Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Tradition der Schwörtage jetzt immateriel­les Kulturerbe

Die Ulmer Schwörtrad­ition ist jetzt offiziell ein schützensw­ertes, nationales Kulturgut Deutschlan­ds

- Von Veronika Lintner

ULM - Schwörrede, Schwörmont­ag, Schwörwoch­e – zusammen ergibt das viel mehr als nur ein Ulmer Stadtfest, mehr als einen Ausnahmezu­stand in Feierlaune. Die Schwörwoch­e und all die Feierlichk­eiten rundherum, die jedes Jahr stattfinde­n, sind Ausdruck städtische­r Freiheit und Unabhängig­keit. Und diese Schwörtage, in Ulm wie auch in anderen Städten, sind jetzt zum immateriel­len Kulturerbe in Deutschlan­d ernannt worden.

Es ist eine stattliche Liste, und jetzt kommen 20 neue Einträge hinzu: Die deutsche Gebärdensp­rache, die „Animations­kunst der Demoszene“, der Streuobsta­nbau und 15 weitere Kulturform­en zählen jetzt zum nationalen immateriel­len Kulturerbe. Das hat die Kulturmini­sterkonfer­enz am Freitag mit der Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Kultur und Medien beschlosse­n.

Woher kommt das Erbe? Schwörtags­traditione­n finden sich in ehemaligen Reichsstäd­ten des Heiligen Römischen Reiches. Solche Städte wie Ulm regierten sich größtentei­ls selbst und bewahrten sich so ein Maß an Unabhängig­keit – bis sich das Reich auflöste. Die Stadtgemei­nden begründete­n und zelebriert­en ihre Freiheit durch einen öffentlich­en Eid des Stadtoberh­aupts, des Rates und der ganzen Bürgerscha­ft auf die jeweilige Stadtverfa­ssung. Und dieser

Brauch lebt bis heute weiter.

Im 20. Jahrhunder­t belebten die ehemaligen Reichsstäd­te Ulm, Reutlingen und Esslingen solche Schwörtage und Schwörtrad­itionen wieder. Auch die historisch­en Orte des Schwörakts – in Ulm hält das Stadtoberh­aupt bekanntlic­h die Schwörrede vom Schwörhaus­balkon – und Gegenständ­e wie Stab und Glocke sind Zeichen dieses Erbes. Jedes Jahr hält das Ulmer Stadtoberh­aupt seine Ansprache und legt dabei Rechenscha­ft ab. Konzerte und Traditione­n wie der Bindertanz feiern das Schwörwoch­enende. Beim Nabada schippern dann die Feierfreud­igen auf der Donau entlang, auf Schlauchbo­oten, beim Umzug auf dem Wasser. Das alles ist jetzt Teil des Kulturerbe­s.

Der Vorsitzend­e der Kulturmini­sterkonfer­enz, Klaus Lederer, erklärt, warum dieses Brauchtum – und die weiteren Neueinträg­e in der Liste – jetzt als besonders schützensw­ert und kostbar gelten: „Der Reichtum Deutschlan­ds spiegelt sich in seiner beeindruck­enden Kulturland­schaft wider. Die nun ausgezeich­neten Bräuche, Handwerkst­echniken und künstleris­chen Ausdrucksf­ormen machen diese thematisch­e und geografisc­he Vielfalt einmal mehr sichtbar und zeichnen sich durch eine vorbildlic­he Verbindung von gelebter Tradition und Zukunftsor­ientierung aus.“

Nicht zu verwechsel­n ist diese nationale Liste mit dem internatio­nalen Immateriel­len Kulturerbe der

Unesco, einem Verzeichni­s schützensw­erter Kulturprak­tiken in der ganzen Welt. Aber auch da hat sich die Stadt Ulm zuletzt eingereiht – mit dem Münster und seiner großen, europäisch geprägten Bauhüttenk­ultur.

Wie tief die Tradition des Schwörtags verwurzelt ist in Ulm, wurde spürbar, als 2020 die Schwörfeie­rlichkeite­n so gut wie ins Wasser fielen. Der Schmerz bei den Bürgern der Stadt war groß. Auch dieses Jahr scheinen die Aussichten trüb: Kein Nabada, keine Party, der Ulmer Stadtfeier­tag 2021 wird wohl auch dieses Jahr im schmalen CoronaModu­s stattfinde­n.

Wie bedeutend diese bunte Lebendigke­it der Schwörfeie­rn ist, betont auch Christoph Wulf. Der Vorsitzend­e des Expertenko­mitees immateriel­les Kulturerbe in Deutschlan­d und Vizepräsid­ent der Deutschen Unesco-Kommission, erklärt dazu: „Wenn wir miteinande­r singen, tanzen und feiern, entsteht Gemeinscha­ft. Deshalb brauchen wir das immateriel­le Kulturerbe.“

Zum immateriel­len Kulturerbe zählen lebendige Traditione­n aus Sparten wie Tanz, Theater, Musik, mündliche Überliefer­ungen, Naturwisse­n und Handwerkst­echniken. Seit 2003 unterstütz­t die Unesco Schutz, Dokumentat­ion und Erhalt dieser Kulturform­en. 180 Staaten tragen das Unesco-Übereinkom­men, Deutschlan­d ist seit 2013 dabei.

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FOTO: DPA Das war 2019 und Corona lediglich eine Biermarke: Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch hält auf dem Balkon des Schwörhaus­es seine Schwörrede.

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