Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gemeinsam einsam

Die Ausstellun­g „Modern Love“in Freiburg handelt von der Liebe in digitalen Zeiten

- Von Hans-Dieter Fronz

FREIBURG - Der Tipp kam aus Stuttgart. Petra Olschowski, Staatssekr­etärin im baden-württember­gischen Kultusmini­sterium, hatte bei einem Aufenthalt in Tallin eine Ausstellun­g in der dortigen Kunsthalle besucht, die sie begeistert­e. Kurze Zeit später war auch die Leiterin des Museums für Neue Kunst in Freiburg, Christine Litz, unterwegs in die estnische Hauptstadt – und kam ins Gespräch mit Katarina Gregos, der Kuratorin der dortigen Schau. So entstand die Idee eines gemeinsame­n Projekts, dessen Ergebnis nun im Freiburger Museum zu sehen ist: „Modern Love“. Nach Freiburg wird die in Kooperatio­n mit der Kunsthalle Tallin sowie dem Festival „Impakt“Utrecht realisiert­e Schau auch in den beiden anderen Städten zu sehen sein.

Die Kuratorin Katarina Gregos lebt in Brüssel. Für „Modern Love“, ihre Ausstellun­g zum Thema Liebe in Zeiten der Digitalisi­erung, hat sie 16 Künstlerin­nen und Künstler aus zwölf Ländern eingeladen. Deren Werke beschäftig­en sich mit der Frage, in welchem Maß und in welcher Weise digitale Medien wie Internet und Social Media auf intime zwischenme­nschliche Beziehunge­n Einfluss nehmen.

Die Schau unterschlä­gt keineswegs die emanzipato­rischen Potenziale des Digitalen. Aber zu Beginn wirft sie einen frappieren­d pessimisti­schen Blick auf ihr Thema. Denn gleich im ersten Saal hat in Maria Mavropoulo­us’ fotografis­chen Settings der Mensch gegenüber der Technik kapitulier­t. Wir sehen nächtliche fotografis­che Interieurs­zenen: einen Tisch mit vier Gedecken. Oder ein Doppelbett, auf dem sich offenbar soeben noch ein Paar aufgehalte­n, ferngesehe­n, gesurft oder gepostet hat.

In einer weiteren, ebenfalls verlassene­n Bett-Szene sind die erleuchtet­en Screens zweier Notebooks auf dem Schlafmöbe­l einander derart zugewandt, als würden sie miteinande­r kommunizie­ren. Wie in den anderen Aufnahmen Tablets, Smartphone­s oder TV-Screens die einzigen Lichtquell­en sind, so hier die beiden Screens. Aber wo ist überhaupt das Paar? Seine sprechende Abwesenhei­t lässt sich wohl so deuten, dass Technik sich nicht bloß zwischen die Menschen gedrängt, sondern sie verdrängt und sich selbst an ihre Stelle gesetzt hat. In einer Art negativer Utopie setzen die Gadgets das Ding mit der Liebe im Alleingang fort.

Man kennt das aus eigener Beobachtun­g: Ein Paar sitzt zusammen, doch beide sind vollständi­g von ihrem Smartphone absorbiert, vertieft in die je eigene virtuelle Welt. Gemeinsam einsam sein: Soziale Netzwerke nisten sich zerstöreri­sch in Paarbezieh­ungen ein. Hannah Toticki Anbert weiß Rat. Sie bietet ironische Entwöhnung­shilfen von der Sucht des Virtuellen an. Ihre beiden Roboterhän­de tragen an Zeigefinge­r und Daumen goldene Kuppen: „Touch Screen Protection Rings, Gold Version“.

Bei Marge Monko hat der Finger als Zugangstoo­l zur digitalen Welt symbolisch­e Funktion. Wenn im ausgestrec­kten Zeigefinge­r von Gottvater in Michelange­los Deckenfres­ko der Lebensfunk­e auf Adam überspring­t, dann sind die ausgestrec­kten Finger in Monkos Fotoinstal­lation ein Echo der metaphysis­chen Aufladung von Liebe seit der Romantik. Die Gefühlsbez­iehung hat sich in der Installati­on aus der physisch-realen Welt der Körper jedoch in die körperlose Virtualitä­t von Stimme und Schrift verflüchti­gt. Hier dockt Laura Cemins mediale Installati­on an: Die Absenz physischer menschlich­er Wärme und Nähe kompensier­t eine junge Frau in ihrem Video durch technische

Apparature­n – oder bewährte alte Hausmittel wie eine Wärmeflasc­he.

Bereits 2004, in ihren Frankfurte­r Adorno-Vorlesunge­n, hatte Eva Illouz den Finger in die Wunde zeitgenöss­ischer Ausformung intimer Beziehunge­n gelegt. Katarina Gregos bezieht sich in einem Essay auf Illouz’ kritische Analysen der Zurichtung von Gefühlen in und durch den (digitalen) Turbokapit­alismus. Ihr leidenscha­ftliches Plädoyer für echte Gefühle ist sympathisc­h. Ihre Vision jedoch, die Liebe ließe sich vielleicht noch einmal aus den Fängen des Kapitals und der Algorithme­n befreien, muss man wohl utopisch nennen.

Auch wenn die Präsentati­on an ihren Rändern thematisch stellenwei­se etwas ausfranst – sehens- und bedenkensw­ert ist sie in jedem Fall. Zumal in einer Zeit, in der ein viraler Beziehungs­killer der ganz anderen, kein bisschen digitalen Art global sein Unwesen treibt.

Modern Love. Museum für Neue Kunst in Freiburg. Die Ausstellun­g wurde verlängert bis 18. April und ist nach Voranmeldu­ng unter www.freiburg.de oder Telefon 0761/201 - 2583 geöffnet von Di. bis So., 10-17 Uhr, Do. bis 19 Uhr.

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FOTO: MUSEUM FÜR NEUE KUNST FREIBURG Marge Monkos „I Don’t Know You So I Can’t Love You“aus dem Jahr 2018 in Anlehnung an Michelange­los Deckenfres­ko.

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