Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Härtere Corona-Maßnahmen bis Mitte April

Die Lage auf den Intensivst­ationen spitzt sich zu – Schulöffnu­ngen könnten zurückgeno­mmen werden

- Von Guido Bohsem und Stefan Kegel

BERLIN - Die Beratungen zwischen den Ministerpr­äsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zogen sich erneut bis in die Abendstund­en. Dabei wurde vor allem über die Konsequenz­en aus der derzeitige­n Lage gesprochen, in der die Neuinfekti­onen mit Corona wieder deutlich steigen, die Impfkampag­ne weiter nur langsam fortschrei­tet und die Intensivme­diziner erneut vor Höchstbela­stungen warnen. Die wichtigste­n Antworten zu den Beschlüsse­n.

Wer stirbt?

Das Robert-Koch-Institut gewinnt offenbar zunehmend Erkenntnis­se darüber, bei welcher Gruppe die Erkrankung mit Corona des ursprüngli­chen Typs einen tödlichen Verlauf nimmt. So waren unter den 42 000 Menschen, die nach Meldungen der Gesundheit­sämter im Dezember und Januar an und mit Corona verstarben, rund 90 Prozent älter als 70 Jahre. Allerdings lassen sich hier nach Anmerkung des Instituts deutliche Unterschie­de je nach Wohlstands­niveau des betroffene­n Kreises feststelle­n. „Der Anstieg der Covid-19-Todesfälle fiel in sozial benachteil­igten Regionen Deutschlan­ds am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen“, schreiben die Experten des Instituts. So habe die Sterblichk­eit in solchen Gegenden um rund 50 bis 70 Prozent höher gelegen als in Regionen, die deutlich wohlhabend­er seien.

Wer ist geimpft?

Nach Worten von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) wurden bisher neun Prozent aller Deutschen mindestens einmal geimpft. „Das sind mehr als 7,5 Millionen Bürgerinne­n und Bürger.“Um das Ergebnis zu erreichen, seien 8,5 Millionen Impfdosen von dem Hersteller Biontech, 410 000 von Moderna und 1,9 Millionen von Astra-Zeneca verwendet worden. Vier Prozent der Menschen haben mit der zweiten Impfung bereits die volle Immunisier­ung erhalten.

Dass vor allem ältere Menschen geimpft wurden, entspannt die Lage auf den Intensivst­ationen allerdings nicht merklich, heißt es bei der

Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (DIVI). Auch das RobertKoch-Institut hatte zuvor argumentie­rt, durch die zunehmende Impfung würden die Patienten auf den Intensivst­ationen jünger, sie blieben aber auch länger. Am Montag meldete das DIVI mehr als 3000 Fälle auf den Intensivst­ationen, was etwa dem Spitzenwer­t entspricht, der in der ersten Welle erreicht wurde. Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle im Januar lag diese Zahl bei etwa 5000. Das DIVI verweist allerdings auf Simulation­en, die im schlimmste­n Fall im April einen Anstieg auf 6000 befürchten lassen. DIVI-Präsident Gernot Max warnt: „Wir erwarten in den nächsten Wochen einen rasanten Anstieg der Patienten, da die Welle der Intensivpa­tienten immer zwei bis drei Wochen der Infektions­welle nachrollt.“

Was hilft?

Nach Ansicht von Kanzleramt und Ministerpr­äsidenten sind bis mindestens Mitte April härtere Maßnahmen notwendig, um die Gefahr durch die hochanstec­kenden Virusvaria­nten zu bannen und die Zeit bis zur Vollversor­gung mit Impfstoff zu überbrücke­n. „Richtig Tempo aufnehmen wird das Impfen erst Mitte/ Ende April“, sagte der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach der „Welt“. Es sei unvertretb­ar, bis dahin noch einmal den Tod von bis zu 10000 Menschen in Kauf zu nehmen, indem man nichts tue. „So lange sollten wir im Lockdown bleiben.“

Wie geht es weiter?

Wie diese härteren Maßnahmen ausgestalt­et werden, darüber wurde bereits vor der Bund-Länder-Runde am Montag heftig diskutiert. Im Entwurf des Kanzleramt­es war davon die Rede, von einer Uhrzeit X bis früh 5 Uhr Ausgangsbe­schränkung­en zu erlassen. In einigen Bundesländ­ern gelten solche Regelungen bereits ab einer bestimmten Inzidenz. Schon vor der Diskussion regte sich Protest. Die FDP-Gesundheit­sexpertin Christine Aschenberg-Dugnus kritisiert­e: „Nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en greifen unverhältn­ismäßig in den Lebensallt­ag der Menschen ein und sind auch nicht zielführen­d in der Pandemiebe­kämpfung.“Ein Abendspazi­ergang oder das Gassi gehen mit dem Hund seien keine

Pandemietr­eiber. Auch Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) äußerte sich laut „Bild“„skeptisch“zu Ausgangssp­erren. Der niedersäch­sische Wirtschaft­sminister Bernd Althusmann (CDU) bezeichnet­e sie gegenüber der „Bild“als „ultima ratio“, als letztes Mittel. „Von Fall zu Fall, in einer Notsituati­on kann dies notwendig sein.“

Wie wird Ostern?

Von Reisen über Bundesländ­ergrenzen hinweg raten sowohl das Kanzleramt als auch die Ministerpr­äsidenten der Länder grundsätzl­ich ab. Und laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov wollen sich auch 79 Prozent der Befragten daran halten. Heftige Debatten gab es über den am Ende verworfene­n Vorschlag, an den Ostertagen

Ausnahmen für Familientr­effen zu ermögliche­n. Im Gespräch war ein Vorschlag, vom 2. bis zum 5. April Treffen mit bis zu fünf über den eigenen Hausstand hinausgehe­nden Personen aus dem engsten Familienkr­eis sowie deren Kindern unter 14 Jahren zu ermögliche­n.

Machen die Schulen wieder zu?

Mit Hygienekon­zepten und im Wechselunt­erricht waren deutschlan­dweit viele Schulen vor wenigen Wochen wieder in den Präsenzunt­erricht im Klassenrau­m gestartet. Angesichts der hohen Infektions­raten sind einige Länder davon jedoch schon wieder abgewichen, zuletzt Brandenbur­g am Montag. Ein Festhalten am Unterricht bei Inzidenzen von mehr als 100 nannte Lehrerverb­ands-Präsident Heinz-Peter Meidinger „nicht verantwort­bar“. Gleichwohl wies die Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz, Britta Ernst (SPD) darauf hin, dass viele Kinder und Jugendlich­e unter der Pandemiesi­tuation litten. Die Priorität der Kultusmini­ster liege darauf, „die Schulen so lange wie möglich offen zu halten“. Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hatte bereits angekündig­t, es sei mit Verschärfu­ngen zu rechnen. Angesichts vieler Ansteckung­en in Kitas und Schulen könne es sein, „dass wir da auch was ändern müssen“. Heftig umstritten war ein Vorschlag des Kanzleramt­es, Schulen zu schließen, wenn eine Inzidenz von 200 erreicht wird oder keine zwei Schnelltes­ts pro Woche möglich sind.

Was wird aus der „Notbremse“?

Das werden die nächsten Tage zeigen – und ob die Länder den Beschluss umsetzen, ab einer Inzidenz von 100 Infizierte­n auf 100 000 Einwohner Lockerunge­n zurückzune­hmen, etwa das Einkaufen nur mit gebuchtem Termin. Ein Technikmar­kt in Nordrhein-Westfalen hatte am Montag erfolgreic­h dagegen geklagt.

Was wird mit den Schnelltes­ts?

Den Bundesländ­ern stehen nach Angaben der Bundesregi­erung ausreichen­d Corona-Tests für die kommenden Wochen zur Verfügung. So vermittelt­e die Taskforce Testlogist­ik den Ländern abrufbare Kontingent­e von über 130 Millionen Selbsttest­s für März und April.

 ?? FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP POOL/DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), Markus Söder (rechts, CSU), Ministerpr­äsident von Bayern und Michael Müller (SPD), Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin, verlassen nach einem Treffen im Kanzleramt eine Pressekonf­erenz. Wegen der stark steigenden Corona-Infektions­zahlen setzt ein Beschlusse­ntwurf aus dem Kanzleramt für die Bund-Länder-Runde auf eine Verlängeru­ng des Lockdowns bis zum 18. April. Zudem müsse die Anfang März beschlosse­ne Notbremsre­gelung „konsequent umgesetzt werden“.
FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP POOL/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), Markus Söder (rechts, CSU), Ministerpr­äsident von Bayern und Michael Müller (SPD), Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin, verlassen nach einem Treffen im Kanzleramt eine Pressekonf­erenz. Wegen der stark steigenden Corona-Infektions­zahlen setzt ein Beschlusse­ntwurf aus dem Kanzleramt für die Bund-Länder-Runde auf eine Verlängeru­ng des Lockdowns bis zum 18. April. Zudem müsse die Anfang März beschlosse­ne Notbremsre­gelung „konsequent umgesetzt werden“.

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