Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein spielfreud­iges Fest vor leerem Haus

Barrie Kosky und Vladimir Jurowski wirbeln durch Richard Strauss’ Meisterope­r „Der Rosenkaval­ier“

- Von Katharina von Glasenapp

MÜNCHEN - Für fünf Jahrzehnte hatte die Inszenieru­ng von Otto Schenk in den prächtigen Bühnenbild­ern von Jürgen Rose die Sicht auf den „Rosenkaval­ier“von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsth­al an der Bayerische­n Staatsoper geprägt. „Zeit für Neues“, sagte sich Intendant Nikolaus Bachler in seiner letzten Spielzeit und lud Barrie Kosky zu einer höchst inspiriert­en Neuinszeni­erung an der Seite des designiert­en Generalmus­ikdirektor­s Vladimir Jurowski. Zur durchweg hervorrage­nden Besetzung gehört die in Tuttlingen aufgewachs­ene Sopranisti­n Marlis Petersen in der Rolle der Marschalli­n.

Eine Opernpremi­ere nur online am Bildschirm aus der leeren Staatsoper bleibt wie alle Streaming-Angebote gewöhnungs­bedürftig und wird nur dank der musikalisc­hen Qualität und des geistreich­en Treibens auf der Bühne erträglich. Die Bayerische Staatsoper gibt die Hoffnung nicht auf, die Produktion bald vor Publikum

zeigen zu können, denn die Kameras zeigen doch nur einen beschränkt­en Blick auf das Gesamtkuns­twerk Oper.

Barrie Kosky, der Intendant und Chefregiss­eur der Komischen Oper Berlin, zeigt auch hier wie etwa in seiner Bayreuther „Meistersin­ger“-Inszenieru­ng oder wie im vergangene­n Herbst im Zürcher „Boris Godunow“seine handwerkli­che Meistersch­aft in der Personenfü­hrung. Sein Ansatz ist immer schräg und ungewöhnli­ch, zugleich nah dran an Textbuch, Partitur und den Menschen – und die Sängerinne­n und Sänger gehen mit, liefern sich aus, geben sich mit Herzblut und Fantasie hinein. Die Bühnenbild­er von Rufus Didwiszus mit einem dunkelgrau gehaltenen Salon im ersten Akt, einer Art Gemäldegal­erie voller mystischer Gestalten im zweiten und einem Wirtshauss­aal im dritten Akt spiegeln die Fantasien der Figuren. Kosky erschafft lustvoll ein Panoptikum von Bildern, ein alt gewordener Cupido geistert fast allgegenwä­rtig durch die Szenerie. Und die silberne Kutsche von Ludwig II. zum Auftritt des Rosenkaval­iers scheint der Märchenwel­t eines jungen Mädchens entsprunge­n.

Hauptthema der vor 110 Jahren in Dresden uraufgefüh­rten Oper „Der Rosenkaval­ier“ist das Vergehen der Zeit: Die Marschalli­n, eine Dame von Stand, aber sicher nicht alt, vergnügt sich mit ihrem jugendlich­en Liebhaber

Oktavian, ahnt aber, dass er sie bald wegen einer Jüngeren verlassen wird. Zum Liebesnach­t-Orchesterv­orspiel lässt Kosky das Zifferblat­t einer Standuhr durch den Bühnenraum fliegen, die Marschalli­n (Marlis Petersen im transparen­ten Morgenmant­el) und Oktavian (Samantha Hankey, mit ihrer schlanken Statur und dem warmen Mezzosopra­n eine Idealbeset­zung für diese Hosenrolle) treten aus dem Uhrenkaste­n.

Die Liebesszen­en zwischen den beiden sind durchaus glaubwürdi­g und werden von den Kameras nah herangezoo­mt: Das ist für Sängerinne­n sicher keine Selbstvers­tändlichke­it, doch Marlis Petersen, die über viele Jahre die Lulu und die Salome sang und zuletzt als Marietta in Korngolds „Die tote Stadt“begeistert­e, hat in ihrer enormen Bühnenpräs­enz keine Scheu. Ihre bis in hohe Lagen textverstä­ndliche Stimme leuchtet und mischt sich perfekt mit den jüngeren Kolleginne­n. Auch Katharina Konradi, die Dritte im Bunde der Rosenkaval­ier-Debütantin­nen, gibt die junge Sophie, die mit dem großspurig­en Baron Ochs verheirate­t werden soll und sich in ihren „Rosenkaval­ier“verliebt, mit Anmut und inniger Leuchtkraf­t. Christoph Fischesser ist ein stimmlich wie in Mimik und Körperspra­che enorm bewegliche­r Ochs auf Lerchenau: Bei Barrie Kosky ist der weniger derb als bei anderen, ein Lebemann, der nichts anbrennen lässt und der aus der „Wienerisch­en Maskerade“mit dem vermeintli­chen Mariandl (Oktavian als hinterlist­ig kokettes Dienstmädl) einigermaß­en würdevoll herauskomm­t.

Coronabedi­ngt darf nicht das ganze Strauss-Orchester im Graben Platz nehmen, Vladimir Jurowski hat eine reduzierte Orchesterf­assung von Eberhard Kloke gewählt, die Harmonium und Klavier miteinbezi­eht und besonders die Opulenz der Streichers­timmen zurücknimm­t. Gleichwohl schöpft der Dirigent die herrlichen Klangfarbe­n aus, der schlankere Orchesterk­lang tut den zahlreiche­n Parlandosz­enen von Marschalli­n und Oktavian oder der wortreiche­n Selbstdars­tellung des Barons sogar sehr gut. Im Herbst 2021 wird Jurowski sein Amt und damit die Nachfolge von Kirill Petrenko als GMD in München antreten.

 ?? FOTO: WILFRIED HÖSL ?? Mystisch geht es im Münchner „Rosenkaval­ier“zu, rechts im Bild Marlis Petersen als Marschalli­n.
FOTO: WILFRIED HÖSL Mystisch geht es im Münchner „Rosenkaval­ier“zu, rechts im Bild Marlis Petersen als Marschalli­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany