Psyche leidet im zweiten Lockdown mehr
BERLIN (dpa) - Was macht der lange Lockdown mit der Psyche? Die regelmäßigen, repräsentativen Umfragen für das „Deutschland Barometer Depression“verheißen nichts Gutes. Nach der jüngsten Sondererhebung sind bedrückende Gefühle in der Gesamtbevölkerung deutlich höher als im Frühjahr 2020. Besonders hart trifft es all jene, die bereits depressiv erkrankt sind. Es gebe eine bedenkliche Zahl von Suizidversuchen, heißt es in der Studie. Forderungen nach systematischer Untersuchung von gesundheitlichen Folgen der Pandemie-Maßnahmen werden lauter.
Der zweite Lockdown schlägt laut Umfrage deutlich mehr Menschen auf die Psyche als der erste vor einem Jahr. Dieser begann am 22. März 2020 und wurde von Ende April an nach und nach aufgehoben. Fast drei Viertel (71 Prozent) der Bundesbürger empfinden die Situation im zweiten Lockdown als bedrückend – vor einem Jahr waren es 59 Prozent. 46 Prozent halten Mitmenschen für rücksichtsloser als damals (40). Das Gefühl familiärer Belastung lag in der Umfrage mit 25 Prozent dagegen nur leicht höher als im ersten Lockdown (22). Sorgen um die berufliche Zukunft gab es bei fast einem Drittel (30 Prozent) – vor einem Jahr waren es 28 Prozent.
Für Psychiater Ulrich Hegerl, Vorstandschef der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, sind die Ergebnisse Ausdruck einer allgemeinen Demoralisierung der Bevölkerung. „Die Menschen bewegen sich nicht mehr, sie nehmen zu, liegen länger im Bett und schlafen dann nachts schlecht“, sagt er. „Sie sitzen noch länger vor Bildschirmen. Das ist alles nichts, was einen aufbaut. Dazu kommen ganz normale psychische Reaktionen wie berufliche Sorgen, Ängste und häusliche Konflikte.“
Die Umfrage kommt zum selben Ergebnis wie die lange bekannte Annahme der Stiftung, nach der innerhalb eines Jahres acht Prozent der Erwachsenen eine behandlungsbedürftige Depression haben. Die Pandemie hat nach Hegerls Einschätzung bisher nicht zu einer massenhaften Zunahme der Erkrankung geführt. Habe ein Mensch jedoch eine Veranlagung zu einer Depression, könne durch die Maßnahmen gegen Corona eine depressive Krankheitsphase getriggert werden. Die Zahl von Suizidversuchen von Depressiven hat laut Hegerl stark zugenommen. „Für mich ist es eine Katastrophe zu sehen, wie sich die Versorgung von Menschen mit Depressionen verschlechtert hat.“Er könne nicht erkennen, dass diese wichtige Frage in der Pandemie systematisch diskutiert werde.