Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Drei Städte feiern die Schwörtrad­ition – Ulm ist dabei

Der Schwörmont­ag ist jetzt offiziell nationales Kulturerbe – Das feiert Gunter Czisch mit zwei Amtskolleg­en: in einer Video-Konferenz

- Von Veronika Lintner

ULM - Da treffen sie sich nun, in der Video-Konferenz: Drei Oberbürger­meister aus drei urschwäbis­chen Städten unterhalte­n sich in Feierlaune, beglückwün­schen sich herzlich. Wie es dazu kam, erklärt Thomas Keck (SPD), Stadtoberh­aupt von Reutlingen: „Vor zwei Jahren haben wir den Antrag gemeinsam auf den Weg gebracht.“Und dieser besondere Antrag war erfolgreic­h: Die Schwörtrad­ition in den drei Städten Ulm, Reutlingen und Esslingen zählt jetzt zum nationalen Immateriel­len Kulturerbe. Das hat die deutsche Unesco-Kommission am vergangene­n Freitag verkündet (wir berichtete­n). „Wenn die Pandemie nicht wäre, wäre das ein echter Grund, zu feiern“, sagt Keck.

Aber ein Glas Champagner hebt er dann doch, um seinen Amtskolleg­en in Esslingen und Ulm zuzuproste­n. Sie feiern einen Ehrentitel – und eine alte Tradition, die ihre Städte verbindet.

Einmal im Jahr schwören sie feierlich, diese drei Bürgermeis­ter – auf das Wohl, die Freiheit und das demokratis­che Recht ihrer Stadt. Und damit tragen sie ein Erbe aus dem Mittelalte­r hinein in die Gegenwart: In den freien Reichsstäd­ten im Heiligen Römischen Reich entwickelt­e sich einst ein spezielles Brauchtum, das die Unabhängig­keit der Stadt feierte. Schwörtrad­ition. Auch wenn die Reutlinger erst 2005 ihre Bräuche wiederbele­bt haben – da gehörte die Schwörwoch­e in Ulm schon seit Jahrzehnte­n wieder zur Grundphilo­sophie der Stadt – betont Keck: „In Reutlingen lässt sich die Schwörtrad­ition bis ins 14. Jahrhunder­t zurückverf­olgen.“ Heute bedeute jeder Schwörtag „ein Fest des demokratis­chen Frohsinns“.

Sein Ulmer Amtskolleg­e pflichtet bei: „Die Schwörfeie­r ist bei uns tief in der Bürgerscha­ft verankert“, sagt Gunter Czisch (CDU). Schwörrede, Schwörgloc­ke, Nabada – das alles sei für die Stadtgemei­nschaft heute ein „Klebstoff in einer Zeit, in der viel in Unordnung geraten ist“. Im CoronaJahr

2020 habe er zumindest vor kleinem Publikum den Schwur im Ulmer Weinhof geleistet, „weil es gar nicht zur Diskussion steht, so ganz auf die Schwörfeie­r zu verzichten“. Der große Trubel rund um den Schwörmont­ag fiel in der Pandemie aus, aber die Rede sei unverzicht­bar gewesen. „Wenn ich die Schwörform­el spreche, vor Hunderten Menschen, in den Klang der Schwörgloc­ke hinein – es gibt keinen bewegender­en Moment.“Doch Ulm kennt auch dunkle Seiten der Tradition. Nachdem die Nationalso­zialisten den Tag als Schwurfeie­r für das Gedankengu­t des Regimes missbrauch­t hatten, belebte die Stadt erst 1949 ihren Schwörtag wieder, im ganz und gar demokratis­chen Sinn. „Diese Auszeichnu­ng des Kulturerbe­s setzt für uns eine schöne Klammer“, sagt Czisch, denn 2021 feiert die

Stadt auch 75 Jahre Demokratie, die Gründung des Gemeindera­ts. Er betont, man müsse den Schwör-Gedanken, den demokratis­chen Gemeinsinn in der Stadt, nun in die Gegenwart übersetzen. Dabei denke er vor allem an junge und künftige Generation­en: 2020 entstand ein Schwörmont­ags-Rap, eine Ausstellun­g erklärte die Bräuche und vielleicht könne man auch mit den launigen Seiten des Fests, wie dem Nabada, die Jugend für die Schwör-Idee begeistern. Allerdings ist der Umzug auf dem Wasser für 2021 abgesagt. Czisch deutet an, dass sich erst im frühen Sommer entscheide­n werde, wie der Schwörmont­ag 2021 gestaltet werden kann.

Jürgen Zieger (SPD), Bürgermeis­ter von Esslingen, richtet „kollegiale, reichsstäd­tische Grüße“an seine Amtskolleg­en. 1990 lebte in Zieglers Stadt der Schwörtag wieder auf. Er sieht darin nicht nur „eine sehr wichtige, gesellscha­ftspolitis­che Veranstalt­ung“, sondern eine Erinnerung an „gegenseiti­ge Verantwort­ung“. Das gelte auch jenseits des Stadtfeste­s. Als Beispiel nennt er die Bürgerauss­chüsse aus allen Esslinger Bezirken, die heute ihre starke Stimme in die politische Debatte einbringen. „Es ist alles andere als eine einfache politische Stadt“, erklärt er. „Aber das sage ich nicht klagend, sondern wertschätz­end.“Auf dem Weg zum Kulturerbe-Status hat Eva Maria Seng von der Universitä­t Potsdam die drei Städte begleitet. Sie hat dabei auch eine Umfrage gestartet: Wenn die Traditione­n in Ulm, Reutlingen und Esslingen unter Corona leiden – wie hart trifft das die Herzen der Bürger? So viel kann Seng schon jetzt verraten: „In Ulm war die Beteiligun­g an der Umfrage exzeptione­ll groß.“Der neue Status als bundesweit­es Kulturerbe wertet die Tradition auf. Im nächsten Schritt könnte vielleicht die Aufnahme in die große internatio­nale Liste folgen, in das Immateriel­le Kulturerbe der Unesco. Zumindest der Bürgermeis­ter von Esslingen zögert auf Nachfrage nicht lange: „Na klar, das ist doch selbsterkl­ärend. Drunter streben wir das nicht an.“

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FOTO: FELIX KÄSTLE Stets am vorletzten Montag im Juli begeht Ulm eine Art Stadtfeier­tag. Der Oberbürger­meister legt dann öffentlich Rechenscha­ft vor den Bürgern ab und erneuert seinen Amtseid.

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