Große Ziele, klamme Kassen
Grüne und CDU starten Koalitionsverhandlungen – Klimaschutz zentral
●
STUTTGART - Die große Botschaft war der CDU am Donnerstagvormittag einen kleinen Umweg wert. Mit drei Autos fuhr das Verhandlungsteam der Christdemokraten zu den ersten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Kurz vor dem Ziel aber kehrten die Verhandler noch einmal um. Thomas Strobl, Manuel Hagel und Wolfgang Reinhart wollten die Naturschützer des BUND, die sich am Wegrand versammelt hatten, persönlich begrüßen. „Ist die CDU jetzt die neue Klimaschutzpartei?“, fragte eine Journalistin daraufhin. „Absolut“, antwortete Strobl prompt. „Gemeinsam mit den Grünen machen wir Baden-Württemberg zum Klimaschutzland.“
Es ist das Zeichen, das die LandesCDU in diesen Tagen setzen will. Sie präsentiert den Umwelt- und Klimaschutz als ureigenes Ziel. In der Sache ein „Klotz am Bein“sein, wie es die grüne Landesvorsitzende Sandra Detzer dem schwarzen Regierungspartner vor einigen Monaten noch vorgeworfen hatte, will die CDU auf gar keinen Fall. Für die neue Legislaturperiode tritt sie deshalb die Flucht nach vorne an. „Wir meinen es ernst mit dem Klimaschutzland“, sagte etwa Generalsekretär Manuel Hagel. Und auch andere Abgeordnete werden dieser Tage nicht müde zu betonen, wie nah sich die Wahlprogramme von CDU und Grünen beim Klimaschutz doch sind.
Da passt es gut ins Bild, dass die CDU vorgeschlagen hat, den Auftakt der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen ausgerechnet im Haus des Waldes zu machen. Eigentlich können Besucher in dem schmucken Holzhaus eine Ausstellung zu nachhaltiger Entwicklung am Beispiel von Wald- und Forstwirtschaft sehen. Jetzt aber soll hier, mitten im Wald, der Grundstein für die künftige Regierungsarbeit gelegt werden. Die ersten Maßnahmen stehen bereits fest: So sollen etwa im Staatswald und auf den Landesflächen bis zu 1000 neue Windkraftanlagen entstehen. Die Finanzpolitik soll so ausgerichtet werden, dass sie dazu beiträgt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Beim Bauen, beim Planen neuer Wohnquartiere soll Klimaneutralität der Maßstab werden. Alle Orte im Land sollen von 5 Uhr bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein. Dafür soll der ÖPNV ausgebaut werden und mehr Fahrten auf Abruf möglich sein. Die von der Union angestrebte Senkung der Grunderwerbsteuer soll demnach nicht kommen.
Sieben Seiten umfasst das Papier, das die beiden Verhandlungspartner in der vergangenen Woche vorlegten. Es soll Richtschnur und Leitgedanke für die kommenden Wochen sein, wenn die beiden Parteien in zwölf Arbeitsgruppen tagen, um den eigentlichen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Parallel trifft sich auch die Kerngruppe, die schon in den Sondierungsgesprächen verhandelte und in der etwa Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Parteivorsitzenden sind, um mögliche Konfliktpunkte aus dem Weg zu räumen. Am 8. Mai wollen CDU und Grüne den Vertrag dann auf ihren Landesparteitagen beschließen. Am 12. Mai will sich der 72-jährige
Kretschmann zum dritten Mal zum Regierungschef wählen lassen.
So herrschte am Donnerstag in Stuttgart weitgehend Einigkeit über die großen Linien der künftigen Regierungsarbeit. Das Problem: Die Kassen sind angesichts der teuren Pandemiebekämpfung leer. GrünSchwarz hat wegen der Corona-Krise im Doppelhaushalt 2020/2021 neue Schulden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro aufgenommen. Gleichzeitig sind die Steuereinnahmen gesunken. Im kommenden Jahr fehlen dem Land 3,6 bis vier Milliarden Euro. Dazu kommt: Die neue Koalition muss auch an den Altschuldenberg ran, der auf 58,5 Milliarden Euro gewachsen ist.
Regierungschef Kretschmann bezeichnete die Defizite als „dramatisch“. Er gab sich trotzdem überzeugt, dass das Geld ausreicht, um Baden-Württemberg zum Klimaschutzland zu machen. „Es ist ja nicht in erster Linie eine Geldfrage“, sagte er. Es gehe eher darum, Dinge anzupacken, Verfahren zu kürzen,
Flächen bereitzustellen. Windräder etwa würden ja von Privatinvestoren gebaut. „Insofern kosten die uns erst mal kein Geld.“
Die Grünen-Landeschefin Sandra Detzer sagte: „Wir sind uns einig geworden, dass wir trotz der sehr restriktiven finanziellen Bedingungen gemeinsam mutig und ambitioniert gestalten wollen. Wir wollen insbesondere Möglichkeiten nutzen, die wir im Ordnungsrecht sehen.“Es gehe jedoch auch um eine klare Priorisierung.
Etwas weniger optimistisch blickt offenbar die CDU in die leeren Kassen. Landeschef Thomas Strobl sprach von einem „Rendezvous mit der Realität“. „Das ist eine Herkulesaufgabe“, sagte auch Fraktionschef Wolfgang Reinhart. „Wir müssen überlegen, wie wir das in den kommenden Jahren bewältigen.“Es gehe jetzt um Generationengerechtigkeit, die Einhaltung der Schuldenbremse – und um Nachhaltigkeit, auch bei den Finanzen.