„Die Bereitschaft, sich zu ändern, wächst“
Schriftsteller Frank Schätzing über sein Buch zum Klimawandel und die Möglichkeit jedes Einzelnen, etwas zu tun
KÖLN (dpa) - Eigentlich saß Frank Schätzing gerade daran, einen neuen Thriller zu schreiben. Dann kam die Corona-Krise und mit ihr die Idee, sich stattdessen in einem Sachbuch mit einem viel größeren Problem als einer weltweiten Pandemie zu befassen: dem Klimawandel. Der Kölner Erfolgsautor erklärt im Interview mit Steffen Trumpf von der Deutschen Presse-Agentur, wie Coronaund Klimakrise zusammenhängen – und was wir auf dem Weg in eine bessere Zukunft richtig machen können.
Herr Schätzing, dieses Interview findet nicht in Köln statt, sondern aus der Ferne per Zoom. Haben die Pandemie und ihre Folgen – eine davon ist ja auch Zoom – dem Klima gutgetan?
Ja, und zwar verspätet. Ein Jahr lang schien Klimaschutz in Vergessenheit geraten zu sein, da Corona alles überlagerte. Tatsächlich hilft uns das Virus jetzt, Dinge in einem höheren Zusammenhang zu sehen – etwa Pandemien und Erderwärmung, weil sich durch unseren Einfluss Klimazonen verschieben und Erreger in Gebiete gelangen, in denen Mensch und Tier nicht auf sie vorbereitet sind. Corona ist ein Arschloch, keine Frage. Aber es weitet unseren Blick fürs große Ganze.
Zerstören wir gerade unseren Lebensraum, die Erde?
Wir sind seit geraumer Weile dabei.
Wie tun wir das?
Die allermeiste Zeit in der Geschichte des Homo sapiens haben wir uns dem Planeten angepasst. Es waren mehr Ressourcen vorhanden als Menschen. Jetzt versuchen wir, den Planeten uns anzupassen. Längst gibt es mehr Menschen als Ressourcen. Wir überstrapazieren unsere Existenzgrundlagen und verprassen die Dividenden von Jahrmillionen – Öl, Kohle, Gas –, die Mutter Natur gewissermaßen für uns angespart hat, nach dem Motto: „Teilt’s euch ein.“Aber wir sind wie Kinder, wenn’s Schokolade gibt. Alles wird verputzt. Dabei blasen wir über Erdzeitalter eingelagertes CO2 binnen weniger Jahrzehnte in die Atmosphäre. Glaubt einer, das bliebe ohne Folgen? Wir fügen unserer Welt irreversible Schäden zu.
Mit der Art und Weise, wie wir leben?
Mit den Narrativen, in denen wir leben. Mit fabulösen Erzählungen vom nie endenden Wachstum und der ständigen Verfügbarkeit von allem zum Billigpreis. Wir haben unseren Sinn für die Begrenztheit und den Wert der Dinge verloren. Fleisch zum Beispiel ist eine kostbare Ressource. Nur, wenn ein Pfund Schweinenacken 1,99 Euro kostet, kommt einem dafür der Blick abhanden. Wenn Leute meckern, weil sie für den Download eines Songs 99 Cent bezahlen sollen, haben sie offenbar keinen Schimmer davon, wie Musik entsteht und wer davon lebt. Ein T-Shirt für einen Euro? Schnäppchen. Dass Mensch und Natur darunter leiden, landet im blinden Fleck.
Um all das auf den Punkt zu bringen, haben Sie ein Sachbuch über die Klimakrise geschrieben.
Ich hatte das Gefühl, ich muss was tun. Klar spielte auch die Situation im letzten Jahr eine Rolle. Sprach man Leute auf den Klimawandel an, hieß es: „Komm mir bloß nicht auch noch damit!“
Warum sind wir so?
Na ja, Menschen sind nicht wirklich multikatastrophenfähig. Reagieren auf die unmittelbare Gefahr und verlieren dabei die größere Bedrohung aus den Augen. Oft mangelt es auch schlicht an Wissen. Wir sehen die Symptome, aber nicht die Ursache, und die Symptome werden falsch gedeutet. Es gibt nicht das eine ikonische Bild für den Klimawandel. Ein Erdbeben sieht aus wie ein Erdbeben. Krieg sieht aus wie Krieg. Aber Klimawandel? Was bedeutet es, in einer zwei oder drei Grad wärmeren Welt zu leben? Also habe ich die erste Hälfte des Buches für Erklärungen verwendet: Was unterscheidet Wetter und Klima, natürlichen und menschengemachten Klimawandel, was sind Kippelemente und Kipppunkte, warum ist Klimawandel keine Glaubenssache, sondern Fakt? Wir brauchen diese Verständnispower, um handeln zu können. In der zweiten Hälfte geht es um unsere Optionen. Was müssen Politik und Wirtschaft jetzt vorrangig tun? Was können sie, was kann jeder tun?
Ihr Verlag spricht von einem „Pageturner zur Klimakrise“. Nun sind Bücher über das Klima oft ganz und gar keine Pageturner, sondern schwere Kost. Und zwar aus zwei Gründen: wegen komplizierter Begriffe und Zusammenhänge, aber auch, weil man am Ende begreift: Oh verdammt, die Welt geht tatsächlich unter! Was machen Sie da anders?
Ich bin Geschichtenerzähler. So gehe ich auch an Sachbücher heran. Ich erzähle die Geschichte unseres Hierseins, unserer Vergangenheit, unserer Zukunft. Je packender ich das tue, desto größer ist die Chance, dass mir jemand zuhört. Ich will ja niemanden verschrecken. Ich will Menschen fesseln, ihre Aufmerksamkeit, letztlich ihre Unterstützung gewinnen. Es gibt nichts Spannenderes als die Netflix-Serie, in der wir leben. So gesehen ist der Klimawandel ein Abenteuer, in dem jeder ein Held sein kann.
Sie schreiben: „Wir können Einfluss nehmen. Wenn wir nur wollen.“Wollen wir denn?
Ich glaube schon! Das stelle ich in mehr und mehr Gesprächen fest. Das Schlimme an Corona ist ja, dass es uns in kollektive Ohnmacht stürzt. Tu dies nicht, tu das nicht, geh nicht aus dem Haus, triff niemanden. Unser Gestaltungsspielraum schrumpft auf ein Nichts. Die Menschen sehnen sich danach, etwas zu bewegen, zurück ins Handeln zu finden, und Klimaschutz schafft Gestaltungsräume.
Vielen ist zuletzt klar geworden, dass etwas grundlegend schiefläuft: Klima, Pandemie, Massentierhaltung, Armut, häusliche Gewalt, Sexismus, Rassismus, alles hängt zusammen. Die Bereitschaft, sich zu ändern, wächst. Vielfach noch unterschwellig, aber es geschieht. Ich glaube, 2021 wird ein Klimajahr.
Wie können wir die Klimakrise meistern?
Absolute Priorität hat, die weitere Erwärmung des Planeten zu stoppen. Ob wir am Ende bei 1,5, bei 1,75 oder 2 Grad Celsius landen, kann niemand sagen. Keinesfalls dürfen wir drüber gelangen! Das würde Kaskadeneffekte in Gang setzen, die wir nicht mehr kontrollieren können. Das völlige Abtauen der Gletscher, Wegschmelzen des polaren Eises, die Versteppung von Regenwäldern, das wäre dann nicht mehr zu stoppen. Unsere Enkel würden in der Hölle aufwachsen.
Sie richten im Buch scharfe Kritik an die Bundesregierung. Verliert Deutschland beim Klima den Anschluss?
Wir haben ihn schon verloren. Noch können wir aufholen. Dafür müssen wir bedeutend mutiger werden.
Wie zum Beispiel?
Etwa in der Energieerzeugung. Bis 2038 Kohle zu verbrennen, ist absurd. Spätestens 2030 muss Schluss sein. Kritiker mahnen, dann drohten Versorgungslücken. Stimmt, solange die Bundesregierung fossile Energien höher subventioniert als erneuerbare. Die Lösung lautet, alle Kraft in die rasche Vollversorgung durch Erneuerbare zu stecken, in grüne Innovation, in den Ausbau grüner Infrastrukturen. Die Politik muss schneller und entschiedener auf nachhaltige Energieversorgung umstellen, die Industrie grüne Wertschöpfung implementieren. Was es braucht, liegt auf dem Tisch. Wir haben keinen Ideenstau, wir stecken im Umsetzungsstau.
„Fridays for Future ist der Beginn der Revolution“, heißt es in Ihrem Buch. Glauben Sie an eine Klimarevolution?
Was tun Sie persönlich fürs Klima?
Und wo können Sie noch klimafreundlicher werden?
Man kann in allem besser werden. Ich auch. Ich lerne jeden Tag dazu.