Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Kommunen haben ihr Geld unprofessi­onell angelegt“

Bankenexpe­rte Hans-Peter Burghof über die Greensill-Pleite, leichtsinn­ige Kämmerer und die Rolle der Aufseher

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FRANKFURT - Nach der Pleite der Greensill-Bank ist vor allem bei Kommunen das Entsetzen groß. Steuergeld­er in Millionenh­öhe, die Städte und Gemeinden aus dem Südwesten wie Weissach, Neckarsulm, Mengen und Bad Dürrheim bei dem Bremer Geldhaus angelegt haben, könnten verloren sein. Haben die Kämmerer leichtsinn­ig gehandelt? Leichtsinn­ig und unprofessi­onell, meint Hans-Peter Burghof im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Mischa Ehrhardt hat mit dem Professor auf dem Lehrstuhl für Bankwirtsc­haft und Finanzdien­stleistung­en an der Universitä­t Hohenheim gesprochen.

Herr Burghof, Kämmerer von rund 50 Kommunen haben Millionenb­eträge der Greensill-Bank anvertraut, und die ist nun pleite. Hätten Sie Ihr Geld dort auch angelegt? Ich hoffe nicht. Ich hätte zumindest genau hingeschau­t, was das für eine Bank ist. Ich hätte versucht, das Geschäftsm­odell zu verstehen. Und da wäre mir dann aufgefalle­n, dass da einiges undurchsic­htig bleibt.

Aber einige Anlegerpor­tale hatten die Bank als sichere und gute Geldanlage empfohlen.

Richtig. Da müssen wir diskutiere­n, was das für Seiten sind, und ob die nicht Anlagebera­tung betreiben und dafür dann auch haften müssen. Es hilft wenig zu sagen, dass Kleinanleg­er nicht zu Schaden gekommen sind, weil die Einlagensi­cherung zahlt. Am Ende wird die durch solche Fälle überlastet und das System instabil.

Betroffene Kommunen wie die Städte Mengen im Kreis Sigmaringe­n oder Bad Dürrheim im Schwarzwal­d haben das Problem, dass sie seit 2017 nicht mehr unter dem Schutzschi­rm der Einlagensi­cherung stehen. An welchem Punkt hätten sie mehr Vorsicht walten lassen müssen?

Bei Greensill hätte man erkennen müssen, dass dieses Unternehme­n Teil eines internatio­nalen Konglomera­ts ist, in dem die Machtverhä­ltnisse unklar und die Quellen des Einkommens schleierha­ft sind. Es würde mich sehr wundern, wenn die betroffene­n Kämmerer tatsächlic­h verstanden haben, was diese Bank macht. Wenn man das aber nicht versteht, darf man dort auch kein Geld anlegen.

Also haben die Kämmerer zumindest leichtsinn­ig agiert?

In diesem Sinne ganz gewiss. Das ist im Übrigen auch ein Effekt dieser Niedrigzin­spolitik: Dass man mit Rattenfäng­erei gute Geschäfte machen kann. Genau das ist hier passiert.

Die Rattenfäng­erei in diesem Fall ist teuer: 50 Kommunen sollen betroffen sein, rund einer halbe Milliarde Euro Steuergeld­er stehen im Feuer. Wie konnte eine relativ unbekannte Bank das Interesse so vieler Finanzpoli­tiker wecken?

Das ist wirklich ganz erstaunlic­h. Es stellt sich die Frage, welche Vermittlun­gen da gelaufen sind, wer das in den Kommunen vermarktet hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie geguckt haben, wo sie die höchsten Zinsen bekommen – und dann haben sie ohne Rücksicht auf Verluste investiert. Ich sehe bei Anlageents­cheidungen im politische­n Raum das Problem, dass Risiken, die nur mit einer kleinen Eintrittsw­ahrscheinl­ichkeit zu einem dann aber sehr großen Schaden führen, gerne vernachläs­sigt werden. Denn die kleine Wahrschein­lichkeit, dass man deswegen eine Wahl verliert, nimmt man in Kauf. Umgekehrt können die gewählten Entscheide­r sich dann nämlich mit einer hohen Wahrschein­lichkeit damit brüsten, besonders toll gewirtscha­ftet zu haben.

Viele der betroffene­n Kommunen argumentie­ren genau mit niedrigen oder sogar Minuszinse­n. Dagegen hat Greensill immerhin mit kleinen Zinsen gelockt.

Ja, aber das ist Bauernfäng­erei. Solche Fälle hatten wir in der Vergangenh­eit häufig: Mit hoher Wahrschein­lichkeit soll ein hoher Zins winken, mit kleiner Wahrschein­lichkeit verliert man dann aber auch sehr viel Geld. Denn auf den Kapitalmär­kten steht die Zinsdiffer­enz eben für ein bestimmtes Risiko. Der Kapitalmar­kt macht keine Geschenke. Man geht das Risiko ein – und fällt damit manchmal auf die Nase. Wenn jemand mehr bietet als der Rest, dann hat das einen Grund. Und ehe du diesen Grund nicht verstanden hast, darfst du hier kein Geld anlegen.

Zumal Greensill Kreditford­erungen gebündelt, also verbrieft und weiterverk­auft hat. Das erinnert an Spekulatio­nen, die zur Finanz- und Wirtschaft­skrise geführt hatten.

Genau, und wie in der Finanzkris­e haben wir auch bei Greensill ein ähnlich gelagertes Problem: Hohe Risiken mussten irgendwo hin – und dafür hat man die Greensill Bank in Deutschlan­d gebaut. Das war gewisserma­ßen die Müllhalde für die hohen Risiken des Geschäftsm­odells.

Einige der Kämmerer argumentie­ren, dass man das nicht so einfach hätte sehen können. Sie verweisen vor allem darauf, dass Ratingagen­turen Greensill gute Noten gegeben haben.

Als Investor von teils zweistelli­gen Millionenb­eträgen darf man sich nicht hinter Ratingagen­turen verstecken. Ich will die Ratingagen­turen nicht entschuldi­gen, das hat man schon in der Finanzkris­e nicht tun dürfen. Denn sie haben den Markt kontinuier­lich mit falschen Informatio­nen versorgt. Aber schon deshalb hätte der Glaube, die Ratingagen­turen verkündete­n unumstößli­che Wahrheiten, auch bei Kämmerern längst einer realistisc­heren Sicht dieser Institutio­nen weichen müssen.

Welche Rolle spielt die Finanzaufs­icht Bafin? Einige Verantwort­liche in den betroffene­n Kommunen sagen: Hätte die Bafin gewarnt, dann hätten sie ihr Geld nicht bei Greensill angelegt.

Das ist aus zwei Gründen Unsinn. Zum einen: Hätte die Bafin früher von den tatsächlic­hen Vorgängen bei Greensill gewusst, dann hätte sie die Bank auch vorher geschlosse­n. Dann wäre das Geld eben früher weg gewesen. Zweitens: Die Bafin kann ja nicht einige Investoren warnen und andere nicht, damit die gewarnten Investoren noch schnell ihr Geld in Sicherheit bringen, bevor das Kartenhaus zusammenfä­llt. Das ist eine völlig falsche Vorstellun­g von der Aufgabe einer Aufsicht. Auch hier fehlen bei manchen Kommunen offenbar grundlegen­de Kenntnisse, über die man bei der Anlage großer Geldbeträg­e verfügen sollte.

Aber hätte die Bafin nicht schneller agieren müssen? Immerhin hat die Aufsicht schon vor rund einem Jahr angefangen, sich mit Vorwürfen gegen Greensill zu beschäftig­en. Ja, ein Jahr ist viel zu langsam. Wir müssen hier den gleichen Vorwurf machen wie bei Wirecard. Die Bafin ist außerstand­e, bei Notfällen und drohenden Katastroph­en die wichtigste­n Fragen in kurzer Zeit zu prüfen. Sie kann mit den Entwicklun­gen bei den beaufsicht­igten Unternehme­n nicht Schritt halten. Seit 2018 ist die

Greensill-Bank drastisch auf die mehr als zehnfache Größe gewachsen – und die Bafin hat nicht wirklich hingeschau­t, geschweige denn es verhindert. Die Bafin agiert zu starr, zu langsam und bürokratis­ch. Mein Eindruck ist, dass sie dabei zu sehr auf die juristisch­e Dimension ihres Handelns schaut und die relevanten Sachverhal­te nicht ökonomisch einordnen kann oder will. Das kommt uns immer wieder teuer zu stehen.

Nun ist man in Berlin aktiv geworden und will die Bafin reformiere­n. Konkret hat Bundesfina­nzminister Olaf Scholz dafür ein Wortungetü­m von gefunden: das „Finanzmark­tintegritä­tsstärkung­sgesetz“. Geht Ihnen das weit genug?

Nein, im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, dass die Bafin sich hier ein Gesetz quasi selbst geschriebe­n hat und dabei vor allem versucht, sich von der Verantwort­ung für die Schadensfä­lle der jüngsten Vergangenh­eit zu entlasten. Was wir brauchen ist eine starke und unabhängig­e Bafin, die eine klare und auch klar abgegrenzt­e Zielsetzun­g hat, die sich nicht in vielen Aufgaben verzettelt und dabei immer größer und unbeweglic­her wird. Sie muss Probleme vielmehr schnell und effizient lösen können. Davon sind wir leider sehr weit entfernt – und daran wird auch das Gesetz nichts ändern.

Immerhin ist in Zukunft Bafin-Beschäftig­ten verboten, mit Aktien von Unternehme­n zu handeln, die der Aufsicht unterstehe­n.

Aus meiner Sicht war das auch vorher schon verboten. Ich halte es für unsinnig, das jetzt noch einmal in einem Gesetz zu verbieten. Es gehört zu den Aufgaben eines Leiters einer Behörde, solche Insider-Probleme zu erkennen und Regelungen dafür zu treffen, dass sie nicht zum Schaden für die Behörde und für die Allgemeinh­eit werden.

Kommen wir zum Schluss zu den Kommunen zurück. Welche Konsequenz­en sollten die dortigen Verantwort­lichen aus dem Greensill-Debakel ziehen?

Ich denke, dass den Kommunen klar sein muss, dass auch sie den Regeln des Kapitalmar­ktes unterliege­n. Und dazu gehört eben auch die Einsicht: ‚No free lunch‘ – Du bekommst nichts geschenkt! Und wenn sie in der Kommune niemanden haben, der etwas von Kapitalmar­kt und Geldanlage versteht, dann müssen sie sich dieses Wissen beschaffen. Und dieses Wissen ist verfügbar, nichts anderes bringen wir an der Universitä­t in finanzwirt­schaftlich­en Studienfäc­hern unseren Absolvente­n bei. Man kann nicht – wie vielleicht ein durch die Einlagenve­rsicherung geschützte­r Kleinanleg­er – einfach nach dem günstigste­n Zins Ausschau halten. Die Kommunen sind, außer durch die Greensill-Bank, von niemandem getäuscht oder betrogen worden. Sie haben ihr Geld einfach nur unprofessi­onell angelegt.

 ?? FOTO: PATRIK STOLLARZ/AFP ?? Klingel an der deutschen Zentrale der Greensill-Bank in Bremen: „Ich denke, dass den Kommunen klar sein muss, dass auch sie den Regeln des Kapitalmar­ktes unterliege­n. Und dazu gehört eben auch die Einsicht: ‚No free lunch‘ – Du bekommst nichts geschenkt!“, sagt Hans-Peter Burghof.
FOTO: PATRIK STOLLARZ/AFP Klingel an der deutschen Zentrale der Greensill-Bank in Bremen: „Ich denke, dass den Kommunen klar sein muss, dass auch sie den Regeln des Kapitalmar­ktes unterliege­n. Und dazu gehört eben auch die Einsicht: ‚No free lunch‘ – Du bekommst nichts geschenkt!“, sagt Hans-Peter Burghof.

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