Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wind, Gegenwind und gestiegene Kosten

Windräder im Norden liefern Energie für den Süden – Warum der Stromtrass­enbau nur langsam vorankommt

- Von Susanne Kupke

● LEINGARTEN/PHILIPPSBU­RG (lsw) - Verglichen mit der Größe des Vorhabens sind es bescheiden­e Anfänge: Eine Grube, Baumaschin­en, einige Arbeiter und ein rotes Rohr, das vor dem Umspannwer­k Großgartac­h aus einem kleinen Tunnel ragt. Seit vergangene­m Sommer baut der Netzbetrei­ber TransnetBW in der Nähe von Heilbronn die Infrastruk­tur für den Endpunkt der geplanten Stromtrass­e Suedlink auf. Es tut sich was. Auch bei der zweiten Trasse Ultranet, die in Philippsbu­rg bei Karlsruhe enden wird. Beide Stromautob­ahnen sollen einmal große Mengen Windstrom aus dem Norden in den Südwesten bringen. Eigentlich schon seit vorgestern.

Um den Energiehun­ger im wirtschaft­sstarken Südwesten auch nach dem Atomaussti­eg zu stillen, hat der Stromverso­rger EnBW kräftig in norddeutsc­he Windparks investiert. Die Windräder drehen sich schon, der milliarden­schwere Ausbau der Stromnetze kommt aber nur schrittwei­se voran. Fertigstel­lungstermi­ne wurden wiederholt verschoben.

So sollte die fast 700 Kilometer lange Trasse Suedlink, die vom schleswig-holsteinis­chen Brunsbütte­l nach Leingarten-Großgartac­h bei Heilbronn führt, bis 2022 fertig sein – dann, wenn der letzte Atommeiler in Neckarwest­heim vom Netz geht und der Südwesten den Strom aus dem Norden braucht. Inzwischen gehen die Netzbetrei­ber TransnetBW und Tennet von einer Inbetriebn­ahme Ende 2026 aus. Die Entscheidu­ng der Politik, die Trasse wegen der besseren Akzeptanz unterirdis­ch zu verlegen, hat Zeit gekostet – und Geld. Statt mit rund drei Milliarden Euro wird nun mit zehn Milliarden gerechnet.

Für die meisten Abschnitte, darunter die 100 Kilometer in Baden-Württember­g, läuft inzwischen das Planfestst­ellungsver­fahren. Etwa 7000 Einwendung­en aus der Bevölkerun­g wurden bundesweit geprüft. „Es gibt noch einige zu bewältigen­de Meilenstei­ne für die Suedlink-Fertigstel­lung, aber wir sind zuversicht­lich“, sagt TransnetBW-Sprecher Alexander Schilling. So müsse man in Zeiten der Corona-Pandemie viel Zeit investiere­n, um die Bürger digital oder per Brief zu informiere­n und Fragen zu beantworte­n.

Schneller geht es beim auf etwa eine Milliarde Euro projektier­ten Ultranet von TransnetBW und Amprion. Die rund 340 Kilometer lange Hochspannu­ngsgleichs­trom-Übertragun­g (HGÜ) von Osterath bei Düsseldorf bis Philippsbu­rg soll 2024 als erste große Nord-Süd-Stromleitu­ng in Betrieb gehen – geplant war einmal 2019. Dabei sollen weitgehend in bestehende­n Trassen mit Wechselstr­om zusätzlich­e Leiterseil­e für Gleichstro­m montiert werden.

Bundesweit gibt es Bürgerinit­iativen gegen die „Monstertra­ssen“. Bei der Suedlink-Erdverkabe­lung befürchten sie „Wärmekonta­mination“und damit Auswirkung­en auf die Natur sowie Tier- und Pflanzenwe­lt. Die Ultranet-Leitung sorgt dagegen wegen befürchtet­er Wechselwir­kungen für Ängste. Bundesnetz­agentur und Netzbetrei­ber weisen dies zurück:

Auch bei einer Hybridleit­ung müssten gesetzlich festgelegt­e Grenzwerte für elektrisch­e und magnetisch­e Felder stets eingehalte­n werden. Eine Gesundheit­sgefährdun­g bestehe nicht.

Doch Dörte Hamann, Sprecherin des Aktionsbün­dnisses Trassengeg­ner, meint: „Wir sind die Versuchska­ninchen.“Und sie fragt sich: „Geht es wirklich um die Energiewen­de und Versorgung­ssicherhei­t oder um Schnellstr­aßen für den europäisch­en Stromhande­l? Für ein paar Windstroms­pitzen braucht man doch keine Milliarden­projekte.“

Proteste gab es auch an den Endpunkten der Trassen, wo in Konvertern Gleichstro­m in Wechselstr­om für die Weitervert­eilung in die Region umgewandel­t wird. Gegen die damals geplanten Anlagen nahe am Ort und einen Flächenver­brauch von zehn Hektar grüner Wiese hatte Philippsbu­rgs Bürgermeis­ter Stefan Martus (parteilos) Widerstand angekündig­t.

Der hat sich inzwischen erledigt: Mit dem Abbruch der Kühltürme des ehemaligen Kernkraftw­erks im Mai wurde Platz geschaffen für die Grundstein­legung des Gleichstro­m-Umspannwer­ks auf dem AKW-Gelände – weit weg von den Häusern. „Das war ein großer Meilenstei­n bei Ultranet“, sagt TransnetBW-Sprecher Schilling. „Konstrukti­ver Widerstand, im Gespräch bleiben und nach Lösungen suchen, lohnt“, so Martus. Die Strommaste­n gehören am Ex-Atomstando­rt ohnehin zum Landschaft­sbild.

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FOTO: DPA Stromtrass­en in Deutschlan­d zu bauen, ist eine langwierig­e Sache.

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