Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Geister, die sie riefen

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Dass schon die kleinsten Themen der Fußballbra­nche am Stammtisch (aktuell leider nur der digitale) und in den Medien zur Staatsaffä­re hochsteril­isiert (danke an Bruno Labbadia) werden können, ist ja ein wichtiger Faktor, der den Unterhaltu­ngswert der Branche ausmacht. Wöchentlic­h, mitunter täglich, wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Die aktuelle hält sich schon beachtlich lange an der Spitze und kam zudem eher unerwartet. Nicht der desaströse Abschluss der DFB-Reise, nicht der Sieg der Bayern im Bundesliga­kracher, sondern Erling Haaland war und bleibt das Thema der Stunde.

Doch nähern wir uns dem Thema ● einmal ganz sachlich. Was ist überhaupt passiert? Wir hätten da den Wunderstür­mer, die Naturgewal­t aus Norwegen (das ist durchaus realistisc­h und nicht etwa übertriebe­n), der allein diese Saison in 22 Bundesliga­spielen 21 Tore erzielte und in der Champions League aktuell bereits zehnmal traf, und seine reisefreud­ige Entourage bestehend aus Vater AlfInge Haaland sowie Berater Mino Raiola. Barcelona, Madrid, eventuell bald noch Liverpool oder Manchester, die beiden Kümmerer sind derzeit recht umtriebig und netzwerken sich fröhlich durch die prominente­sten Fußballsta­ndorte Europas – und sorgen damit für Wirbel. Es scheint Fakt zu sein, dass Haaland dem aktuellen Grau-Club aus Dortmund wohl eher zeitnah als langfristi­g den Rücken kehren möchte – und das trotz eines Vertrags bis 2024, der erst im Sommer 2022 eine Ausstiegsk­lausel von rund 75 Millionen Euro enthält. Haaland, 20 Jahre alter Stürmer und wohl dekadepräg­end, möchte sich mit den Besten seines Fachs messen

– und das so oft wie möglich und um jeden Preis; mit welchem Verein, scheint egal. Dass sein Club die Königsklas­se im kommenden Jahr zu verpassen droht, passt nicht unbedingt in den ehrgeizige­n Karrierepl­an des Blondschop­fes. Doch wieso sorgen diese Entwicklun­gen überhaupt für Schlagzeil­en, verdeutlic­hen sie doch nur die Auswüchse des Weges, den der Fußball und auch Borussia Dortmund vor Jahrzehnte­n beschritte­n. Denn dass der BVB ohnehin als Zwischensc­hritt des Ehrgeizlin­gs vor dem ganz großen Wurf geplant war, hatte das Konsortium des Norwegers schon bei dessen Verpflicht­ung geäußert. Nur hatten sie in Dortmund halt gehofft, dass dieser Schritt weit in der Zukunft liegt. Nun aber performt Haaland besser – und der BVB schlechter – als gedacht. „Ein Blinder würde erkennen, dass das ein guter Stürmer ist“, musste nicht erst City-Teammanage­r Pep Guardiola verkünden. Ex-Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann sagt: „Ihm tut es nicht weh, zu bleiben und sich mindestens ein weiteres Jahr zu beweisen.“Doch ist dem wirklich so? Nehmen wir an, es stellt sich doch so dar, dass es Haaland schmerzt, er die Lust am Spiel etwa verliert und leistungst­echnisch stagniert, ist es da nicht zumindest logisch, Alternativ­en auszuloten? Der Aufschrei über gierige Berater und Söldner greift zu kurz. Haaland ist keine zwei Jahre beim Club und hat wohl nie in BVBBettwäs­che geschlafen. Er leistet, liefert und liebäugelt nun mit mehr. Bliebe die Art und Weise. Doch ist jene die Hyperversi­on des Fußballkap­italismus, den die Großclubs selbst ständig betreiben. Den BVB trifft nur die Reflexion des eigenen Handelns. „Sie geben eine Menge Geld aus und bezahlen viel Geld an Berater, damit sie diese Spieler ranholen, die eine unglaublic­he Qualität haben“, formuliert Guardiola. Dass BVB-Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke sagt: „Es gibt da keinen Alternativ­plan“, klingt nett, doch heißt es in dieser Welt nichts. Wenn alle Parteien ernst machen, kann der BVB nur verkaufen, will er sich nicht einen weiteren Streikfall wie Pierre-Emerick Aubameyang oder Ousmane Dembélé leisten. Und wenn Haaland weg ist und der BVB vom Verkaufszu­m Kaufclub wird, möchte von Branchenet­hik wohl ohnehin wieder niemand etwas wissen.

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FOTO: GROOTHUIS/IMAGO IMAGES Scheint derzeit nicht zufrieden zu sein: Erling Haaland.

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