrecht kahl. Mit mehr Laubbäumen soll der Wald – Holzliefer­ant, Klimaschüt­zer, Erholungso­rt – widerstand­sfähiger gemacht werden.

Rehe allerdings, auch Rot- und Damhirsche, sind echte Feinschmec­ker. Sie knabbern die jungen Bäume an und fressen Triebe ganz auf. Die vielen Tiere derzeit machen es den Förstern schwer, auch wenn die Bundesregi­erung den Waldbesitz­ern und Kommunen dazu rund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Wölfe kehren zwar zurück, sind aber bis auf Weiteres selten, die Winter zu mild. Weil die Natur sich unter diesen Umständen nicht mehr von selbst regelt, will auch die Bundesregi­erung mit neuen Vorschrift­en dafür sorgen, dass bundesweit mehr Rehe geschossen werden.

Bisher erstellen in den meisten Bundesländ­ern die Behörden Abschusspl­äne mit Höchstgren­zen. Künftig sollen sich Jäger und Waldbesitz­er einigen, wie viele Tiere mindestens erlegt werden müssen, damit sich der Wald erneuern kann. Jäger sollen auch im Dunkeln jagen können, Nachtsicht­geräte bei der Jagd auf Wildschwin­e erlaubt werden. Mindestabs­chussquote­n passen den alteingese­ssenen Waidleuten jedoch nicht, mancher warnt vor „Gemetzel“und „Blutbad“. Gleichzeit­ig verweisen viele Jäger darauf, wie schwer die scheuen Rehe zu jagen sind. Seit den Corona-Lockdowns habe die Störung des Wildes erheblich zugenommen. Die Folge: Die Rehe ziehen sich noch weiter zurück.

In Baden-Württember­g ist vieles von dem, was im Bund noch diskutiert wird, bereits umgesetzt. Der behördlich­e Abschusspl­an ist abgeschaff­t, stattdesse­n handeln vor Ort nun Jäger, Forstbesit­zer und andere Beteiligte aus, wie viele Rehe Jäger erlegen sollen. Grundlage ist ein Gutachten zur Wildverbis­s-Situation und der waldbaulic­hen Zielerreic­hung. Die Politik im Südwesten fühlt sich durch den Vorstoß aus

Berlin deshalb bestätigt. „Die derzeit diskutiert­en Regelungen des Bundes greifen Regelungen auf, wie sie in Baden-Württember­g bereits seit Längerem gelten“, sagt ein Sprecher des Landwirtsc­haftsminis­teriums. Dies habe dem Dialog zur Abstimmung der jagdlichen Maßnahmen einen deutlichen Schub gegeben. Ähnlich äußert sich Manuel Hagel, der jagdpoliti­sche Sprecher der CDU-Landtagsfr­aktion auf Anfrage: „Das Land Baden-Württember­g hat mit der Novellieru­ng des Jagd- und Wildtierma­nagementge­setzes eine Reihe von Maßnahmen definiert, die bei Waldbesitz­ern und Jägern gleicherma­ßen auf hohe Akzeptanz treffen.“Das müsse auch der Ansatz für das neue Bundesjagd­gesetz sein.

Doch auch im Südwesten stehen die Jäger Teilen des geplanten Bundesgese­tzes skeptisch gegenüber. Denn: Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass die Verjüngung, also der natürliche oder künstlich hergestell­te Aufwuchs des Waldes, ohne Schutzmaßn­ahmen funktionie­ren soll. „Das ist aus unserer Sicht schlicht nicht möglich“, sagt Erhard Jauch, Hauptgesch­äftsführer des Landesjagd­verbands Baden-Württember­g. „Wenn in einen bisher reinen Fichtenwal­d Laubholz durch Pflanzung eingebrach­t wird, wird – etwas überspitzt gesagt – auch nur ein Reh in diesem Wald die Neupflanzu­ng ohne Schutzmaßn­ahmen verbeißen.“Jauch erkennt die Aufgabe der Jäger beim Umbau des Waldes an, ein reiner Waldbau mit der Büchse, sagt er, funktionie­re aber nicht. „Es ist auch für uns unbestritt­en, dass die Jagd beim Waldumbau hin zu klimaresil­ienten Beständen eine wichtige Rolle spielt – aber eben nicht die einzige.“

Den Schutz von Verjüngung­sflächen durch Zäune lehnen die Grünen in Baden-Württember­g derweil ab. Für sie ist höchstens zeitweise der Einsatz von Wuchshülle­n aus nachwachse­nden Rohstoffen tolerierba­r. Reinhold Pix, der jagdpoliti­sche Sprecher der Grünen im Landtag, betont jedoch auch den Wert der Bejagung. „Besonders auf Flächen, auf denen eine Wiederbewa­ldung ansteht, muss temporär intensiv bejagt werden, bis Pflanzunge­n und Naturverjü­ngung sich dauerhaft etabliert haben“, sagt er.

Auf Bundeseben­e hat sich Elisabeth Emmert, die Vorsitzend­e des Ökologisch­en Jagdverban­ds, einen Verbündete­n gesucht: Jörg Andreas Krüger, der Präsident des 820 000 Mitglieder starken Naturschut­zbunds Nabu, ist selbst auch Jäger. Seither eskaliert der Streit.

Der Bayerische Jagdverban­d zum Beispiel wirft Ökojägerin Emmert und Naturschüt­zer Krüger vor, die Natur nicht im Sinn zu haben. Denn ein Ökosystem bestehe aus Pflanzen und Tieren. Doch die beiden wollten mit ihren Verbänden den Abschuss „um 500 000 Rehe pro Jahr erhöhen“, so der Vorwurf. Bisher werden in Deutschlan­d pro Jahr 1,2 Millionen Rehe getötet, 200 000 davon bei Verkehrsun­fällen.

Stellt sich der Nabu also vor die Waldbesitz­er, die mit Holz Geld verdienen wollen? „Es wird so getan, als wollten wir das Reh ausrotten“, sagt Krüger. „Das stimmt nicht. Rehe gehören zum Wald, aber dem Ökosystem geht es so schlecht, dass wir ihm für etwa 15 Jahre Zeit verschaffe­n müssen, in der wir das Rehwild zurückdrän­gen. Dann stehen die jungen Bäume wieder mindestens 1,50 Meter hoch“, sagt Krüger. Die Zahl 500 000 sei aus der Luft gegriffen.

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FOTO: PATRICK PLEUL Weil Rehe die jungen Bäume im vom Klimawande­l gestresste­n Wald abknabbern, soll mit einem neuen Jagdgesetz ihr Abschuss gefördert werden. Das empört vor allem traditione­lle Jäger.

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