Tradition der Schwörtage jetzt immaterielles Kulturerbe
Die Ulmer Schwörtradition ist jetzt offiziell ein schützenswertes, nationales Kulturgut Deutschlands
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ULM - Schwörrede, Schwörmontag, Schwörwoche – zusammen ergibt das viel mehr als nur ein Ulmer Stadtfest, mehr als einen Ausnahmezustand in Feierlaune. Die Schwörwoche und all die Feierlichkeiten rundherum, die jedes Jahr stattfinden, sind Ausdruck städtischer Freiheit und Unabhängigkeit. Und diese Schwörtage, in Ulm wie auch in anderen Städten, sind jetzt zum immateriellen Kulturerbe in Deutschland ernannt worden.
Es ist eine stattliche Liste, und jetzt kommen 20 neue Einträge hinzu: Die deutsche Gebärdensprache, die „Animationskunst der Demoszene“, der Streuobstanbau und 15 weitere Kulturformen zählen jetzt zum nationalen immateriellen Kulturerbe. Das hat die Kulturministerkonferenz am Freitag mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien beschlossen.
Woher kommt das Erbe? Schwörtagstraditionen finden sich in ehemaligen Reichsstädten des Heiligen Römischen Reiches. Solche Städte wie Ulm regierten sich größtenteils selbst und bewahrten sich so ein Maß an Unabhängigkeit – bis sich das Reich auflöste. Die Stadtgemeinden begründeten und zelebrierten ihre Freiheit durch einen öffentlichen Eid des Stadtoberhaupts, des Rates und der ganzen Bürgerschaft auf die jeweilige Stadtverfassung. Und dieser
Brauch lebt bis heute weiter.
Im 20. Jahrhundert belebten die ehemaligen Reichsstädte Ulm, Reutlingen und Esslingen solche Schwörtage und Schwörtraditionen wieder. Auch die historischen Orte des Schwörakts – in Ulm hält das Stadtoberhaupt bekanntlich die Schwörrede vom Schwörhausbalkon – und Gegenstände wie Stab und Glocke sind Zeichen dieses Erbes. Jedes Jahr hält das Ulmer Stadtoberhaupt seine Ansprache und legt dabei Rechenschaft ab. Konzerte und Traditionen wie der Bindertanz feiern das Schwörwochenende. Beim Nabada schippern dann die Feierfreudigen auf der Donau entlang, auf Schlauchbooten, beim Umzug auf dem Wasser. Das alles ist jetzt Teil des Kulturerbes.
Der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz, Klaus Lederer, erklärt, warum dieses Brauchtum – und die weiteren Neueinträge in der Liste – jetzt als besonders schützenswert und kostbar gelten: „Der Reichtum Deutschlands spiegelt sich in seiner beeindruckenden Kulturlandschaft wider. Die nun ausgezeichneten Bräuche, Handwerkstechniken und künstlerischen Ausdrucksformen machen diese thematische und geografische Vielfalt einmal mehr sichtbar und zeichnen sich durch eine vorbildliche Verbindung von gelebter Tradition und Zukunftsorientierung aus.“
Nicht zu verwechseln ist diese nationale Liste mit dem internationalen Immateriellen Kulturerbe der
Unesco, einem Verzeichnis schützenswerter Kulturpraktiken in der ganzen Welt. Aber auch da hat sich die Stadt Ulm zuletzt eingereiht – mit dem Münster und seiner großen, europäisch geprägten Bauhüttenkultur.
Wie tief die Tradition des Schwörtags verwurzelt ist in Ulm, wurde spürbar, als 2020 die Schwörfeierlichkeiten so gut wie ins Wasser fielen. Der Schmerz bei den Bürgern der Stadt war groß. Auch dieses Jahr scheinen die Aussichten trüb: Kein Nabada, keine Party, der Ulmer Stadtfeiertag 2021 wird wohl auch dieses Jahr im schmalen CoronaModus stattfinden.
Wie bedeutend diese bunte Lebendigkeit der Schwörfeiern ist, betont auch Christoph Wulf. Der Vorsitzende des Expertenkomitees immaterielles Kulturerbe in Deutschland und Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission, erklärt dazu: „Wenn wir miteinander singen, tanzen und feiern, entsteht Gemeinschaft. Deshalb brauchen wir das immaterielle Kulturerbe.“
Zum immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus Sparten wie Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die Unesco Schutz, Dokumentation und Erhalt dieser Kulturformen. 180 Staaten tragen das Unesco-Übereinkommen, Deutschland ist seit 2013 dabei.