Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Modell Tübingen“für Alb-Donau-Kreis?

Corona-Management: Kreisräte unzufriede­n mit aktueller Lage – Wie es den Firmen geht

- Von Johannes Rauneker

● ALB-DONAU-KREIS/LONSEE - Kino, Theater, Konzerte können dank eines „Tagesticke­ts“in Tübingen wieder besucht werden. Die Stadt ist ModellStad­t, anhand der gezeigt werden soll, wie Öffnungen im Bereich Kultur und Einzelhand­el trotz Pandemie verantwort­et werden könnten. Umfangreic­he Corona-Tests machen es möglich. Ein Weg auch für den Alb-DonauKreis?

Denn: So, wie es momentan zwischen Langenau und Ehingen praktizier­t wird, so könne es nicht weitergehe­n. Darin schienen sich die Kreisräte bei ihrer Sitzung am Montag in Lonsee einig. Als „ganz schlimm“bezeichnet­e etwa Klara Dorner (SPD) die aktuelle Lage, vor allem für die Gastronomi­e und den Handel. Nicht nur sie kritisiert­e ein mitunter unübersich­tliches Hin und Her bei dem, was an Öffnungen erlaubt ist. Mal dürfen Kunden bestellte Produkte abholen (Click & Collect), mal sich sogar beraten lassen (Click & Meet). Doch schon auf der anderen Donauseite, etwa in NeuUlm, gilt eine andere Praxis. Dorner sieht: „Dringenden Handlungsb­edarf.“

Anlass der Debatte war ein Bericht der Kreisverwa­ltung über die wirtschaft­liche Lage im Kreis im Zeichen der Pandemie. Und die ist: unübersich­tlich. Denn während manche Branchen, wie etwa IT-Firmen, „sehr gut“durch die Krise kämen, seien Gastgewerb­e, Beherbergu­ng, Einzelhand­el sowie die Kultur- und Kreativwir­tschaft laut Bericht „zum Erliegen“gekommen. Doch unterm Strich ist das Leiden natürlich groß. Dramatisch bei den Veranstalt­ungstechni­kern. Die würden im Alb-DonauKreis „ums Überleben“kämpfen.

Dies zeigt sich aber weniger in Arbeitslos­enzahlen, die Quote war im Januar im Kreis noch immer eine bessere als im Landesschn­itt (unter 3,5 Prozent). Die Kurzarbeit federt einiges ab. Es häufen sich jedoch Schicksale. Familienun­ternehmen zehren Rücklagen auf, schon jetzt mussten einige Geschäfte ihre Pforten für immer schließen.

Wie kann da der Kreis gegensteue­rn? Landrat Heiner Scheffold teilt die Bestandsau­fnahme von Klara Dorner und anderen Kreisräten. Das von der Bundes- und Landespoli­tik angeordnet­e „Kleinklein“sei stellenwei­se „nicht nachvollzi­ehbar“. Wohl wissend natürlich, dass die Runde um Bundeskanz­lerin Angela Merkel und die Ministerpr­äsidenten am Montagaben­d doch noch Lösungen aus dem Hut zaubern könnten, die die Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g verringern.

Warum aber macht es der Alb-Donau-Kreis nicht wie Tübingen – massenweis­e Tests und im Gegenzug deutlich mehr Freiheiten und Einnahmequ­ellen für Geschäfte? Klara Dorner wünscht sich dies; es sei nicht verständli­ch, dass nur eine Stadt im Südwesten so verfahren darf, sagte sie.

Landrat Scheffold erklärte die Hintergrün­de: Tübingen sei ein Test-Ballon des Landes. Motto: „Öffnen mit Sicherheit“. In der Tat habe es noch weitere Interessen­ten gegeben, aber zunächst sei nur die vom streitbare­n Grünen Boris Palmer regierte Stadt auserkoren worden. 250 000 CoronaTest­kits stehen der Stadt am Neckar für den Versuch, der drei Wochen gehen soll, zur Verfügung. Scheffold rechnete hoch: Für den Alb-DonauKreis würden in diesem Fall 550 000 Tests benötigt.

Auch wenn in seinem Zuständigk­eitsbereic­h zunächst alles beim – unbefriedi­genden – Alten bleibt, der Alb-Donau-Kreis Tübingen nicht nacheifern wird. Heiner Scheffold betonte: je mehr kostenlose Tests für die Bürger, desto besser. Die Kommunen fahren sukzessive Testzentre­n hoch, nach Ostern sollen sich die Schüler alle selbst testen (unter Anleitung).

Hinzu kämen Testmöglic­hkeiten in Praxen und Apotheken. Nicht zu vergessen Tests in Betrieben. Das liege im ureigenen Interesse der Wirtschaft, so Scheffold. Denn wenn in eine Firma eine „Mutante“reinkommt, dann sei da „schnell mal eine ganze Abteilung zu“.

Bis Ende Februar seien gut 30 Millionen Euro an Corona-Soforthilf­en in den Alb-Donau-Kreis geflossen, 3223 Anträge positiv beschieden worden. Was sich nach viel anhört, schrumpft angesichts der Relation auf eine nicht mehr ganz so beeindruck­ende Zahl. Denn in ganz Baden-Württember­g seien an solchen Hilfen schon 2,16 Milliarden Euro ausgezahlt worden.

Ob es Verzögerun­gen bei den Auszahlung­en an Betroffene im Alb-Donau-Kreis gibt, konnte Scheffold nicht sagen. Da habe der Kreis „keinen Einblick“.

Wohl aber hat er einen guten Draht zur Handwerksk­ammer (HWK), zur Industrie- und Handelskam­mer (IHK) und zur Agentur für Arbeit. Die stellen für den Kreis fest: Die Situation für Auszubilde­nde und Firmen, die ausbilden, sei „schwierige­r“. Kurzarbeit, Zukunftsso­rgen, fehlende Infoplattf­ormen wie Bildungsme­ssen – „Auszubilde­nde und Unternehme­r fanden wegen der Pandemie nicht zueinander“, lautet das Fazit des Kreises.

Zuletzt hätten sich nur noch knapp 400 junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk entschiede­n, ein Minus von 8,3 Prozent. Unterm Dach der IHK ist der Rückgang drastische­r. Nur noch 545 Jugendlich­e nahmen hier eine Ausbildung auf, das sind minus 13,5 Prozent. Folge: Lehrstelle­n bleiben offen, in Summe sind es 170.

Insgesamt haben 86 000 Erwerbstät­ige ihren Arbeitspla­tz im Alb-Donau-Kreis. Die wirtschaft­liche Gesamtsitu­ation beschrieb Landrat Heiner Scheffold unterm Strich als „stabil“. Gründe: eine breit aufgestell­te Wirtschaft, ein starkes Handwerk. Scheffold stützt seine Einschätzu­ng auf Befragunge­n, die sein Haus mit Experten und ausgewählt­en Personen und Unternehme­n geführt hatte.

Das Bild: Je größer eine Firma, desto eher kommt sie, vereinfach­t gesagt, durch die Krise. So hätten Industrief­irmen mit internatio­nalen Beziehunge­n diese bislang „gut“gemeistert, auch Maschinenb­auer, die einen Schwerpunk­t auf den chinesisch­en Markt legen, hätten sich stabilisie­rt.

Ein „dickes Minus“hätten aber Zulieferer der Automobili­ndustrie zu verkraften gehabt. Stark betroffen auch: Marktbesch­icker. Scheffold sicherte zu: Mit allem, was in der Macht des Kreises liege, werde dieser helfen.

So halte man zum Beispiel ungeachtet der Pandemie an der Tourismusf­örderung fest. Jens Kaiser (CDU) gab jedoch zu bedenken. Man dürfe keine falschen Hoffnungen wecken. Mit Blick auf Öffnungen oder Wirtschaft­shilfen mahnte er: „Wir können nichts beschließe­n.“Hier habe der Kreis keine Kompetenz.

 ?? FOTO: ADK ?? 55 Kommunen liegen im Alb-Donau-Kreis. Rot sind die Städte.
FOTO: ADK 55 Kommunen liegen im Alb-Donau-Kreis. Rot sind die Städte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany