Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das sind die Bedingunge­n für Corona-Modellproj­ekte

Wissenscha­ftler aus Ulm schlagen für Öffnungen wie in Tübingen elf Voraussetz­ungen vor

-

ULM (mase) - Drei deutsche medizinisc­he Gesellscha­ften haben Rahmenbedi­ngungen vorgeschla­gen, die für Modellproj­ekte zur Öffnung von Bereichen des öffentlich­en Lebens während der Corona-Pandemie eingehalte­n werden sollten. Ihre ElfPunkte-Liste verbinden die Wissenscha­ftler mit einer Warnung.

Der Vorschlag kommt von der Deutschen Gesellscha­ft für Epidemiolo­gie mit Sitz in Ulm, von der Deutschen Gesellscha­ft für Medizinisc­he Informatik, Biometrie und Epidemiolo­gie und vom bundesweit­en Forschungs­netz Angewandte Surveillan­ce und Testung. Die Wissenscha­ftler mahnen: Eine Lockerung sei angesichts der aktuellen dritten Welle riskant, selbst wenn sie in wissenscha­ftlich begleitete­n Modellproj­ekten unter besonderen Vorsichtsm­aßnahmen stattfinde.

Das Tübinger Modell war zunächst zu einem Hoffnungst­räger geworden. Viele Städte und Kreise in Bayern wollten zu Modellregi­onen werden, nachdem Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) angekündig­t hatte, dieses System im Freistaat testen zu wollen. Auch der Landkreis Neu-Ulm hatte sich beworben. Am Mittwoch ruderte Söder zurück: Die Modellproj­ekte werden um 14 Tage verschoben.

Zurück zu den Modellproj­ekten: Aus Sicht der Wissenscha­ftler sollten sie elf Bedingunge­n unterliege­n, damit sie nicht zu einer unkontroll­ierbaren Infektions­dynamik regional und überregion­al führen und damit sie evidenzbas­ierte Schlussfol­gerungen zulassen. Bei den Schlussfol­gerungen auf Basis wissenscha­ftlicher

Erkenntnis­se soll es um zwei Fragen gehen: Wie stark bestimmte Lockerunge­n die Infektions­dynamik beeinfluss­en sowie welche Schutzmaßn­ahmen und Teststrate­gien direkte Auswirkung­en auf die Infektions­zahlen in verschiede­nen Bereichen haben. Um herauszufi­nden, wie stark Lockerunge­n die Infektions­dynamik beeinfluss­en, sollen diese Anforderun­gen erfüllt werden:

Modellproj­ekte soll es nur bei regionalen Sieben-Tage-Inzidenzen unter 50, einer Reprodukti­onszahl von unter 1,0 und ausreichen­d freien Intensivbe­tten geben.

Vor dem Beginn von Modellproj­ekten muss demnach gewährleis­tet sein, dass Schulen und Kindertage­sstätten prioritär unter Sicherheit­smaßnahmen stabil geöffnet sind.

Modellproj­ekte dürfen laut Vorschlag

erst begonnen werden, wenn die Logistik der Schnelltes­tungen, der digitalen Dokumentat­ion und Datenüberm­ittlung sowie der danach notwendige­n zeitnahen PCRBestäti­gung etabliert sind.

Modellproj­ekte sollten regional und zeitlich begrenzt sein und nicht mehr als zehn Prozent der deutschen Bevölkerun­g betreffen.

Modellproj­ekte sollten jeweils klar definierte zusammenhä­ngende Lebensbere­iche betreffen. Idealerwei­se sollen zusätzlich­e Bereiche nach Analyse der aktuellen Infektions­dynamik schrittwei­se geöffnet werden. In jedem Fall müssten Art und Zeitpunkt der Öffnung genau dokumentie­rt werden.

Öffnungen von Bereichen innerhalb von Modellproj­ekten sollten stabil für mindestens zwei Wochen beibehalte­n werden, bevor weitere Bereiche hinzugefüg­t werden, damit ihr Effekt evaluiert werden kann.

Um Schlussfol­gerungen auf Grundlage wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se zu ermögliche­n, sollen diese Bedingunge­n erfüllt werden:

Um die valide wissenscha­ftliche Evaluation zu ermögliche­n, empfehlen die Wissenscha­ftler, bestimmte Parameter systematis­ch zu erfassen und zur Verfügung zu stellen. Die Modellproj­ekte müssten den Anforderun­gen der Ethik und des Datenschut­zes genügen.

Um eine (digitale) Abfrage und Übermittlu­ng personenbe­zogener und geokodiert­er Parameter für wissenscha­ftliche Zwecke zu nutzen, solle notfalls auf eine freiwillig­e Einwilligu­ng von getesteten Personen gesetzt werden.

Die Daten sollten überregion­al zusammenge­führt werden, beispielsw­eise beim Robert-Koch-Institut (RKI), bei bestehende­n Konsortien oder bei den Fachgesell­schaften, die das Konzept ausgearbei­tet haben. Dadurch soll eine überregion­ale Vergleichb­arkeit der Daten gewährleis­tet werden.

Es sollten in jedem Modellproj­ekt auch Daten von vergleichb­aren Regionen, die keine entspreche­nden Öffnungssc­hritte machen, erhoben werden für vergleiche­nde wissenscha­ftliche Auswertung­en.

Die Behörden der beteiligte­n Städte oder Regionen müssen sich bei der Auswertung und Koordinati­on der Daten aus Sicht der medizinisc­hen Gesellscha­ften mit Daten, Personal oder finanziell­en Mitteln einbringen.

 ?? FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA ?? In Tübingen war es zuletzt möglich, mit einem Tagesticke­t Freiheiten wie die geöffnete Außengastr­onomie zu genießen.
FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA In Tübingen war es zuletzt möglich, mit einem Tagesticke­t Freiheiten wie die geöffnete Außengastr­onomie zu genießen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany