Der Stäbchen-Streit
Unionspolitiker verlangen Testpflicht für Unternehmen – Wirtschaftsverbände sind vehement dagegen
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BERLIN - Mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie setzt die Bundesregierung auf eine massive Ausweitung der Tests. Dabei sollen auch die Unternehmen mitmachen und ihre Beschäftigten testen. Ob das freiwillig geschieht oder es eine Testpflicht in Unternehmen gibt, darüber diskutierten Wirtschaftsverbände und Politik am Donnerstag bei einem Gipfeltreffen.
Sowohl Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) als auch die Spitzenverbände der Wirtschaft warnten vor einer Corona-Testpflicht in Unternehmen. Die Einhaltung lasse sich nur schwer überprüfen, deutete Altmaier an. Die Verbände argumentierten in einer gemeinsamen Erklärung, rund 90 Prozent der Firmen wollten ihre Beschäftigten ohnehin aus eigenem Antrieb testen. Dagegen hielt unter anderem Uwe Schummer, der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe von CDU und CSU im Bundestag: „Das Testen in den Unternehmen sollte zu einer gesetzlichen Verpflichtung werden.“
Die Debatte kochte auch deshalb hoch, weil am kommenden Montag das nächste Bund-Länder-Treffen zur Pandemie stattfindet. Neben weiteren Kontaktbeschränkungen stehen die Tests auf der Tagesordnung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Beteiligung an der Teststrategie von 90 Prozent der Firmen verlangt. Für den Fall, dass diese Marke nicht erreicht werde, drohte das SPD-geführte Arbeitsministerium mit der Testpflicht.
In ihrer Erklärung betonen die Verbände, da „heute schon 87 Prozent der Betriebe allgemein CoronaTests anbieten oder dies in Kürze tun werden“. Unter den großen Unternehmen vor allem der Industrie seien es bereits 91 Prozent. Schneller gehe es nicht, weil die Tests nicht immer in ausreichenden Mengen zu beschaffen seien. Auch sei es nicht einfach, die Infrastruktur in den Firmen aufzubauen. Außerdem hätten manche Beschäftigte keine Lust, sich ständig überprüfen zu lassen, erklärten die Wirtschaftsverbände.
Dass die Mehrheit der Firmen Anstrengungen unternähme, wollte Unionspolitiker Schummer nicht infrage stellen. „Aber es gibt immer Ausnahmen, die sich nicht an die Testempfehlungen halten“, sagte er. „Deshalb müssen wir die Zügel anziehen für diese Minderheit der Unternehmen, die den Empfehlungen nicht folgt.“
„Wir sind jetzt in einer absolut kritischen Phase. Ich appelliere deshalb mit allem Nachdruck an die
Wirtschaft, ihrer Selbstverpflichtung nachzukommen und mit dem Testen in den Betrieben Ernst zu machen“, sagte Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). „ Es geht um die Gesundheit der Belegschaften.“
Die gewerkschaftliche HansBöckler-Stiftung bezweifelt derweil, dass die optimistischen Zahlen der Wirtschaftsverbände stimmen. In der zweiten März-Hälfte hätten nur 23 Prozent der befragten Beschäftigten berichtet, dass das anwesende Personal in ihrer Firma mindestens einmal pro Woche einen Schnelltest machen konnte, heißt es in einem diese Woche veröffentlichten Bericht. Für 54 Prozent der Arbeitnehmer gab es demzufolge weder betriebliche Schnelltests noch waren diese angekündigt. „Die enttäuschend geringe Umsetzungsquote zeigt, dass eine verbindliche Regulierung notwendig ist, die eine konsequente und rasche Einführung von betrieblichen Schnelltests garantiert“, sagte Stiftungsexpertin Elke Ahlers. Sachsen und Berlin hätten für Betriebe mit Präsenzbeschäftigten ein Testangebot bereits zur Pflicht gemacht. Allerdings war die BöcklerUmfrage nicht repräsentativ, und wahrscheinlich gibt sie auch nicht den aktuellen Stand in den Unternehmen wieder.
Das Bundesarbeitsministerium lässt derweil ebenfalls eine Befragung von Beschäftigten durchführen. Das Wirtschaftsministerium konsultiert Unternehmen. Auf der Basis beider Erhebungen will die Regierung bis spätestens nächsten Montag eine Bewertung vorlegen. Dann könnte über die Testpflicht entschieden werden.
Eine weitere wichtige, ebenfalls offene Baustelle ist das Homeoffice. Zwar gibt es die Corona-Arbeitsschutzverordnung. Damit wurden die Unternehmen verpflichtet, ihrem Personal die Arbeit zu Hause zu ermöglichen, wenn das betriebstechnisch möglich ist. Im März arbeitete jedoch nur ein Drittel der Beschäftigten im Homeoffice, teilte das ifo-Institut für Wirt schaftsforschung kürzlich mit. „Deutschland hat noch viel Luft nach oben. Wir schätzen das Potenzial für Homeoffice auf 56 Prozent der Beschäftigten“, sagt Oliver Falck, Leiter des ifo-Zentrums für neue Technologien.